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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Gegen die Verwaltung überhaupt. §. 102.
ändert; wird der Mißbrauch der Beteuerungsform, der nur
Strafbarkeitsmerkmal ist, nicht zum Normwidrigkeitsmerkmal
gestempelt. Und andererseits ist damit zugleich nachgewiesen,
daß die inkorrekt sogenannten Eidesdelikte ihren Platz im
Systeme des Strafrechtes nicht neben Urkunden- und Münz-
fälschung haben können; denn während diese strafbar sind
ohne jede weitere Rücksichtnahme auf ihre Richtung gegen
ein bestimmtes Rechtsgut, ist der Mißbrauch des Eides und
der verwandten Beteuerungsformen nur strafbar, wenn hinzu-
tretend zu einer falschen Aussage vor Gericht oder vor einer
anderen öffentlichen Behörde. Diese falsche bekräftigte Aus-
sage aber hat unverkennbar die Richtung gegen ein be-
stimmtes Rechtsgut: sie gefährdet die Sicherheit nicht bloß
der Rechtspflege, sondern des Ganges der Staatsverwaltung
überhaupt, soweit diese ihren Entscheidungen die Aussagen
der Staatsbürger zu Grunde legt. Selbst wenn also die
"publica fides" ein Rechtsgut wäre -- thatsächlich ist sie ein
Wort, hinter dem ein Begriff nicht steckt, -- wäre die falsche
Aussage nicht als unmittelbar gegen sie gerichtet aufzu-
fassen.3

2. Unter den eben besprochenen, sofort näher zu erläu-
ternden Voraussetzungen ist die falsche beeidete oder bekräf-
tigte Aussage strafbar. Sind sie gegeben, so darf weder
die Rechtsgültigkeit der Beteuerungsform,4 noch die Beach-
tung der für den Gebrauch derselben vorgezeichneten Forma-
litäten, noch auch die Erheblichkeit der einzelnen Aussage5

3 [Spaltenumbruch] Ich habe keine Veranlassung,
von dieser schon 1877 in meiner
"falschen Aussage" vertretenen
Ansicht abzugehen.
4 [Spaltenumbruch] Ebenso RGR. 23. Februar
1880, E I 217.
5 [Spaltenumbruch] Auch falsche Beantwortung
der Generalfragen kann strafbar
machen, wenn sich die Beteue-

Gegen die Verwaltung überhaupt. §. 102.
ändert; wird der Mißbrauch der Beteuerungsform, der nur
Strafbarkeitsmerkmal iſt, nicht zum Normwidrigkeitsmerkmal
geſtempelt. Und andererſeits iſt damit zugleich nachgewieſen,
daß die inkorrekt ſogenannten Eidesdelikte ihren Platz im
Syſteme des Strafrechtes nicht neben Urkunden- und Münz-
fälſchung haben können; denn während dieſe ſtrafbar ſind
ohne jede weitere Rückſichtnahme auf ihre Richtung gegen
ein beſtimmtes Rechtsgut, iſt der Mißbrauch des Eides und
der verwandten Beteuerungsformen nur ſtrafbar, wenn hinzu-
tretend zu einer falſchen Ausſage vor Gericht oder vor einer
anderen öffentlichen Behörde. Dieſe falſche bekräftigte Aus-
ſage aber hat unverkennbar die Richtung gegen ein be-
ſtimmtes Rechtsgut: ſie gefährdet die Sicherheit nicht bloß
der Rechtspflege, ſondern des Ganges der Staatsverwaltung
überhaupt, ſoweit dieſe ihren Entſcheidungen die Ausſagen
der Staatsbürger zu Grunde legt. Selbſt wenn alſo die
„publica fides“ ein Rechtsgut wäre — thatſächlich iſt ſie ein
Wort, hinter dem ein Begriff nicht ſteckt, — wäre die falſche
Ausſage nicht als unmittelbar gegen ſie gerichtet aufzu-
faſſen.3

2. Unter den eben beſprochenen, ſofort näher zu erläu-
ternden Vorausſetzungen iſt die falſche beeidete oder bekräf-
tigte Ausſage ſtrafbar. Sind ſie gegeben, ſo darf weder
die Rechtsgültigkeit der Beteuerungsform,4 noch die Beach-
tung der für den Gebrauch derſelben vorgezeichneten Forma-
litäten, noch auch die Erheblichkeit der einzelnen Ausſage5

3 [Spaltenumbruch] Ich habe keine Veranlaſſung,
von dieſer ſchon 1877 in meiner
„falſchen Ausſage“ vertretenen
Anſicht abzugehen.
4 [Spaltenumbruch] Ebenſo RGR. 23. Februar
1880, E I 217.
5 [Spaltenumbruch] Auch falſche Beantwortung
der Generalfragen kann ſtrafbar
machen, wenn ſich die Beteue-
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[421/0447] Gegen die Verwaltung überhaupt. §. 102. ändert; wird der Mißbrauch der Beteuerungsform, der nur Strafbarkeitsmerkmal iſt, nicht zum Normwidrigkeitsmerkmal geſtempelt. Und andererſeits iſt damit zugleich nachgewieſen, daß die inkorrekt ſogenannten Eidesdelikte ihren Platz im Syſteme des Strafrechtes nicht neben Urkunden- und Münz- fälſchung haben können; denn während dieſe ſtrafbar ſind ohne jede weitere Rückſichtnahme auf ihre Richtung gegen ein beſtimmtes Rechtsgut, iſt der Mißbrauch des Eides und der verwandten Beteuerungsformen nur ſtrafbar, wenn hinzu- tretend zu einer falſchen Ausſage vor Gericht oder vor einer anderen öffentlichen Behörde. Dieſe falſche bekräftigte Aus- ſage aber hat unverkennbar die Richtung gegen ein be- ſtimmtes Rechtsgut: ſie gefährdet die Sicherheit nicht bloß der Rechtspflege, ſondern des Ganges der Staatsverwaltung überhaupt, ſoweit dieſe ihren Entſcheidungen die Ausſagen der Staatsbürger zu Grunde legt. Selbſt wenn alſo die „publica fides“ ein Rechtsgut wäre — thatſächlich iſt ſie ein Wort, hinter dem ein Begriff nicht ſteckt, — wäre die falſche Ausſage nicht als unmittelbar gegen ſie gerichtet aufzu- faſſen. 3 2. Unter den eben beſprochenen, ſofort näher zu erläu- ternden Vorausſetzungen iſt die falſche beeidete oder bekräf- tigte Ausſage ſtrafbar. Sind ſie gegeben, ſo darf weder die Rechtsgültigkeit der Beteuerungsform, 4 noch die Beach- tung der für den Gebrauch derſelben vorgezeichneten Forma- litäten, noch auch die Erheblichkeit der einzelnen Ausſage 5 3 Ich habe keine Veranlaſſung, von dieſer ſchon 1877 in meiner „falſchen Ausſage“ vertretenen Anſicht abzugehen. 4 Ebenſo RGR. 23. Februar 1880, E I 217. 5 Auch falſche Beantwortung der Generalfragen kann ſtrafbar machen, wenn ſich die Beteue-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/447>, abgerufen am 24.04.2024.