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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Fahrlässigkeit. §. 29.

1. Der Thäter hatte die (irrige) Vorstellung, daß
die Handlung nicht kausal sein werde
; der leichtere
Fall.

2. Der Thäter hat (blind drauf los) gehandelt, ohne
überhaupt zu irgend einer Vorstellung über die
Kausalität seines Thuns zu gelangen
; der schwerere
Fall (die luxuria des römischen Rechts, vgl. Windscheid
§. 101 Note 10).

Diese Einteilung fällt mit der durchaus unhaltbaren
herrschenden Einteilung in bewußte und unbewußte Fahr-
lässigkeit3 (die auf einer ganz abweichenden Fassung des
Begriffes der Fahrlässigkeit beruht) nicht zusammen.

Endlich muß noch auf die ganz singuläre Bestimmung
in §. 259 StGB. aufmerksam gemacht werden, nach welcher
Partiererei auch dann anzunehmen ist, wenn der Thäter zwar
nicht wußte, aber den Umständen nach annehmen mußte,
daß die von ihm verheimlichte usw. Sache durch eine straf-
bare Handlung erlangt sei. Es liegt hier ein besonderer
Fall der Fahrlässigkeit vor;4 nicht besonders schwere Fahr-
lässigkeit:5 denn immer liegt das Wesen derselben in dem
mangelnden und doch durch die Umstände nahegelegten Be-
wußtsein der Kausalität; sondern ein speziell hervorge-
hobener
Fall der Fahrlässigkeit, so daß jede andere fahr-
lässige Herbeiführung desselben Erfolges6 nicht gestraft
werden kann.

3 [Spaltenumbruch] Lit. bei Meyer S. 174
Note 17.
4 [Spaltenumbruch] So auch RGR. 28. April
1880, R I 691.
5 [Spaltenumbruch] Dies die Ansicht des RGR.
in der eben cit. E., welche die
Bestimmung nicht auf culpa[Spaltenumbruch] schlechthin, sondern auf culpa
lata
bezieht.
6 [Spaltenumbruch] Z. B. der Thäter merkt
nicht, daß seine Handlung ein
Verheimlichen der betreffen-
den Sachen in sich schließt.
Die Fahrläſſigkeit. §. 29.

1. Der Thäter hatte die (irrige) Vorſtellung, daß
die Handlung nicht kauſal ſein werde
; der leichtere
Fall.

2. Der Thäter hat (blind drauf los) gehandelt, ohne
überhaupt zu irgend einer Vorſtellung über die
Kauſalität ſeines Thuns zu gelangen
; der ſchwerere
Fall (die luxuria des römiſchen Rechts, vgl. Windſcheid
§. 101 Note 10).

Dieſe Einteilung fällt mit der durchaus unhaltbaren
herrſchenden Einteilung in bewußte und unbewußte Fahr-
läſſigkeit3 (die auf einer ganz abweichenden Faſſung des
Begriffes der Fahrläſſigkeit beruht) nicht zuſammen.

Endlich muß noch auf die ganz ſinguläre Beſtimmung
in §. 259 StGB. aufmerkſam gemacht werden, nach welcher
Partiererei auch dann anzunehmen iſt, wenn der Thäter zwar
nicht wußte, aber den Umſtänden nach annehmen mußte,
daß die von ihm verheimlichte uſw. Sache durch eine ſtraf-
bare Handlung erlangt ſei. Es liegt hier ein beſonderer
Fall der Fahrläſſigkeit vor;4 nicht beſonders ſchwere Fahr-
läſſigkeit:5 denn immer liegt das Weſen derſelben in dem
mangelnden und doch durch die Umſtände nahegelegten Be-
wußtſein der Kauſalität; ſondern ein ſpeziell hervorge-
hobener
Fall der Fahrläſſigkeit, ſo daß jede andere fahr-
läſſige Herbeiführung desſelben Erfolges6 nicht geſtraft
werden kann.

3 [Spaltenumbruch] Lit. bei Meyer S. 174
Note 17.
4 [Spaltenumbruch] So auch RGR. 28. April
1880, R I 691.
5 [Spaltenumbruch] Dies die Anſicht des RGR.
in der eben cit. E., welche die
Beſtimmung nicht auf culpa[Spaltenumbruch] ſchlechthin, ſondern auf culpa
lata
bezieht.
6 [Spaltenumbruch] Z. B. der Thäter merkt
nicht, daß ſeine Handlung ein
Verheimlichen der betreffen-
den Sachen in ſich ſchließt.
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[121/0147] Die Fahrläſſigkeit. §. 29. 1. Der Thäter hatte die (irrige) Vorſtellung, daß die Handlung nicht kauſal ſein werde; der leichtere Fall. 2. Der Thäter hat (blind drauf los) gehandelt, ohne überhaupt zu irgend einer Vorſtellung über die Kauſalität ſeines Thuns zu gelangen; der ſchwerere Fall (die luxuria des römiſchen Rechts, vgl. Windſcheid §. 101 Note 10). Dieſe Einteilung fällt mit der durchaus unhaltbaren herrſchenden Einteilung in bewußte und unbewußte Fahr- läſſigkeit 3 (die auf einer ganz abweichenden Faſſung des Begriffes der Fahrläſſigkeit beruht) nicht zuſammen. Endlich muß noch auf die ganz ſinguläre Beſtimmung in §. 259 StGB. aufmerkſam gemacht werden, nach welcher Partiererei auch dann anzunehmen iſt, wenn der Thäter zwar nicht wußte, aber den Umſtänden nach annehmen mußte, daß die von ihm verheimlichte uſw. Sache durch eine ſtraf- bare Handlung erlangt ſei. Es liegt hier ein beſonderer Fall der Fahrläſſigkeit vor; 4 nicht beſonders ſchwere Fahr- läſſigkeit: 5 denn immer liegt das Weſen derſelben in dem mangelnden und doch durch die Umſtände nahegelegten Be- wußtſein der Kauſalität; ſondern ein ſpeziell hervorge- hobener Fall der Fahrläſſigkeit, ſo daß jede andere fahr- läſſige Herbeiführung desſelben Erfolges 6 nicht geſtraft werden kann. 3 Lit. bei Meyer S. 174 Note 17. 4 So auch RGR. 28. April 1880, R I 691. 5 Dies die Anſicht des RGR. in der eben cit. E., welche die Beſtimmung nicht auf culpa ſchlechthin, ſondern auf culpa lata bezieht. 6 Z. B. der Thäter merkt nicht, daß ſeine Handlung ein Verheimlichen der betreffen- den Sachen in ſich ſchließt.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/147>, abgerufen am 25.04.2024.