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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Erstes Buch. VII. Thäterschaft und Teilnahme.

1. Strafschärfungs- und Strafmilderungsgründe,
die in persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen des Han-
delnden ihren Grund haben, sind nur auf diejenigen
Teilnehmer zur Anwendung zu bringen, bei welchen sie vor-
liegen
. Mit diesem Satze, der bezüglich des Mitthäters
selbstverständlich und nur bezüglich des Anstifters und des
Gehülfen wirklich von Bedeutung ist, hat der Gesetzgeber
eine der wichtigsten Konsequenzen aus seiner prinzipiellen
Auffassung, daß Teilnahme die Beteiligung an dem Ver-
brechen eines Anderen und nicht mittelbare Selbstbege-
hung des Verbrechens sei, mit aller Entschiedenheit (und mit
vollem Rechte) abgelehnt. Beispiele: Wenn der Nichtver-
wandte B den Sohn A des Vaters C, oder die Mutter A
des neugeborenen Kindes C zur Tötung des Vaters oder
Kindes C bestimmt hat; oder wenn umgekehrt der Sohn A
oder die Mutter A dem extraneus B zur Tötung des Vaters
oder des Kindes C Hülfe geleistet haben: so ist in beiden
Fällen der Fremde B nach den Bestimmungen über gemeine
Tötung, der Sohn A nach jenen über Ascendententodschlag,
die Mutter A nach jenen über Kindestötung zu beurteilen.
Die Anordnung der Gesetzgebung ist schon darum richtig,
weil nur verschieden qualifizierte Uebertretungen der einen
Norm: Du sollst nicht töten! vorliegen (vgl. oben §. 4 I 3).

2. Handelt es sich dagegen um persönliche Eigenschaften
oder Verhältnisse, welche ein an sich strafloses Thun erst zu
einem strafbaren machen, welche die Strafbarkeit also
erst begründen, nicht erhöhen oder vermindern (Bedingungen
der Strafbarkeit in dem oben §. 30 erörterten Sinne): so
sind sie, wenn beim Thäter vorliegend, dem Anstifter und
Gehülfen zuzurechnen; fehlt es an einer solchen Bedingung
in der Person des Thäters, so liegt eine strafbare Haupt-

Erſtes Buch. VII. Thäterſchaft und Teilnahme.

1. Strafſchärfungs- und Strafmilderungsgründe,
die in perſönlichen Eigenſchaften oder Verhältniſſen des Han-
delnden ihren Grund haben, ſind nur auf diejenigen
Teilnehmer zur Anwendung zu bringen, bei welchen ſie vor-
liegen
. Mit dieſem Satze, der bezüglich des Mitthäters
ſelbſtverſtändlich und nur bezüglich des Anſtifters und des
Gehülfen wirklich von Bedeutung iſt, hat der Geſetzgeber
eine der wichtigſten Konſequenzen aus ſeiner prinzipiellen
Auffaſſung, daß Teilnahme die Beteiligung an dem Ver-
brechen eines Anderen und nicht mittelbare Selbſtbege-
hung des Verbrechens ſei, mit aller Entſchiedenheit (und mit
vollem Rechte) abgelehnt. Beiſpiele: Wenn der Nichtver-
wandte B den Sohn A des Vaters C, oder die Mutter A
des neugeborenen Kindes C zur Tötung des Vaters oder
Kindes C beſtimmt hat; oder wenn umgekehrt der Sohn A
oder die Mutter A dem extraneus B zur Tötung des Vaters
oder des Kindes C Hülfe geleiſtet haben: ſo iſt in beiden
Fällen der Fremde B nach den Beſtimmungen über gemeine
Tötung, der Sohn A nach jenen über Aſcendententodſchlag,
die Mutter A nach jenen über Kindestötung zu beurteilen.
Die Anordnung der Geſetzgebung iſt ſchon darum richtig,
weil nur verſchieden qualifizierte Uebertretungen der einen
Norm: Du ſollſt nicht töten! vorliegen (vgl. oben §. 4 I 3).

2. Handelt es ſich dagegen um perſönliche Eigenſchaften
oder Verhältniſſe, welche ein an ſich ſtrafloſes Thun erſt zu
einem ſtrafbaren machen, welche die Strafbarkeit alſo
erſt begründen, nicht erhöhen oder vermindern (Bedingungen
der Strafbarkeit in dem oben §. 30 erörterten Sinne): ſo
ſind ſie, wenn beim Thäter vorliegend, dem Anſtifter und
Gehülfen zuzurechnen; fehlt es an einer ſolchen Bedingung
in der Perſon des Thäters, ſo liegt eine ſtrafbare Haupt-

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[156/0182] Erſtes Buch. VII. Thäterſchaft und Teilnahme. 1. Strafſchärfungs- und Strafmilderungsgründe, die in perſönlichen Eigenſchaften oder Verhältniſſen des Han- delnden ihren Grund haben, ſind nur auf diejenigen Teilnehmer zur Anwendung zu bringen, bei welchen ſie vor- liegen. Mit dieſem Satze, der bezüglich des Mitthäters ſelbſtverſtändlich und nur bezüglich des Anſtifters und des Gehülfen wirklich von Bedeutung iſt, hat der Geſetzgeber eine der wichtigſten Konſequenzen aus ſeiner prinzipiellen Auffaſſung, daß Teilnahme die Beteiligung an dem Ver- brechen eines Anderen und nicht mittelbare Selbſtbege- hung des Verbrechens ſei, mit aller Entſchiedenheit (und mit vollem Rechte) abgelehnt. Beiſpiele: Wenn der Nichtver- wandte B den Sohn A des Vaters C, oder die Mutter A des neugeborenen Kindes C zur Tötung des Vaters oder Kindes C beſtimmt hat; oder wenn umgekehrt der Sohn A oder die Mutter A dem extraneus B zur Tötung des Vaters oder des Kindes C Hülfe geleiſtet haben: ſo iſt in beiden Fällen der Fremde B nach den Beſtimmungen über gemeine Tötung, der Sohn A nach jenen über Aſcendententodſchlag, die Mutter A nach jenen über Kindestötung zu beurteilen. Die Anordnung der Geſetzgebung iſt ſchon darum richtig, weil nur verſchieden qualifizierte Uebertretungen der einen Norm: Du ſollſt nicht töten! vorliegen (vgl. oben §. 4 I 3). 2. Handelt es ſich dagegen um perſönliche Eigenſchaften oder Verhältniſſe, welche ein an ſich ſtrafloſes Thun erſt zu einem ſtrafbaren machen, welche die Strafbarkeit alſo erſt begründen, nicht erhöhen oder vermindern (Bedingungen der Strafbarkeit in dem oben §. 30 erörterten Sinne): ſo ſind ſie, wenn beim Thäter vorliegend, dem Anſtifter und Gehülfen zuzurechnen; fehlt es an einer ſolchen Bedingung in der Perſon des Thäters, ſo liegt eine ſtrafbare Haupt-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/182>, abgerufen am 16.04.2024.