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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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III. Delikte gegen die Religion. §. 89.
willen geschützt. Das staatliche Interesse an dem Vorhanden-
sein der richtigen staatsbürgerlichen Gesinnung, als deren
Fundament religiöser Sinn von maßgebender Seite betrachtet
wird; das Recht der Religionsgenossenschaften auf ungestörte
Religionsübung; das Interesse des Einzelnen und des Publi-
kums an Nichtverletzung des religiösen Gefühles: alle diese
verschiedenen Interessen hat der Staat im Auge, wenn er
Angriffe auf die Religion unter Strafe stellt. Um jener
eigentlichen Rechtsgüter willen erhebt er die Religion zum
uneigentlichen, juristischen Rechtsgut. Nach Reichsrecht ist
strafbar:

I. Die Erregung eines Aergernisses (d. i. die
Verletzung des religiösen Gefühls,2 wobei nicht der Stand-
punkt der Zuhörenden, sondern der objektive Maßstab des
Richters entscheidet) durch öffentlich3 (unbestimmt wie
vielen und unbestimmt welchen Personen zugänglich) und in
beschimpfenden Aeußerungen erfolgende Lästerung
Gottes
(StGB. §. 166). Dabei ist der Gottesbegriff im
Sinne der anerkannten Religionsgesellschaften, also im streng
konfessionellen Sinne zu interpretieren.4 Mangelnde Rechts-
widrigkeit (man denke z. B. an wissenschaftliche Untersuchungen)
schließt die Annahme eines Deliktes hier wie überall aus.

2 [Spaltenumbruch] RGR. 12. Juli 1880, E
II 196, R II
183 (bez. §. 183
StGB.).
3 [Spaltenumbruch] Nicht Erregung eines öffent-
lichen Aergernisses, sondern Er-
regung eines Aergernisses durch
öffentliche Lästerung bildet den
Thatbestand des Deliktes. Wenn
daher zur Vollendung auch ge-
fordert werden muß, daß irgend[Spaltenumbruch] jemand thatsächlich Aergernis
genommen hat, in seinem re-
ligiösen Gefühle verletzt worden
ist, so genügt es doch, wenn
dies nur bei einer einzigen Per-
son der Fall war (RGR. 12. Juli
1880, E II 196, R II 183).
4 [Spaltenumbruch] Lästerung Jesu ist Gottes-
lästerung: RGR. 13. Dezember
1879, R I 144.

III. Delikte gegen die Religion. §. 89.
willen geſchützt. Das ſtaatliche Intereſſe an dem Vorhanden-
ſein der richtigen ſtaatsbürgerlichen Geſinnung, als deren
Fundament religiöſer Sinn von maßgebender Seite betrachtet
wird; das Recht der Religionsgenoſſenſchaften auf ungeſtörte
Religionsübung; das Intereſſe des Einzelnen und des Publi-
kums an Nichtverletzung des religiöſen Gefühles: alle dieſe
verſchiedenen Intereſſen hat der Staat im Auge, wenn er
Angriffe auf die Religion unter Strafe ſtellt. Um jener
eigentlichen Rechtsgüter willen erhebt er die Religion zum
uneigentlichen, juriſtiſchen Rechtsgut. Nach Reichsrecht iſt
ſtrafbar:

I. Die Erregung eines Aergerniſſes (d. i. die
Verletzung des religiöſen Gefühls,2 wobei nicht der Stand-
punkt der Zuhörenden, ſondern der objektive Maßſtab des
Richters entſcheidet) durch öffentlich3 (unbeſtimmt wie
vielen und unbeſtimmt welchen Perſonen zugänglich) und in
beſchimpfenden Aeußerungen erfolgende Läſterung
Gottes
(StGB. §. 166). Dabei iſt der Gottesbegriff im
Sinne der anerkannten Religionsgeſellſchaften, alſo im ſtreng
konfeſſionellen Sinne zu interpretieren.4 Mangelnde Rechts-
widrigkeit (man denke z. B. an wiſſenſchaftliche Unterſuchungen)
ſchließt die Annahme eines Deliktes hier wie überall aus.

2 [Spaltenumbruch] RGR. 12. Juli 1880, E
II 196, R II
183 (bez. §. 183
StGB.).
3 [Spaltenumbruch] Nicht Erregung eines öffent-
lichen Aergerniſſes, ſondern Er-
regung eines Aergerniſſes durch
öffentliche Läſterung bildet den
Thatbeſtand des Deliktes. Wenn
daher zur Vollendung auch ge-
fordert werden muß, daß irgend[Spaltenumbruch] jemand thatſächlich Aergernis
genommen hat, in ſeinem re-
ligiöſen Gefühle verletzt worden
iſt, ſo genügt es doch, wenn
dies nur bei einer einzigen Per-
ſon der Fall war (RGR. 12. Juli
1880, E II 196, R II 183).
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läſterung: RGR. 13. Dezember
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[365/0391] III. Delikte gegen die Religion. §. 89. willen geſchützt. Das ſtaatliche Intereſſe an dem Vorhanden- ſein der richtigen ſtaatsbürgerlichen Geſinnung, als deren Fundament religiöſer Sinn von maßgebender Seite betrachtet wird; das Recht der Religionsgenoſſenſchaften auf ungeſtörte Religionsübung; das Intereſſe des Einzelnen und des Publi- kums an Nichtverletzung des religiöſen Gefühles: alle dieſe verſchiedenen Intereſſen hat der Staat im Auge, wenn er Angriffe auf die Religion unter Strafe ſtellt. Um jener eigentlichen Rechtsgüter willen erhebt er die Religion zum uneigentlichen, juriſtiſchen Rechtsgut. Nach Reichsrecht iſt ſtrafbar: I. Die Erregung eines Aergerniſſes (d. i. die Verletzung des religiöſen Gefühls, 2 wobei nicht der Stand- punkt der Zuhörenden, ſondern der objektive Maßſtab des Richters entſcheidet) durch öffentlich 3 (unbeſtimmt wie vielen und unbeſtimmt welchen Perſonen zugänglich) und in beſchimpfenden Aeußerungen erfolgende Läſterung Gottes (StGB. §. 166). Dabei iſt der Gottesbegriff im Sinne der anerkannten Religionsgeſellſchaften, alſo im ſtreng konfeſſionellen Sinne zu interpretieren. 4 Mangelnde Rechts- widrigkeit (man denke z. B. an wiſſenſchaftliche Unterſuchungen) ſchließt die Annahme eines Deliktes hier wie überall aus. 2 RGR. 12. Juli 1880, E II 196, R II 183 (bez. §. 183 StGB.). 3 Nicht Erregung eines öffent- lichen Aergerniſſes, ſondern Er- regung eines Aergerniſſes durch öffentliche Läſterung bildet den Thatbeſtand des Deliktes. Wenn daher zur Vollendung auch ge- fordert werden muß, daß irgend jemand thatſächlich Aergernis genommen hat, in ſeinem re- ligiöſen Gefühle verletzt worden iſt, ſo genügt es doch, wenn dies nur bei einer einzigen Per- ſon der Fall war (RGR. 12. Juli 1880, E II 196, R II 183). 4 Läſterung Jeſu iſt Gottes- läſterung: RGR. 13. Dezember 1879, R I 144.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/391>, abgerufen am 29.03.2024.