Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

2. Der Todesstrafe haften die meisten jener Eigen-
schaften an, die ein zweckentsprechendes Strafmittel nicht
besitzen soll. Sie paralysiert ihre abschreckende und sichernde
Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, das sie
in den Massen, durch das ästhetische. Mißbehagen, das sie
in den Gebildeten wachruft; sie vernichtet eine Existenz, die
vielleicht noch den Zwecken der Gemeinschaft hätte dienstbar
gemacht werden können; sie steht ohne jede Vermittlung
neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Ueber-
gang zu ihr giebt; sie zwingt zu absoluten Strafdrohungen
und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein
Hinrichtungsrecht. Auch ist es falsch, daß ihre abschreckende
und sichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht
werden könnte. Aber heute, wo der Freiheitsstrafe diese
abschreckende und sichernde Wirkung gänzlich abhanden ge-
kommen ist, muß die Todesstrafe als unentbehrlich be-
zeichnet werden. Die Reform des Gefängniswesens -- nicht
im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren -- wird
auch die Frage der Todesstrafe zur befriedigenden Lösung
bringen.

3. Die Vermögensstrafe ist teilbar und dehnbar,
paßt sich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Trieb-
feder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; gestattet
aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen
des Strafvollzuges. Sie ist daher trefflich geeignet, eine
zweite Rolle im Strafensysteme zu spielen, und besonders
als Nebenstrafe von großem Werte; darf aber auch nicht
zu mehr, als zur zweiten Rolle berufen werden.

4. Große Gefahren birgt die Ehrenstrafe. Auch in
ihren mildesten Formen nimmt sie der gesunkenen ethischen
Persönlichkeit den letzten Halt. Ausschluß jeder immer

Zweites Buch. II. Die Strafmittel.

2. Der Todesſtrafe haften die meiſten jener Eigen-
ſchaften an, die ein zweckentſprechendes Strafmittel nicht
beſitzen ſoll. Sie paralyſiert ihre abſchreckende und ſichernde
Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, das ſie
in den Maſſen, durch das äſthetiſche. Mißbehagen, das ſie
in den Gebildeten wachruft; ſie vernichtet eine Exiſtenz, die
vielleicht noch den Zwecken der Gemeinſchaft hätte dienſtbar
gemacht werden können; ſie ſteht ohne jede Vermittlung
neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Ueber-
gang zu ihr giebt; ſie zwingt zu abſoluten Strafdrohungen
und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein
Hinrichtungsrecht. Auch iſt es falſch, daß ihre abſchreckende
und ſichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht
werden könnte. Aber heute, wo der Freiheitsſtrafe dieſe
abſchreckende und ſichernde Wirkung gänzlich abhanden ge-
kommen iſt, muß die Todesſtrafe als unentbehrlich be-
zeichnet werden. Die Reform des Gefängnisweſens — nicht
im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren — wird
auch die Frage der Todesſtrafe zur befriedigenden Löſung
bringen.

3. Die Vermögensſtrafe iſt teilbar und dehnbar,
paßt ſich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Trieb-
feder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; geſtattet
aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen
des Strafvollzuges. Sie iſt daher trefflich geeignet, eine
zweite Rolle im Strafenſyſteme zu ſpielen, und beſonders
als Nebenſtrafe von großem Werte; darf aber auch nicht
zu mehr, als zur zweiten Rolle berufen werden.

4. Große Gefahren birgt die Ehrenſtrafe. Auch in
ihren mildeſten Formen nimmt ſie der geſunkenen ethiſchen
Perſönlichkeit den letzten Halt. Ausſchluß jeder immer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0206" n="180"/>
              <fw place="top" type="header">Zweites Buch. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Strafmittel.</fw><lb/>
              <p>2. Der <hi rendition="#g">Todes&#x017F;trafe</hi> haften die mei&#x017F;ten jener Eigen-<lb/>
&#x017F;chaften an, die ein zweckent&#x017F;prechendes Strafmittel <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/>
be&#x017F;itzen &#x017F;oll. Sie paraly&#x017F;iert ihre ab&#x017F;chreckende und &#x017F;ichernde<lb/>
Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, das &#x017F;ie<lb/>
in den Ma&#x017F;&#x017F;en, durch das ä&#x017F;theti&#x017F;che. Mißbehagen, das &#x017F;ie<lb/>
in den Gebildeten wachruft; &#x017F;ie vernichtet eine Exi&#x017F;tenz, die<lb/>
vielleicht noch den Zwecken der Gemein&#x017F;chaft hätte dien&#x017F;tbar<lb/>
gemacht werden können; &#x017F;ie &#x017F;teht ohne jede Vermittlung<lb/>
neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Ueber-<lb/>
gang zu ihr giebt; &#x017F;ie zwingt zu ab&#x017F;oluten Strafdrohungen<lb/>
und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein<lb/>
Hinrichtungsrecht. Auch i&#x017F;t es fal&#x017F;ch, daß ihre ab&#x017F;chreckende<lb/>
und &#x017F;ichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht<lb/>
werden könnte. Aber heute, wo der Freiheits&#x017F;trafe die&#x017F;e<lb/>
ab&#x017F;chreckende und &#x017F;ichernde Wirkung gänzlich abhanden ge-<lb/>
kommen i&#x017F;t, muß die Todes&#x017F;trafe als <hi rendition="#g">unentbehrlich</hi> be-<lb/>
zeichnet werden. Die Reform des Gefängniswe&#x017F;ens &#x2014; <hi rendition="#g">nicht</hi><lb/>
im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren &#x2014; wird<lb/>
auch die Frage der Todes&#x017F;trafe zur befriedigenden Lö&#x017F;ung<lb/>
bringen.</p><lb/>
              <p>3. Die <hi rendition="#g">Vermögens&#x017F;trafe</hi> i&#x017F;t teilbar und dehnbar,<lb/>
paßt &#x017F;ich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Trieb-<lb/>
feder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; ge&#x017F;tattet<lb/>
aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen<lb/>
des Strafvollzuges. Sie i&#x017F;t daher trefflich geeignet, eine<lb/><hi rendition="#g">zweite</hi> Rolle im Strafen&#x017F;y&#x017F;teme zu &#x017F;pielen, und be&#x017F;onders<lb/>
als Neben&#x017F;trafe von großem Werte; darf aber auch nicht<lb/>
zu <hi rendition="#g">mehr</hi>, als zur zweiten Rolle berufen werden.</p><lb/>
              <p>4. Große Gefahren birgt die <hi rendition="#g">Ehren&#x017F;trafe</hi>. Auch in<lb/>
ihren milde&#x017F;ten Formen nimmt &#x017F;ie der ge&#x017F;unkenen ethi&#x017F;chen<lb/>
Per&#x017F;önlichkeit den letzten Halt. Aus&#x017F;chluß jeder immer<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0206] Zweites Buch. II. Die Strafmittel. 2. Der Todesſtrafe haften die meiſten jener Eigen- ſchaften an, die ein zweckentſprechendes Strafmittel nicht beſitzen ſoll. Sie paralyſiert ihre abſchreckende und ſichernde Wirkung durch das Mitleid für den Hingerichteten, das ſie in den Maſſen, durch das äſthetiſche. Mißbehagen, das ſie in den Gebildeten wachruft; ſie vernichtet eine Exiſtenz, die vielleicht noch den Zwecken der Gemeinſchaft hätte dienſtbar gemacht werden können; ſie ſteht ohne jede Vermittlung neben den übrigen Strafmitteln, von welchen es keinen Ueber- gang zu ihr giebt; ſie zwingt zu abſoluten Strafdrohungen und verwandelt das Begnadigungsrecht der Krone in ein Hinrichtungsrecht. Auch iſt es falſch, daß ihre abſchreckende und ſichernde Wirkung auf anderem Wege nicht erreicht werden könnte. Aber heute, wo der Freiheitsſtrafe dieſe abſchreckende und ſichernde Wirkung gänzlich abhanden ge- kommen iſt, muß die Todesſtrafe als unentbehrlich be- zeichnet werden. Die Reform des Gefängnisweſens — nicht im Sinne der heute tonangebenden Reformatoren — wird auch die Frage der Todesſtrafe zur befriedigenden Löſung bringen. 3. Die Vermögensſtrafe iſt teilbar und dehnbar, paßt ſich den übrigen Strafmitteln leicht an, hält die Trieb- feder zu einer Reihe von Verbrechensarten nieder; geſtattet aber keine irgendwie ins Gewicht fallenden Modifikationen des Strafvollzuges. Sie iſt daher trefflich geeignet, eine zweite Rolle im Strafenſyſteme zu ſpielen, und beſonders als Nebenſtrafe von großem Werte; darf aber auch nicht zu mehr, als zur zweiten Rolle berufen werden. 4. Große Gefahren birgt die Ehrenſtrafe. Auch in ihren mildeſten Formen nimmt ſie der geſunkenen ethiſchen Perſönlichkeit den letzten Halt. Ausſchluß jeder immer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/206
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/206>, abgerufen am 16.04.2024.