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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 21. Die völkerrechtlichen Verträge.
Zollwesen, den Handel, die Fremdenpolizei und die Beziehungen
der Fremden zu der Regierung und der eingeborenen Bevölkerung
betreffen; doch dürfen dadurch die politischen Verträge der Türkei
und ihre Hoheitsrechte über Egypten keine Einbusse erleiden. Die
dauernd neutralisierten Staaten sollen Verträge, durch welche sie
in kriegerische Unternehmungen verwickelt werden können, nicht
schliessen; aber die von ihnen dennoch geschlossenen Verträge
sind rechtswirksam (oben § 6 III).

2. Das Recht des Vertragschlusses kann durch die souveräne
Staatsgewalt der Ausübung nach übertragen werden:
etwa an hoch-
gestellte Beamte, oder an Kolonisationsgesellschaften oder auch an
einzelne Teile des Reiches (oben § 12 II 5). So haben im Kriege die
Befehlshaber der Truppen ein weitgehendes Recht zum Abschluss
von Kriegsverträgen aller Art; Canada hat nach der Verfassung
von 1867 das Recht, selbständige Zollverträge abzuschliessen und
hat von diesem Recht auch wiederholt Gebrauch gemacht. Da-
gegen bezeichnet sich der deutsch-englische Vertrag vom 25. April
1870 (B. G. Bl. S. 565) zu Unrecht als zwischen den beiden General-
postämtern geschlossen; denn er bedurfte der Ratifikation, die
thatsächlich auch erfolgt ist.

II.

Der Abschluss der Staatsverträge erfolgt durch die unmittel-
bare oder mittelbare Willenserklärung des Staatsoberhauptes.

1. Die Staatenpraxis hat jedoch dahin geführt, dass von be-
sonderen Fällen (wie den Kriegsverträgen) und besonderen Verein-
barungen abgesehen, zum rechtswirksamen Abschluss aller Staatsver-
träge die ausdrückliche und in besonderer Form unmittelbar abgegebene
Erklärung des Staatsoberhauptes erfordert wird.

Die von den Bevollmächtigten der miteinander verhandeln-
den Staaten getroffenen, zu Protokoll gebrachten und unterzeich-
neten Vereinbarungen erlangen daher völkerrechtlich verbindliche
Kraft erst mit der Genehmigung oder Ratifikation des Staats-
oberhauptes. Es ist unrichtig, den Vertrag schon mit der Unter-
schrift durch die Bevollmächtigten als suspensiv bedingt wirksam
anzusehen; denn nach erfolgter Genehmigung wird nur die Datierung,

v. Liszt, Völkerrecht. 8

§ 21. Die völkerrechtlichen Verträge.
Zollwesen, den Handel, die Fremdenpolizei und die Beziehungen
der Fremden zu der Regierung und der eingeborenen Bevölkerung
betreffen; doch dürfen dadurch die politischen Verträge der Türkei
und ihre Hoheitsrechte über Egypten keine Einbuſse erleiden. Die
dauernd neutralisierten Staaten sollen Verträge, durch welche sie
in kriegerische Unternehmungen verwickelt werden können, nicht
schlieſsen; aber die von ihnen dennoch geschlossenen Verträge
sind rechtswirksam (oben § 6 III).

2. Das Recht des Vertragschlusses kann durch die souveräne
Staatsgewalt der Ausübung nach übertragen werden:
etwa an hoch-
gestellte Beamte, oder an Kolonisationsgesellschaften oder auch an
einzelne Teile des Reiches (oben § 12 II 5). So haben im Kriege die
Befehlshaber der Truppen ein weitgehendes Recht zum Abschluſs
von Kriegsverträgen aller Art; Canada hat nach der Verfassung
von 1867 das Recht, selbständige Zollverträge abzuschlieſsen und
hat von diesem Recht auch wiederholt Gebrauch gemacht. Da-
gegen bezeichnet sich der deutsch-englische Vertrag vom 25. April
1870 (B. G. Bl. S. 565) zu Unrecht als zwischen den beiden General-
postämtern geschlossen; denn er bedurfte der Ratifikation, die
thatsächlich auch erfolgt ist.

II.

Der Abschluſs der Staatsverträge erfolgt durch die unmittel-
bare oder mittelbare Willenserklärung des Staatsoberhauptes.

1. Die Staatenpraxis hat jedoch dahin geführt, daſs von be-
sonderen Fällen (wie den Kriegsverträgen) und besonderen Verein-
barungen abgesehen, zum rechtswirksamen Abschluſs aller Staatsver-
träge die ausdrückliche und in besonderer Form unmittelbar abgegebene
Erklärung des Staatsoberhauptes erfordert wird.

Die von den Bevollmächtigten der miteinander verhandeln-
den Staaten getroffenen, zu Protokoll gebrachten und unterzeich-
neten Vereinbarungen erlangen daher völkerrechtlich verbindliche
Kraft erst mit der Genehmigung oder Ratifikation des Staats-
oberhauptes. Es ist unrichtig, den Vertrag schon mit der Unter-
schrift durch die Bevollmächtigten als suspensiv bedingt wirksam
anzusehen; denn nach erfolgter Genehmigung wird nur die Datierung,

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[113/0135] § 21. Die völkerrechtlichen Verträge. Zollwesen, den Handel, die Fremdenpolizei und die Beziehungen der Fremden zu der Regierung und der eingeborenen Bevölkerung betreffen; doch dürfen dadurch die politischen Verträge der Türkei und ihre Hoheitsrechte über Egypten keine Einbuſse erleiden. Die dauernd neutralisierten Staaten sollen Verträge, durch welche sie in kriegerische Unternehmungen verwickelt werden können, nicht schlieſsen; aber die von ihnen dennoch geschlossenen Verträge sind rechtswirksam (oben § 6 III). 2. Das Recht des Vertragschlusses kann durch die souveräne Staatsgewalt der Ausübung nach übertragen werden: etwa an hoch- gestellte Beamte, oder an Kolonisationsgesellschaften oder auch an einzelne Teile des Reiches (oben § 12 II 5). So haben im Kriege die Befehlshaber der Truppen ein weitgehendes Recht zum Abschluſs von Kriegsverträgen aller Art; Canada hat nach der Verfassung von 1867 das Recht, selbständige Zollverträge abzuschlieſsen und hat von diesem Recht auch wiederholt Gebrauch gemacht. Da- gegen bezeichnet sich der deutsch-englische Vertrag vom 25. April 1870 (B. G. Bl. S. 565) zu Unrecht als zwischen den beiden General- postämtern geschlossen; denn er bedurfte der Ratifikation, die thatsächlich auch erfolgt ist. II. Der Abschluſs der Staatsverträge erfolgt durch die unmittel- bare oder mittelbare Willenserklärung des Staatsoberhauptes. 1. Die Staatenpraxis hat jedoch dahin geführt, daſs von be- sonderen Fällen (wie den Kriegsverträgen) und besonderen Verein- barungen abgesehen, zum rechtswirksamen Abschluſs aller Staatsver- träge die ausdrückliche und in besonderer Form unmittelbar abgegebene Erklärung des Staatsoberhauptes erfordert wird. Die von den Bevollmächtigten der miteinander verhandeln- den Staaten getroffenen, zu Protokoll gebrachten und unterzeich- neten Vereinbarungen erlangen daher völkerrechtlich verbindliche Kraft erst mit der Genehmigung oder Ratifikation des Staats- oberhauptes. Es ist unrichtig, den Vertrag schon mit der Unter- schrift durch die Bevollmächtigten als suspensiv bedingt wirksam anzusehen; denn nach erfolgter Genehmigung wird nur die Datierung, v. Liszt, Völkerrecht. 8

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/135>, abgerufen am 29.03.2024.