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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Erstes Buch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.
nach dem auf der Straße harrenden Genossen durchs Fenster
zuwirft usw.

Dagegen kann von einer natürlichen Einheit der Hand-
lung dann nicht mehr gesprochen werden, wenn sowohl Mehr-
heit der Körperbewegungen als auch Mehrheit der Erfolge
vorliegt; wenn also z. B. durch die aus dem sechsläufigen Re-
volver abgefeuerten Schüsse 6 Personen getötet werden, oder
die mit mehreren diebischen Griffen entwendeten Gegenstände
verschiedenen Personen gehören.

II. Die juristische Einheit der Handlung. Der Be-
griff der Einheit ist ein relativer, von dem Standpunkte des
Betrachters abhängiger. Nichts hindert uns, auch eine Mehr-
heit von Handlungen zu einer juristischen Einheit zusammen-
zufassen. Die wichtigsten Fälle einer solchen künstlich ge-
schaffenen Verbrechenseinheit sind:

1. Das fortdauernde Verbrechen, d. i. die konti-
nuierliche (ununterbrochene) Verwirklichung eines Verbrechens-
begriffes. Beispiel: eine durch Wochen oder Monate an-
dauernde Freiheitsentziehung. Nicht zu verwechseln mit dem
fortdauernden ist das Zustandsverbrechen, welches durch
eine einmalige Handlung einen dauernden rechtswidrigen Zu-
stand erzeugt; hieher gehört z. B. die Doppelehe, der Dieb-
stahl usw. Der rechtswidrige Zustand kommt als weitere
Folge der völlig abgeschlossenen Handlung strafrechtlich nicht
in Betracht.

2. Das fortgesetzte Verbrechen, d. i. die nicht kon-
tinuierliche, stoßweise Verwirklichung des Verbrechensbegriffes;
eine Mehrheit von Handlungen, juristisch zusammengehalten
durch die Gleichartigkeit der Schuld, der Körperbewegung
und des Erfolges. Wann diese Gleichartigkeit vorliegt, wann
nicht, läßt sich durch eine allgemeine Regel hier ebensowenig

Erſtes Buch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.
nach dem auf der Straße harrenden Genoſſen durchs Fenſter
zuwirft uſw.

Dagegen kann von einer natürlichen Einheit der Hand-
lung dann nicht mehr geſprochen werden, wenn ſowohl Mehr-
heit der Körperbewegungen als auch Mehrheit der Erfolge
vorliegt; wenn alſo z. B. durch die aus dem ſechsläufigen Re-
volver abgefeuerten Schüſſe 6 Perſonen getötet werden, oder
die mit mehreren diebiſchen Griffen entwendeten Gegenſtände
verſchiedenen Perſonen gehören.

II. Die juriſtiſche Einheit der Handlung. Der Be-
griff der Einheit iſt ein relativer, von dem Standpunkte des
Betrachters abhängiger. Nichts hindert uns, auch eine Mehr-
heit von Handlungen zu einer juriſtiſchen Einheit zuſammen-
zufaſſen. Die wichtigſten Fälle einer ſolchen künſtlich ge-
ſchaffenen Verbrechenseinheit ſind:

1. Das fortdauernde Verbrechen, d. i. die konti-
nuierliche (ununterbrochene) Verwirklichung eines Verbrechens-
begriffes. Beiſpiel: eine durch Wochen oder Monate an-
dauernde Freiheitsentziehung. Nicht zu verwechſeln mit dem
fortdauernden iſt das Zuſtandsverbrechen, welches durch
eine einmalige Handlung einen dauernden rechtswidrigen Zu-
ſtand erzeugt; hieher gehört z. B. die Doppelehe, der Dieb-
ſtahl uſw. Der rechtswidrige Zuſtand kommt als weitere
Folge der völlig abgeſchloſſenen Handlung ſtrafrechtlich nicht
in Betracht.

2. Das fortgeſetzte Verbrechen, d. i. die nicht kon-
tinuierliche, ſtoßweiſe Verwirklichung des Verbrechensbegriffes;
eine Mehrheit von Handlungen, juriſtiſch zuſammengehalten
durch die Gleichartigkeit der Schuld, der Körperbewegung
und des Erfolges. Wann dieſe Gleichartigkeit vorliegt, wann
nicht, läßt ſich durch eine allgemeine Regel hier ebenſowenig

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[160/0186] Erſtes Buch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit. nach dem auf der Straße harrenden Genoſſen durchs Fenſter zuwirft uſw. Dagegen kann von einer natürlichen Einheit der Hand- lung dann nicht mehr geſprochen werden, wenn ſowohl Mehr- heit der Körperbewegungen als auch Mehrheit der Erfolge vorliegt; wenn alſo z. B. durch die aus dem ſechsläufigen Re- volver abgefeuerten Schüſſe 6 Perſonen getötet werden, oder die mit mehreren diebiſchen Griffen entwendeten Gegenſtände verſchiedenen Perſonen gehören. II. Die juriſtiſche Einheit der Handlung. Der Be- griff der Einheit iſt ein relativer, von dem Standpunkte des Betrachters abhängiger. Nichts hindert uns, auch eine Mehr- heit von Handlungen zu einer juriſtiſchen Einheit zuſammen- zufaſſen. Die wichtigſten Fälle einer ſolchen künſtlich ge- ſchaffenen Verbrechenseinheit ſind: 1. Das fortdauernde Verbrechen, d. i. die konti- nuierliche (ununterbrochene) Verwirklichung eines Verbrechens- begriffes. Beiſpiel: eine durch Wochen oder Monate an- dauernde Freiheitsentziehung. Nicht zu verwechſeln mit dem fortdauernden iſt das Zuſtandsverbrechen, welches durch eine einmalige Handlung einen dauernden rechtswidrigen Zu- ſtand erzeugt; hieher gehört z. B. die Doppelehe, der Dieb- ſtahl uſw. Der rechtswidrige Zuſtand kommt als weitere Folge der völlig abgeſchloſſenen Handlung ſtrafrechtlich nicht in Betracht. 2. Das fortgeſetzte Verbrechen, d. i. die nicht kon- tinuierliche, ſtoßweiſe Verwirklichung des Verbrechensbegriffes; eine Mehrheit von Handlungen, juriſtiſch zuſammengehalten durch die Gleichartigkeit der Schuld, der Körperbewegung und des Erfolges. Wann dieſe Gleichartigkeit vorliegt, wann nicht, läßt ſich durch eine allgemeine Regel hier ebenſowenig

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/186>, abgerufen am 19.04.2024.