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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Der Begriff des Verbrechens. §. 17.

II. Das Verbrechen ist wie das Delikt normwidrige
Handlung. Die Körperbewegung hat Veränderungen in der
Außenwelt zur Folge, diese Veränderungen sind im Wider-
spruch mit der Norm. Die Handlung bewirkt, was die
Norm verbietet; sie verhindert, was die Norm gebietet.

Ohne Normübertretung kein Verbrechen. Die irrige An-
nahme der Normwidrigkeit kann das an sich normgemäße Thun
nicht zu einem normwidrigen machen: das Putativdelikt
oder Wahnverbrechen (vgl. über dasselbe unten §. 28 I
a. E.) ist weder Delikt noch Verbrechen.

Das Verbrechen entfällt mit der Norm, also in allen
jenen Fällen, in welchen eine Ausnahme von der imperativen
Kraft der Norm eintritt (Ausschluß der Rechtswidrig-
keit
als Grund für das Nichtvorliegen eines Verbrechens).

III. Das Verbrechen ist wie das Delikt schuldhafte
normwidrige Handlung. Es tritt damit in Gegensatz zu
dem schuldlosen oder objektiven Unrecht, dem Nicht-Recht.1
Voraussetzung der Schuld ist die Zurechnungsfähigkeit,
die nur bei dem menschlichen Individuum gegeben sein kann.
Die beiden Arten der Schuld sind im modernen Rechte
Vorsatz und Fahrlässigkeit.

Ohne Schuld weder Delikt noch Verbrechen; die That
des Zurechnungsunfähigen und die weder vorsätzliche noch
fahrlässige Handlung des Zurechnungsfähigen sind strafrecht-
lich irrelevant. (Fehlende Schuld als Grund für das
Nichtvorliegen eines Verbrechens.)

IV. Das Verbrechen ist im Gegensatz zum Delikt die
vom Staate mit Strafe bedrohte schuldhafte norm-

1 [Spaltenumbruch] Vgl. darüber Meyer Lehr-
buch S. 16 Anm. 10 mit Lit.,[Spaltenumbruch] Thon Rechtsnorm u. subjekt.
Recht S. 71 ff.
von Liszt, Strafrecht. 5
Der Begriff des Verbrechens. §. 17.

II. Das Verbrechen iſt wie das Delikt normwidrige
Handlung. Die Körperbewegung hat Veränderungen in der
Außenwelt zur Folge, dieſe Veränderungen ſind im Wider-
ſpruch mit der Norm. Die Handlung bewirkt, was die
Norm verbietet; ſie verhindert, was die Norm gebietet.

Ohne Normübertretung kein Verbrechen. Die irrige An-
nahme der Normwidrigkeit kann das an ſich normgemäße Thun
nicht zu einem normwidrigen machen: das Putativdelikt
oder Wahnverbrechen (vgl. über dasſelbe unten §. 28 I
a. E.) iſt weder Delikt noch Verbrechen.

Das Verbrechen entfällt mit der Norm, alſo in allen
jenen Fällen, in welchen eine Ausnahme von der imperativen
Kraft der Norm eintritt (Ausſchluß der Rechtswidrig-
keit
als Grund für das Nichtvorliegen eines Verbrechens).

III. Das Verbrechen iſt wie das Delikt ſchuldhafte
normwidrige Handlung. Es tritt damit in Gegenſatz zu
dem ſchuldloſen oder objektiven Unrecht, dem Nicht-Recht.1
Vorausſetzung der Schuld iſt die Zurechnungsfähigkeit,
die nur bei dem menſchlichen Individuum gegeben ſein kann.
Die beiden Arten der Schuld ſind im modernen Rechte
Vorſatz und Fahrläſſigkeit.

Ohne Schuld weder Delikt noch Verbrechen; die That
des Zurechnungsunfähigen und die weder vorſätzliche noch
fahrläſſige Handlung des Zurechnungsfähigen ſind ſtrafrecht-
lich irrelevant. (Fehlende Schuld als Grund für das
Nichtvorliegen eines Verbrechens.)

IV. Das Verbrechen iſt im Gegenſatz zum Delikt die
vom Staate mit Strafe bedrohte ſchuldhafte norm-

1 [Spaltenumbruch] Vgl. darüber Meyer Lehr-
buch S. 16 Anm. 10 mit Lit.,[Spaltenumbruch] Thon Rechtsnorm u. ſubjekt.
Recht S. 71 ff.
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[65/0091] Der Begriff des Verbrechens. §. 17. II. Das Verbrechen iſt wie das Delikt normwidrige Handlung. Die Körperbewegung hat Veränderungen in der Außenwelt zur Folge, dieſe Veränderungen ſind im Wider- ſpruch mit der Norm. Die Handlung bewirkt, was die Norm verbietet; ſie verhindert, was die Norm gebietet. Ohne Normübertretung kein Verbrechen. Die irrige An- nahme der Normwidrigkeit kann das an ſich normgemäße Thun nicht zu einem normwidrigen machen: das Putativdelikt oder Wahnverbrechen (vgl. über dasſelbe unten §. 28 I a. E.) iſt weder Delikt noch Verbrechen. Das Verbrechen entfällt mit der Norm, alſo in allen jenen Fällen, in welchen eine Ausnahme von der imperativen Kraft der Norm eintritt (Ausſchluß der Rechtswidrig- keit als Grund für das Nichtvorliegen eines Verbrechens). III. Das Verbrechen iſt wie das Delikt ſchuldhafte normwidrige Handlung. Es tritt damit in Gegenſatz zu dem ſchuldloſen oder objektiven Unrecht, dem Nicht-Recht. 1 Vorausſetzung der Schuld iſt die Zurechnungsfähigkeit, die nur bei dem menſchlichen Individuum gegeben ſein kann. Die beiden Arten der Schuld ſind im modernen Rechte Vorſatz und Fahrläſſigkeit. Ohne Schuld weder Delikt noch Verbrechen; die That des Zurechnungsunfähigen und die weder vorſätzliche noch fahrläſſige Handlung des Zurechnungsfähigen ſind ſtrafrecht- lich irrelevant. (Fehlende Schuld als Grund für das Nichtvorliegen eines Verbrechens.) IV. Das Verbrechen iſt im Gegenſatz zum Delikt die vom Staate mit Strafe bedrohte ſchuldhafte norm- 1 Vgl. darüber Meyer Lehr- buch S. 16 Anm. 10 mit Lit., Thon Rechtsnorm u. ſubjekt. Recht S. 71 ff. von Liszt, Strafrecht. 5

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/91>, abgerufen am 28.03.2024.