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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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II. Buch. Der völkerrecht. Verkehr der Staaten im allgemeinen.
Unwirksamkeit der abgegebenen Willenserklärung zur Folge; doch
tritt diese Wirkung nicht ipso jure, sondern nur dann ein, wenn
der Staat, der die Willenserklärung abgegeben hat, sich auf jene
Unwirksamkeit beruft: denn auch hier gilt das Stillschweigen als
Zustimmung.

5. Die Willenserklärung kann angefochten werden wegen wesent-
lichen Irrtums oder wegen eines auf die Person des Erklärenden aus-
geübten Zwanges. Keine Ausnahme bilden die Kriegsverträge mit Ein-
schluss des Friedensvertrages. Auch diese können nur angefochten
werden, wenn gegen den vertragschliessenden Vertreter des Staates
Zwang geübt worden ist, nicht aber, weil der unterlegene Staat selbst
sich in einer Zwangslage befunden hat. Nicht die Kriegsgefangen-
schaft an sich, wohl aber der zu ihr hinzutretende völkerrechtswidrige
Zwang bildet einen Anfechtungsgrund. Der Friedensvertrag, den das
in Kriegsgefangenschaft befindliche, im Lande des Eroberers weilende
Staatsoberhaupt abgeschlossen hat, bindet den von ihm vertretenen
Staat, soweit nicht etwa die Kriegsgefangenschaft selbst unmittelbar
oder mittelbar nach dem Staatsrecht seines Staates ihm die Vertretungs-
befugnis entzogen hat.

§ 21. Die völkerrechtlichen Verträge.

Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatsverträge. 1880.

Seligmann, Abschluss und Wirksamkeit der Staatsverträge. 1890.

Nippold, Der völkerrechtliche Vertrag, seine Stellung im Rechtssystem
und seine Bedeutung für das internationale Recht. 1894.

Wegmann, Die Ratifikation von Staatsverträgen. 1892.

Stoerk in Stengels Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts II 516.

I.

Völkerrechtlicher Vertrag, der an dieser Stelle nur als Rechts-
geschäft, nicht als Rechtsatzung
(oben § 2 I 2) in Betracht kommt, ist
die zwischen zwei oder mehreren Staaten über staatliche Hoheitsrechte
zu stande gekommene Willenseinigung.

1. Die Fähigkeit, Verträge zu schliessen, ist Ausfluss der Sou-
veränität. Doch pflegt halbsouveränen Staaten meist das Recht ein-
geräumt zu sein, auf nichtpolitischem Gebiet Verträge, insbesondere
Handelsverträge, zu schliessen
(oben § 6 IV 1 S. 31).

So hat Egypten nach dem Firman vom 20. Januar 1879 das
Recht, alle Verträge abzuschliessen und zu vereinbaren, die das

II. Buch. Der völkerrecht. Verkehr der Staaten im allgemeinen.
Unwirksamkeit der abgegebenen Willenserklärung zur Folge; doch
tritt diese Wirkung nicht ipso jure, sondern nur dann ein, wenn
der Staat, der die Willenserklärung abgegeben hat, sich auf jene
Unwirksamkeit beruft: denn auch hier gilt das Stillschweigen als
Zustimmung.

5. Die Willenserklärung kann angefochten werden wegen wesent-
lichen Irrtums oder wegen eines auf die Person des Erklärenden aus-
geübten Zwanges. Keine Ausnahme bilden die Kriegsverträge mit Ein-
schluſs des Friedensvertrages. Auch diese können nur angefochten
werden, wenn gegen den vertragschlieſsenden Vertreter des Staates
Zwang geübt worden ist, nicht aber, weil der unterlegene Staat selbst
sich in einer Zwangslage befunden hat. Nicht die Kriegsgefangen-
schaft an sich, wohl aber der zu ihr hinzutretende völkerrechtswidrige
Zwang bildet einen Anfechtungsgrund. Der Friedensvertrag, den das
in Kriegsgefangenschaft befindliche, im Lande des Eroberers weilende
Staatsoberhaupt abgeschlossen hat, bindet den von ihm vertretenen
Staat, soweit nicht etwa die Kriegsgefangenschaft selbst unmittelbar
oder mittelbar nach dem Staatsrecht seines Staates ihm die Vertretungs-
befugnis entzogen hat.

§ 21. Die völkerrechtlichen Verträge.

Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatsverträge. 1880.

Seligmann, Abschluſs und Wirksamkeit der Staatsverträge. 1890.

Nippold, Der völkerrechtliche Vertrag, seine Stellung im Rechtssystem
und seine Bedeutung für das internationale Recht. 1894.

Wegmann, Die Ratifikation von Staatsverträgen. 1892.

Stoerk in Stengels Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts II 516.

I.

Völkerrechtlicher Vertrag, der an dieser Stelle nur als Rechts-
geschäft, nicht als Rechtsatzung
(oben § 2 I 2) in Betracht kommt, ist
die zwischen zwei oder mehreren Staaten über staatliche Hoheitsrechte
zu stande gekommene Willenseinigung.

1. Die Fähigkeit, Verträge zu schlieſsen, ist Ausfluſs der Sou-
veränität. Doch pflegt halbsouveränen Staaten meist das Recht ein-
geräumt zu sein, auf nichtpolitischem Gebiet Verträge, insbesondere
Handelsverträge, zu schlieſsen
(oben § 6 IV 1 S. 31).

So hat Egypten nach dem Firman vom 20. Januar 1879 das
Recht, alle Verträge abzuschlieſsen und zu vereinbaren, die das

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[112/0134] II. Buch. Der völkerrecht. Verkehr der Staaten im allgemeinen. Unwirksamkeit der abgegebenen Willenserklärung zur Folge; doch tritt diese Wirkung nicht ipso jure, sondern nur dann ein, wenn der Staat, der die Willenserklärung abgegeben hat, sich auf jene Unwirksamkeit beruft: denn auch hier gilt das Stillschweigen als Zustimmung. 5. Die Willenserklärung kann angefochten werden wegen wesent- lichen Irrtums oder wegen eines auf die Person des Erklärenden aus- geübten Zwanges. Keine Ausnahme bilden die Kriegsverträge mit Ein- schluſs des Friedensvertrages. Auch diese können nur angefochten werden, wenn gegen den vertragschlieſsenden Vertreter des Staates Zwang geübt worden ist, nicht aber, weil der unterlegene Staat selbst sich in einer Zwangslage befunden hat. Nicht die Kriegsgefangen- schaft an sich, wohl aber der zu ihr hinzutretende völkerrechtswidrige Zwang bildet einen Anfechtungsgrund. Der Friedensvertrag, den das in Kriegsgefangenschaft befindliche, im Lande des Eroberers weilende Staatsoberhaupt abgeschlossen hat, bindet den von ihm vertretenen Staat, soweit nicht etwa die Kriegsgefangenschaft selbst unmittelbar oder mittelbar nach dem Staatsrecht seines Staates ihm die Vertretungs- befugnis entzogen hat. § 21. Die völkerrechtlichen Verträge. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatsverträge. 1880. Seligmann, Abschluſs und Wirksamkeit der Staatsverträge. 1890. Nippold, Der völkerrechtliche Vertrag, seine Stellung im Rechtssystem und seine Bedeutung für das internationale Recht. 1894. Wegmann, Die Ratifikation von Staatsverträgen. 1892. Stoerk in Stengels Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts II 516. I. Völkerrechtlicher Vertrag, der an dieser Stelle nur als Rechts- geschäft, nicht als Rechtsatzung (oben § 2 I 2) in Betracht kommt, ist die zwischen zwei oder mehreren Staaten über staatliche Hoheitsrechte zu stande gekommene Willenseinigung. 1. Die Fähigkeit, Verträge zu schlieſsen, ist Ausfluſs der Sou- veränität. Doch pflegt halbsouveränen Staaten meist das Recht ein- geräumt zu sein, auf nichtpolitischem Gebiet Verträge, insbesondere Handelsverträge, zu schlieſsen (oben § 6 IV 1 S. 31). So hat Egypten nach dem Firman vom 20. Januar 1879 das Recht, alle Verträge abzuschlieſsen und zu vereinbaren, die das

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/134>, abgerufen am 19.04.2024.