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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Einleitung. I. Die Grundbegriffe.
ring (Kursus der Philosophie 1875 S. 219--243); ob auch
Schütze (Lehrbuch) hieher zu rechnen, ist zweifelhaft.
Dühring führt die Strafe zurück auf das ressentiment, den
Rachetrieb, der, Ausfluß des Selbsterhaltungstriebes, nicht
nur den Menschen zur Reaktion gegen Störungen seiner
Integrität treibt.

Mit Dühring stimmt die in diesem Lehrbuche vorge-
tragene Ansicht in dem Ausgangspunkte überein; sie betont
jedoch im Gegensatze zu Dühring die im Laufe der Ent-
wicklung vor sich gegangene Umgestaltung der Strafe. Her-
bart
's Auffassung weicht bei genauerer Betrachtung nicht
wesentlich von der Dühring's ab. Hegel verleiht den Be-
griffen eine Realität, die sie nicht besitzen; Kant und Stahl
stützen ihre Theorien auf unbewiesene und unbeweisbare
Fundamentalsätze.

IV. Eine letzte Gruppe, die der gemischten, synkre-
tistischen
oder Vereinigungstheorien sucht nach der
Versöhnung der Gegensätze, nach einer Verschmelzung der
widerstrebenden Anschauungen. Aus den überaus zalreichen,
hieher gehörenden Theorien können nur einzelne hervorge-
hoben werden.

1. Nach Berner (Lehrbuch) ist die Strafe Vergeltung,
also notwendige Folge des Verbrechens. Aber die von der
Gerechtigkeit geforderte Strafe liegt zwischen einem Maximum
und einem Minimum, innerhalb dessen die von den Zweck-
mäßigkeitstheorien betonten Zwecke der Strafe Berücksichti-
gung finden können und müssen. Berner's Ansicht beruht,
wie bereits wiederholt nachgewiesen, auf einem Sophisma:
sie operiert einmal mit dem Gattungsbegriff des Deliktes, und
dann mit dem konkreten Delikt. Letzterem kann vom Stand-

Einleitung. I. Die Grundbegriffe.
ring (Kurſus der Philoſophie 1875 S. 219—243); ob auch
Schütze (Lehrbuch) hieher zu rechnen, iſt zweifelhaft.
Dühring führt die Strafe zurück auf das ressentiment, den
Rachetrieb, der, Ausfluß des Selbſterhaltungstriebes, nicht
nur den Menſchen zur Reaktion gegen Störungen ſeiner
Integrität treibt.

Mit Dühring ſtimmt die in dieſem Lehrbuche vorge-
tragene Anſicht in dem Ausgangspunkte überein; ſie betont
jedoch im Gegenſatze zu Dühring die im Laufe der Ent-
wicklung vor ſich gegangene Umgeſtaltung der Strafe. Her-
bart
’s Auffaſſung weicht bei genauerer Betrachtung nicht
weſentlich von der Dühring’s ab. Hegel verleiht den Be-
griffen eine Realität, die ſie nicht beſitzen; Kant und Stahl
ſtützen ihre Theorien auf unbewieſene und unbeweisbare
Fundamentalſätze.

IV. Eine letzte Gruppe, die der gemiſchten, ſynkre-
tiſtiſchen
oder Vereinigungstheorien ſucht nach der
Verſöhnung der Gegenſätze, nach einer Verſchmelzung der
widerſtrebenden Anſchauungen. Aus den überaus zalreichen,
hieher gehörenden Theorien können nur einzelne hervorge-
hoben werden.

1. Nach Berner (Lehrbuch) iſt die Strafe Vergeltung,
alſo notwendige Folge des Verbrechens. Aber die von der
Gerechtigkeit geforderte Strafe liegt zwiſchen einem Maximum
und einem Minimum, innerhalb deſſen die von den Zweck-
mäßigkeitstheorien betonten Zwecke der Strafe Berückſichti-
gung finden können und müſſen. Berner’s Anſicht beruht,
wie bereits wiederholt nachgewieſen, auf einem Sophisma:
ſie operiert einmal mit dem Gattungsbegriff des Deliktes, und
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[22/0048] Einleitung. I. Die Grundbegriffe. ring (Kurſus der Philoſophie 1875 S. 219—243); ob auch Schütze (Lehrbuch) hieher zu rechnen, iſt zweifelhaft. Dühring führt die Strafe zurück auf das ressentiment, den Rachetrieb, der, Ausfluß des Selbſterhaltungstriebes, nicht nur den Menſchen zur Reaktion gegen Störungen ſeiner Integrität treibt. Mit Dühring ſtimmt die in dieſem Lehrbuche vorge- tragene Anſicht in dem Ausgangspunkte überein; ſie betont jedoch im Gegenſatze zu Dühring die im Laufe der Ent- wicklung vor ſich gegangene Umgeſtaltung der Strafe. Her- bart’s Auffaſſung weicht bei genauerer Betrachtung nicht weſentlich von der Dühring’s ab. Hegel verleiht den Be- griffen eine Realität, die ſie nicht beſitzen; Kant und Stahl ſtützen ihre Theorien auf unbewieſene und unbeweisbare Fundamentalſätze. IV. Eine letzte Gruppe, die der gemiſchten, ſynkre- tiſtiſchen oder Vereinigungstheorien ſucht nach der Verſöhnung der Gegenſätze, nach einer Verſchmelzung der widerſtrebenden Anſchauungen. Aus den überaus zalreichen, hieher gehörenden Theorien können nur einzelne hervorge- hoben werden. 1. Nach Berner (Lehrbuch) iſt die Strafe Vergeltung, alſo notwendige Folge des Verbrechens. Aber die von der Gerechtigkeit geforderte Strafe liegt zwiſchen einem Maximum und einem Minimum, innerhalb deſſen die von den Zweck- mäßigkeitstheorien betonten Zwecke der Strafe Berückſichti- gung finden können und müſſen. Berner’s Anſicht beruht, wie bereits wiederholt nachgewieſen, auf einem Sophisma: ſie operiert einmal mit dem Gattungsbegriff des Deliktes, und dann mit dem konkreten Delikt. Letzterem kann vom Stand-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/48>, abgerufen am 29.03.2024.