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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
sichern können. Darum muß das unseren höchsten Anforde-
rungen entsprechende Strafmittel nach Inhalt und Umfang
abstufbar sein, nach Intensität und Extensität eine Reihe von
Graden zulassen, verschiedene Arten des Strafvollzuges ge-
statten. Strafmittel, mit welchen wir nur den einen oder
den anderen der Strafzwecke -- es ist gleichgültig, welcher
von ihnen es ist -- zu verfolgen in der Lage sind, werden
hinter dehnbareren und teilbareren Strafmitteln zurückstehen
müssen.

2. Das Strafmittel darf nicht die günstige Wir-
kung, die es nach der einen Richtung hin erzielt, pa-
ralysieren durch ungünstige Wirkung nach einer an-
deren Richtung hin
. Es darf, wenn es bessern will,
nicht zugleich die abschreckende oder sichernde Wirkung der
Strafe vernichten; nicht, wenn es die beiden letztgenannten
Zwecke verfolgt, die Massen entsittlichen, und damit der
Strafe ein wichtiges Moment ihrer motivierenden Kraft ent-
ziehen. Die verstümmelnden und beschimpfenden Strafen,
öffentlicher Vollzug grausam verschärfter Hinrichtungen usw.
einerseits; die schablonenhafte "Humanität" unserer modernen
Musterstrafanstalten andrerseits mögen als warnende Bei-
spiele dienen.

3. Wir werden jene Strafmittel verwerfen müssen oder
doch nur im Notfalle acceptieren können, die den Strafzweck
nur mit Aufwand unverhältnismäßig drastischer Mittel zu
erreichen in der Lage sind. Vernichtung der physischen, öko-
nomischen, ethischen Persönlichkeit (Todesstrafe, Vermögens-
konfiskation, Ehrlosigkeit) sind als Mittel zum Zwecke des
Rechtsgüterschutzes zurückzuweisen, so lange wir denselben
Zweck mit geringerem Kraftaufwande erreichen können.

4. Da ein einziges Strafmittel wohl kaum für die voll-

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.
ſichern können. Darum muß das unſeren höchſten Anforde-
rungen entſprechende Strafmittel nach Inhalt und Umfang
abſtufbar ſein, nach Intenſität und Extenſität eine Reihe von
Graden zulaſſen, verſchiedene Arten des Strafvollzuges ge-
ſtatten. Strafmittel, mit welchen wir nur den einen oder
den anderen der Strafzwecke — es iſt gleichgültig, welcher
von ihnen es iſt — zu verfolgen in der Lage ſind, werden
hinter dehnbareren und teilbareren Strafmitteln zurückſtehen
müſſen.

2. Das Strafmittel darf nicht die günſtige Wir-
kung, die es nach der einen Richtung hin erzielt, pa-
ralyſieren durch ungünſtige Wirkung nach einer an-
deren Richtung hin
. Es darf, wenn es beſſern will,
nicht zugleich die abſchreckende oder ſichernde Wirkung der
Strafe vernichten; nicht, wenn es die beiden letztgenannten
Zwecke verfolgt, die Maſſen entſittlichen, und damit der
Strafe ein wichtiges Moment ihrer motivierenden Kraft ent-
ziehen. Die verſtümmelnden und beſchimpfenden Strafen,
öffentlicher Vollzug grauſam verſchärfter Hinrichtungen uſw.
einerſeits; die ſchablonenhafte „Humanität“ unſerer modernen
Muſterſtrafanſtalten andrerſeits mögen als warnende Bei-
ſpiele dienen.

3. Wir werden jene Strafmittel verwerfen müſſen oder
doch nur im Notfalle acceptieren können, die den Strafzweck
nur mit Aufwand unverhältnismäßig draſtiſcher Mittel zu
erreichen in der Lage ſind. Vernichtung der phyſiſchen, öko-
nomiſchen, ethiſchen Perſönlichkeit (Todesſtrafe, Vermögens-
konfiskation, Ehrloſigkeit) ſind als Mittel zum Zwecke des
Rechtsgüterſchutzes zurückzuweiſen, ſo lange wir denſelben
Zweck mit geringerem Kraftaufwande erreichen können.

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[178/0204] Zweites Buch. II. Die Strafmittel. ſichern können. Darum muß das unſeren höchſten Anforde- rungen entſprechende Strafmittel nach Inhalt und Umfang abſtufbar ſein, nach Intenſität und Extenſität eine Reihe von Graden zulaſſen, verſchiedene Arten des Strafvollzuges ge- ſtatten. Strafmittel, mit welchen wir nur den einen oder den anderen der Strafzwecke — es iſt gleichgültig, welcher von ihnen es iſt — zu verfolgen in der Lage ſind, werden hinter dehnbareren und teilbareren Strafmitteln zurückſtehen müſſen. 2. Das Strafmittel darf nicht die günſtige Wir- kung, die es nach der einen Richtung hin erzielt, pa- ralyſieren durch ungünſtige Wirkung nach einer an- deren Richtung hin. Es darf, wenn es beſſern will, nicht zugleich die abſchreckende oder ſichernde Wirkung der Strafe vernichten; nicht, wenn es die beiden letztgenannten Zwecke verfolgt, die Maſſen entſittlichen, und damit der Strafe ein wichtiges Moment ihrer motivierenden Kraft ent- ziehen. Die verſtümmelnden und beſchimpfenden Strafen, öffentlicher Vollzug grauſam verſchärfter Hinrichtungen uſw. einerſeits; die ſchablonenhafte „Humanität“ unſerer modernen Muſterſtrafanſtalten andrerſeits mögen als warnende Bei- ſpiele dienen. 3. Wir werden jene Strafmittel verwerfen müſſen oder doch nur im Notfalle acceptieren können, die den Strafzweck nur mit Aufwand unverhältnismäßig draſtiſcher Mittel zu erreichen in der Lage ſind. Vernichtung der phyſiſchen, öko- nomiſchen, ethiſchen Perſönlichkeit (Todesſtrafe, Vermögens- konfiskation, Ehrloſigkeit) ſind als Mittel zum Zwecke des Rechtsgüterſchutzes zurückzuweiſen, ſo lange wir denſelben Zweck mit geringerem Kraftaufwande erreichen können. 4. Da ein einziges Strafmittel wohl kaum für die voll-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/204>, abgerufen am 28.03.2024.