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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens.
eine "goldene Brücke" zum Rückzuge bauen. Sie hat es
gethan, indem sie den freiwilligen Rücktritt zum Straf-
aufhebungsgrunde
machte (StGB. §. 46).1

Der freiwillige Rücktritt ist unmöglich, wenn die Herr-
schaft über die That und ihre Folgen bereits dem Thäter
entrissen ist, also sowohl beim suspendierten Erfolg wie beim
fehlgeschlagenen Verbrechen (vgl. oben §. 32 II 1 und 2).
Er ist dagegen möglich:

1. Bei dem nichtbeendeten Versuche (oben §. 32
II 4) durch Nichtvollendung der Handlung (StGB. §. 46
Nr. 1). Der Thäter läßt den zum Schlage erhobenen Arm
sinken; die nach dem Giftbecher ausgestreckte Hand zieht sich
zurück.2

2. Bei dem beendeten Versuche (oben §. 32 II 3)
durch Abwenden des Erfolges, also durch direktes Eingreifen
in das bereits rollende Rad des Kausalzusammenhanges
(StGB. §. 46 Nr. 2): der abgesendete Brief wird während
des Postlaufes zurückverlangt, die Wirkung des Giftes durch
Gegengift paralysiert.

II. In beiden Fällen verlangt das Gesetz Freiwillig-
keit
des Rücktritts.3 Ihren Gegensatz bildet die thatsäch-
liche oder angenommene Unmöglichkeit der Vollendung des
Verbrechens. Im zweiten Falle ist die strafaufhebende Wir-
kung des Rücktrittes an die weitere Bedingung geknüpft, daß
die Handlung noch nicht entdeckt, d. h. noch Niemandem

1 [Spaltenumbruch] Lit. bei Meyer S. 202.
Dazu Binding Normen II
S. 234, 250 f., Cohn S. 612 ff.
2 [Spaltenumbruch] Mit der Beendigung der
Versuchshandlung entfällt dem-
nach die Anwendbarkeit des[Spaltenumbruch] §. 46 Nr. 1, RGR. 12. März
1880, E I 307, R I 453.
3 [Spaltenumbruch] Worin diese besteht ist be-
stritten. Lit. bei Meyer S. 226
Note 23.

Erſtes Buch. VI. Vollendung u. Verſuch des Verbrechens.
eine „goldene Brücke“ zum Rückzuge bauen. Sie hat es
gethan, indem ſie den freiwilligen Rücktritt zum Straf-
aufhebungsgrunde
machte (StGB. §. 46).1

Der freiwillige Rücktritt iſt unmöglich, wenn die Herr-
ſchaft über die That und ihre Folgen bereits dem Thäter
entriſſen iſt, alſo ſowohl beim ſuſpendierten Erfolg wie beim
fehlgeſchlagenen Verbrechen (vgl. oben §. 32 II 1 und 2).
Er iſt dagegen möglich:

1. Bei dem nichtbeendeten Verſuche (oben §. 32
II 4) durch Nichtvollendung der Handlung (StGB. §. 46
Nr. 1). Der Thäter läßt den zum Schlage erhobenen Arm
ſinken; die nach dem Giftbecher ausgeſtreckte Hand zieht ſich
zurück.2

2. Bei dem beendeten Verſuche (oben §. 32 II 3)
durch Abwenden des Erfolges, alſo durch direktes Eingreifen
in das bereits rollende Rad des Kauſalzuſammenhanges
(StGB. §. 46 Nr. 2): der abgeſendete Brief wird während
des Poſtlaufes zurückverlangt, die Wirkung des Giftes durch
Gegengift paralyſiert.

II. In beiden Fällen verlangt das Geſetz Freiwillig-
keit
des Rücktritts.3 Ihren Gegenſatz bildet die thatſäch-
liche oder angenommene Unmöglichkeit der Vollendung des
Verbrechens. Im zweiten Falle iſt die ſtrafaufhebende Wir-
kung des Rücktrittes an die weitere Bedingung geknüpft, daß
die Handlung noch nicht entdeckt, d. h. noch Niemandem

1 [Spaltenumbruch] Lit. bei Meyer S. 202.
Dazu Binding Normen II
S. 234, 250 f., Cohn S. 612 ff.
2 [Spaltenumbruch] Mit der Beendigung der
Verſuchshandlung entfällt dem-
nach die Anwendbarkeit des[Spaltenumbruch] §. 46 Nr. 1, RGR. 12. März
1880, E I 307, R I 453.
3 [Spaltenumbruch] Worin dieſe beſteht iſt be-
ſtritten. Lit. bei Meyer S. 226
Note 23.
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[144/0170] Erſtes Buch. VI. Vollendung u. Verſuch des Verbrechens. eine „goldene Brücke“ zum Rückzuge bauen. Sie hat es gethan, indem ſie den freiwilligen Rücktritt zum Straf- aufhebungsgrunde machte (StGB. §. 46). 1 Der freiwillige Rücktritt iſt unmöglich, wenn die Herr- ſchaft über die That und ihre Folgen bereits dem Thäter entriſſen iſt, alſo ſowohl beim ſuſpendierten Erfolg wie beim fehlgeſchlagenen Verbrechen (vgl. oben §. 32 II 1 und 2). Er iſt dagegen möglich: 1. Bei dem nichtbeendeten Verſuche (oben §. 32 II 4) durch Nichtvollendung der Handlung (StGB. §. 46 Nr. 1). Der Thäter läßt den zum Schlage erhobenen Arm ſinken; die nach dem Giftbecher ausgeſtreckte Hand zieht ſich zurück. 2 2. Bei dem beendeten Verſuche (oben §. 32 II 3) durch Abwenden des Erfolges, alſo durch direktes Eingreifen in das bereits rollende Rad des Kauſalzuſammenhanges (StGB. §. 46 Nr. 2): der abgeſendete Brief wird während des Poſtlaufes zurückverlangt, die Wirkung des Giftes durch Gegengift paralyſiert. II. In beiden Fällen verlangt das Geſetz Freiwillig- keit des Rücktritts. 3 Ihren Gegenſatz bildet die thatſäch- liche oder angenommene Unmöglichkeit der Vollendung des Verbrechens. Im zweiten Falle iſt die ſtrafaufhebende Wir- kung des Rücktrittes an die weitere Bedingung geknüpft, daß die Handlung noch nicht entdeckt, d. h. noch Niemandem 1 Lit. bei Meyer S. 202. Dazu Binding Normen II S. 234, 250 f., Cohn S. 612 ff. 2 Mit der Beendigung der Verſuchshandlung entfällt dem- nach die Anwendbarkeit des §. 46 Nr. 1, RGR. 12. März 1880, E I 307, R I 453. 3 Worin dieſe beſteht iſt be- ſtritten. Lit. bei Meyer S. 226 Note 23.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/170>, abgerufen am 23.04.2024.