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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Entwicklung des Versuchsbegriffes. §. 32.
Thäters (oben §. 28 I), also dessen (irrige) Vorstellung von
der Kausalität seines Thuns. Ueber die scheinbare Ein-
schränkung dieses Begriffes im positiven Recht vgl. unten
§. 33 IV.

Die Strafbarkeit des Versuches, d. h. die Berechtigung
des Staates ihn mit Strafe zu belegen, folgt aus seiner
Normwidrigkeit (oben §. 3 III 3) verbunden mit dem Vor-
liegen der schwereren Schuldart, des Vorsatzes. Es bedarf
keiner besonderen Norm, wohl aber (selbstverständlich) eines
besonderen Strafgesetzes, um den Versuch strafen zu können.

IV. Der Versuch beruht immer auf einem Irrtum
des Thäters über die Kausalität seines Thuns
.
Sein Thun war begleitet von der Vorstellung, daß die Hand-
lung gewisse Veränderungen in der Außenwelt hervorrufen,
daß sie einen bestimmten normwidrigen Erfolg
verursachen werde
. Aber die Handlung verursacht den
vorgestellten Erfolg nicht; Erfolg und Vorstellung des Er-
folges decken sich in einem wesentlichen Punkte nicht.

Die Beziehung des Versuches zur Fahrlässigkeit ist somit
eine unläugbare: hier Zurechnung des eingetretenen nicht vor-
gestellten Erfolges; dort Zurechnung des vorgestellten nicht
eingetretenen Erfolges.

Aus dem Gesagten folgt:

1. daß wohl Versuch eines vorsätzlichen, nicht aber
Versuch eines fahrlässigen Verbrechens möglich ist, da dieses
begrifflich mangelnde Vorstellung der Kausalität des Thuns
erfordert; sowie ferner, daß der Versuch selbst weder ein
vorsätzlicher noch ein fahrlässiger sein kann, da er ein von
beiden Begriffen verschiedenes Verhältnis von Erfolg und
Vorstellung voraussetzt; und endlich, daß die Möglichkeit
eines Versuches jener qualifizierten Verbrechensfälle ausge-

Entwicklung des Verſuchsbegriffes. §. 32.
Thäters (oben §. 28 I), alſo deſſen (irrige) Vorſtellung von
der Kauſalität ſeines Thuns. Ueber die ſcheinbare Ein-
ſchränkung dieſes Begriffes im poſitiven Recht vgl. unten
§. 33 IV.

Die Strafbarkeit des Verſuches, d. h. die Berechtigung
des Staates ihn mit Strafe zu belegen, folgt aus ſeiner
Normwidrigkeit (oben §. 3 III 3) verbunden mit dem Vor-
liegen der ſchwereren Schuldart, des Vorſatzes. Es bedarf
keiner beſonderen Norm, wohl aber (ſelbſtverſtändlich) eines
beſonderen Strafgeſetzes, um den Verſuch ſtrafen zu können.

IV. Der Verſuch beruht immer auf einem Irrtum
des Thäters über die Kauſalität ſeines Thuns
.
Sein Thun war begleitet von der Vorſtellung, daß die Hand-
lung gewiſſe Veränderungen in der Außenwelt hervorrufen,
daß ſie einen beſtimmten normwidrigen Erfolg
verurſachen werde
. Aber die Handlung verurſacht den
vorgeſtellten Erfolg nicht; Erfolg und Vorſtellung des Er-
folges decken ſich in einem weſentlichen Punkte nicht.

Die Beziehung des Verſuches zur Fahrläſſigkeit iſt ſomit
eine unläugbare: hier Zurechnung des eingetretenen nicht vor-
geſtellten Erfolges; dort Zurechnung des vorgeſtellten nicht
eingetretenen Erfolges.

Aus dem Geſagten folgt:

1. daß wohl Verſuch eines vorſätzlichen, nicht aber
Verſuch eines fahrläſſigen Verbrechens möglich iſt, da dieſes
begrifflich mangelnde Vorſtellung der Kauſalität des Thuns
erfordert; ſowie ferner, daß der Verſuch ſelbſt weder ein
vorſätzlicher noch ein fahrläſſiger ſein kann, da er ein von
beiden Begriffen verſchiedenes Verhältnis von Erfolg und
Vorſtellung vorausſetzt; und endlich, daß die Möglichkeit
eines Verſuches jener qualifizierten Verbrechensfälle ausge-

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[135/0161] Entwicklung des Verſuchsbegriffes. §. 32. Thäters (oben §. 28 I), alſo deſſen (irrige) Vorſtellung von der Kauſalität ſeines Thuns. Ueber die ſcheinbare Ein- ſchränkung dieſes Begriffes im poſitiven Recht vgl. unten §. 33 IV. Die Strafbarkeit des Verſuches, d. h. die Berechtigung des Staates ihn mit Strafe zu belegen, folgt aus ſeiner Normwidrigkeit (oben §. 3 III 3) verbunden mit dem Vor- liegen der ſchwereren Schuldart, des Vorſatzes. Es bedarf keiner beſonderen Norm, wohl aber (ſelbſtverſtändlich) eines beſonderen Strafgeſetzes, um den Verſuch ſtrafen zu können. IV. Der Verſuch beruht immer auf einem Irrtum des Thäters über die Kauſalität ſeines Thuns. Sein Thun war begleitet von der Vorſtellung, daß die Hand- lung gewiſſe Veränderungen in der Außenwelt hervorrufen, daß ſie einen beſtimmten normwidrigen Erfolg verurſachen werde. Aber die Handlung verurſacht den vorgeſtellten Erfolg nicht; Erfolg und Vorſtellung des Er- folges decken ſich in einem weſentlichen Punkte nicht. Die Beziehung des Verſuches zur Fahrläſſigkeit iſt ſomit eine unläugbare: hier Zurechnung des eingetretenen nicht vor- geſtellten Erfolges; dort Zurechnung des vorgeſtellten nicht eingetretenen Erfolges. Aus dem Geſagten folgt: 1. daß wohl Verſuch eines vorſätzlichen, nicht aber Verſuch eines fahrläſſigen Verbrechens möglich iſt, da dieſes begrifflich mangelnde Vorſtellung der Kauſalität des Thuns erfordert; ſowie ferner, daß der Verſuch ſelbſt weder ein vorſätzlicher noch ein fahrläſſiger ſein kann, da er ein von beiden Begriffen verſchiedenes Verhältnis von Erfolg und Vorſtellung vorausſetzt; und endlich, daß die Möglichkeit eines Verſuches jener qualifizierten Verbrechensfälle ausge-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/161>, abgerufen am 29.03.2024.