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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Besonderer Teil.

V. Wir müssen aber endlich noch eine letzte Reihe von
strafbaren Handlungen ins Auge fassen, bei welchen unser
Einteilungsgrund uns vollständig im Stiche läßt; bei welchen
nicht die Natur des angegriffenen Rechtsgutes, sondern die
Art des Angriffes maßgebend war für die Aufstellung
der Strafdrohung; die gefährlich sind oder sein können in
gleicher Weise für den Einzelnen, für das Publikum und für
das Staatsganze. Die Mittel, welche die Rechtsordnung
geschaffen hat zur Erreichung ihrer Zwecke, sind in der Hand
des Verbrechers ebensoviele Mittel zum Angriffe auf die
Rechtsordnung; wie die Naturkräfte, so kann er Geld und
Urkunden, so kann er seine amtliche Stellung mißbrauchen
zur Rechtsverletzung. Diesem Mißbrauch sucht der Gesetz-
geber durch besondere Normen (vgl. oben §. 3 II 4) vorzu-
beugen; und er schafft, indem er das thut, eine Reihe von
eigenartigen Verbrechen. Er schafft damit nicht neue Rechts-
güter, sondern er will die vorhandenen schützen, indem er
den Mißbrauch seiner Rechtsinstitutionen zu rechtswidrigen
Zwecken verpönt. Nur um diesen Gegensatz und zugleich
die Beziehung zu der Rechtsgüterwelt auszudrücken, können
wir die Integrität dieser Rechtsinstitutionen und dann diese
selbst als uneigentliche Rechtsgüter bezeichnen, wobei
der Ton auf dem Adjektiv, nicht auf dem Substantiv liegt.
In diese Gruppe von strafbaren Handlungen gehören:

1. die Delikte an Geld;
2. die Delikte an Urkunden;
3. die Delikte gegen die Religion;
4. die Delikte an Personenstand und Ehe;
5. die Delikte gegen die Sittlichkeit (die staatliche Regelung
des Geschlechtstriebes);
6. die Delikte im Amte.

Beſonderer Teil.

V. Wir müſſen aber endlich noch eine letzte Reihe von
ſtrafbaren Handlungen ins Auge faſſen, bei welchen unſer
Einteilungsgrund uns vollſtändig im Stiche läßt; bei welchen
nicht die Natur des angegriffenen Rechtsgutes, ſondern die
Art des Angriffes maßgebend war für die Aufſtellung
der Strafdrohung; die gefährlich ſind oder ſein können in
gleicher Weiſe für den Einzelnen, für das Publikum und für
das Staatsganze. Die Mittel, welche die Rechtsordnung
geſchaffen hat zur Erreichung ihrer Zwecke, ſind in der Hand
des Verbrechers ebenſoviele Mittel zum Angriffe auf die
Rechtsordnung; wie die Naturkräfte, ſo kann er Geld und
Urkunden, ſo kann er ſeine amtliche Stellung mißbrauchen
zur Rechtsverletzung. Dieſem Mißbrauch ſucht der Geſetz-
geber durch beſondere Normen (vgl. oben §. 3 II 4) vorzu-
beugen; und er ſchafft, indem er das thut, eine Reihe von
eigenartigen Verbrechen. Er ſchafft damit nicht neue Rechts-
güter, ſondern er will die vorhandenen ſchützen, indem er
den Mißbrauch ſeiner Rechtsinſtitutionen zu rechtswidrigen
Zwecken verpönt. Nur um dieſen Gegenſatz und zugleich
die Beziehung zu der Rechtsgüterwelt auszudrücken, können
wir die Integrität dieſer Rechtsinſtitutionen und dann dieſe
ſelbſt als uneigentliche Rechtsgüter bezeichnen, wobei
der Ton auf dem Adjektiv, nicht auf dem Subſtantiv liegt.
In dieſe Gruppe von ſtrafbaren Handlungen gehören:

1. die Delikte an Geld;
2. die Delikte an Urkunden;
3. die Delikte gegen die Religion;
4. die Delikte an Perſonenſtand und Ehe;
5. die Delikte gegen die Sittlichkeit (die ſtaatliche Regelung
des Geſchlechtstriebes);
6. die Delikte im Amte.

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[232/0258] Beſonderer Teil. V. Wir müſſen aber endlich noch eine letzte Reihe von ſtrafbaren Handlungen ins Auge faſſen, bei welchen unſer Einteilungsgrund uns vollſtändig im Stiche läßt; bei welchen nicht die Natur des angegriffenen Rechtsgutes, ſondern die Art des Angriffes maßgebend war für die Aufſtellung der Strafdrohung; die gefährlich ſind oder ſein können in gleicher Weiſe für den Einzelnen, für das Publikum und für das Staatsganze. Die Mittel, welche die Rechtsordnung geſchaffen hat zur Erreichung ihrer Zwecke, ſind in der Hand des Verbrechers ebenſoviele Mittel zum Angriffe auf die Rechtsordnung; wie die Naturkräfte, ſo kann er Geld und Urkunden, ſo kann er ſeine amtliche Stellung mißbrauchen zur Rechtsverletzung. Dieſem Mißbrauch ſucht der Geſetz- geber durch beſondere Normen (vgl. oben §. 3 II 4) vorzu- beugen; und er ſchafft, indem er das thut, eine Reihe von eigenartigen Verbrechen. Er ſchafft damit nicht neue Rechts- güter, ſondern er will die vorhandenen ſchützen, indem er den Mißbrauch ſeiner Rechtsinſtitutionen zu rechtswidrigen Zwecken verpönt. Nur um dieſen Gegenſatz und zugleich die Beziehung zu der Rechtsgüterwelt auszudrücken, können wir die Integrität dieſer Rechtsinſtitutionen und dann dieſe ſelbſt als uneigentliche Rechtsgüter bezeichnen, wobei der Ton auf dem Adjektiv, nicht auf dem Subſtantiv liegt. In dieſe Gruppe von ſtrafbaren Handlungen gehören: 1. die Delikte an Geld; 2. die Delikte an Urkunden; 3. die Delikte gegen die Religion; 4. die Delikte an Perſonenſtand und Ehe; 5. die Delikte gegen die Sittlichkeit (die ſtaatliche Regelung des Geſchlechtstriebes); 6. die Delikte im Amte.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/258>, abgerufen am 25.04.2024.