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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte.
bemannt werden, oder dass sie seine Häfen ohne Not als Zufluchts-
ort oder zur Einholung von Kohlen oder Ausbesserung von Havarieen
benutzen; er haftet für allen durch diese Schiffe dem Gegner ver-
ursachten Schaden, wenn er diese Verletzung der Neutralität wissent-
lich oder fahrlässig geschehen liess (Alabama-Fall, oben § 38 II
S. 202).

3. Der neutrale Staat darf sich nicht selbst an der von einem
der Kriegführenden ausgeschriebenen Kriegsanleihe beteiligen, braucht
aber seine Staatsangehörigen an der Beteiligung nicht zu hindern und
kann daher
(wie das England 1870 bezüglich der von dem Gouverne-
ment de la defense nationale ausgeschriebenen Morgan-Anleihe ge-
than hat) die Auflegung zur Zeichnung seinen Börsen gestatten. Er
darf nicht selbst Kriegslieferungen und Kriegsleistungen
(etwa Truppen-
transporte) übernehmen, kann aber seinen Angehörigen gestatten, das
auf ihre eigene Rechnung und Gefahr zu thun.

Die neutralisierten Staaten haben häufig, teils durch allge-
meine Gesetze (so die englische Foreign Enlistement Act von 1870)
oder durch besondere für die Dauer des Kriegs erlassene Ausfuhr-
verbote (von Kriegsmaterial, Schiffen, Pferden u. s. w.) solche
Lieferungen und Leistungen zu verhindern sich bemüht, während
die deutsche Industrie gerade aus den letzten Kriegen vielfach
Vorteile gezogen hat.

III.

Nach heute feststehendem Rechtssatz ist der Handel der Neu-
tralen auch in Kriegszeiten frei. Die Staatsangehörigen der Neutralen
dürfen zu Wasser und zu Lande, nicht nur unter sich, sondern auch
mit den Kriegführenden selbst, nicht nur auf neutralem Gebiet, son-
dern auch auf dem Kriegsschauplatz, Handel treiben. Doch unterliegt
die Kriegskontrebande
(unten IV) zu Lande wie insbesondere zur See
der Wegnahme durch den Kriegführenden; und im Seekrieg sperrt die
Blokade
(oben § 42 II) den Verkehr der Neutralen mit dem blokierten
Gebiet.

1. Diese Sätze beruhen auf der Pariser Seerechtsdeklaration von
1856. Durch diese wurde ausgesprochen, dass, von der Kontrebande ab-
gesehen, nur feindliches Gut unter feindlicher Flagge der Wegnahme im
Seekrieg unterliegt
(oben § 42 III). Feindliches Gut unter neutraler
Flagge wird durch diese gedeckt und bleibt frei.
("Le pavillon neutre

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§ 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte.
bemannt werden, oder daſs sie seine Häfen ohne Not als Zufluchts-
ort oder zur Einholung von Kohlen oder Ausbesserung von Havarieen
benutzen; er haftet für allen durch diese Schiffe dem Gegner ver-
ursachten Schaden, wenn er diese Verletzung der Neutralität wissent-
lich oder fahrlässig geschehen lieſs (Alabama-Fall, oben § 38 II
S. 202).

3. Der neutrale Staat darf sich nicht selbst an der von einem
der Kriegführenden ausgeschriebenen Kriegsanleihe beteiligen, braucht
aber seine Staatsangehörigen an der Beteiligung nicht zu hindern und
kann daher
(wie das England 1870 bezüglich der von dem Gouverne-
ment de la défense nationale ausgeschriebenen Morgan-Anleihe ge-
than hat) die Auflegung zur Zeichnung seinen Börsen gestatten. Er
darf nicht selbst Kriegslieferungen und Kriegsleistungen
(etwa Truppen-
transporte) übernehmen, kann aber seinen Angehörigen gestatten, das
auf ihre eigene Rechnung und Gefahr zu thun.

Die neutralisierten Staaten haben häufig, teils durch allge-
meine Gesetze (so die englische Foreign Enlistement Act von 1870)
oder durch besondere für die Dauer des Kriegs erlassene Ausfuhr-
verbote (von Kriegsmaterial, Schiffen, Pferden u. s. w.) solche
Lieferungen und Leistungen zu verhindern sich bemüht, während
die deutsche Industrie gerade aus den letzten Kriegen vielfach
Vorteile gezogen hat.

III.

Nach heute feststehendem Rechtssatz ist der Handel der Neu-
tralen auch in Kriegszeiten frei. Die Staatsangehörigen der Neutralen
dürfen zu Wasser und zu Lande, nicht nur unter sich, sondern auch
mit den Kriegführenden selbst, nicht nur auf neutralem Gebiet, son-
dern auch auf dem Kriegsschauplatz, Handel treiben. Doch unterliegt
die Kriegskontrebande
(unten IV) zu Lande wie insbesondere zur See
der Wegnahme durch den Kriegführenden; und im Seekrieg sperrt die
Blokade
(oben § 42 II) den Verkehr der Neutralen mit dem blokierten
Gebiet.

1. Diese Sätze beruhen auf der Pariser Seerechtsdeklaration von
1856. Durch diese wurde ausgesprochen, daſs, von der Kontrebande ab-
gesehen, nur feindliches Gut unter feindlicher Flagge der Wegnahme im
Seekrieg unterliegt
(oben § 42 III). Feindliches Gut unter neutraler
Flagge wird durch diese gedeckt und bleibt frei.
(„Le pavillon neutre

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[243/0265] § 43. Die Rechtsstellung der neutralen Mächte. bemannt werden, oder daſs sie seine Häfen ohne Not als Zufluchts- ort oder zur Einholung von Kohlen oder Ausbesserung von Havarieen benutzen; er haftet für allen durch diese Schiffe dem Gegner ver- ursachten Schaden, wenn er diese Verletzung der Neutralität wissent- lich oder fahrlässig geschehen lieſs (Alabama-Fall, oben § 38 II S. 202). 3. Der neutrale Staat darf sich nicht selbst an der von einem der Kriegführenden ausgeschriebenen Kriegsanleihe beteiligen, braucht aber seine Staatsangehörigen an der Beteiligung nicht zu hindern und kann daher (wie das England 1870 bezüglich der von dem Gouverne- ment de la défense nationale ausgeschriebenen Morgan-Anleihe ge- than hat) die Auflegung zur Zeichnung seinen Börsen gestatten. Er darf nicht selbst Kriegslieferungen und Kriegsleistungen (etwa Truppen- transporte) übernehmen, kann aber seinen Angehörigen gestatten, das auf ihre eigene Rechnung und Gefahr zu thun. Die neutralisierten Staaten haben häufig, teils durch allge- meine Gesetze (so die englische Foreign Enlistement Act von 1870) oder durch besondere für die Dauer des Kriegs erlassene Ausfuhr- verbote (von Kriegsmaterial, Schiffen, Pferden u. s. w.) solche Lieferungen und Leistungen zu verhindern sich bemüht, während die deutsche Industrie gerade aus den letzten Kriegen vielfach Vorteile gezogen hat. III. Nach heute feststehendem Rechtssatz ist der Handel der Neu- tralen auch in Kriegszeiten frei. Die Staatsangehörigen der Neutralen dürfen zu Wasser und zu Lande, nicht nur unter sich, sondern auch mit den Kriegführenden selbst, nicht nur auf neutralem Gebiet, son- dern auch auf dem Kriegsschauplatz, Handel treiben. Doch unterliegt die Kriegskontrebande (unten IV) zu Lande wie insbesondere zur See der Wegnahme durch den Kriegführenden; und im Seekrieg sperrt die Blokade (oben § 42 II) den Verkehr der Neutralen mit dem blokierten Gebiet. 1. Diese Sätze beruhen auf der Pariser Seerechtsdeklaration von 1856. Durch diese wurde ausgesprochen, daſs, von der Kontrebande ab- gesehen, nur feindliches Gut unter feindlicher Flagge der Wegnahme im Seekrieg unterliegt (oben § 42 III). Feindliches Gut unter neutraler Flagge wird durch diese gedeckt und bleibt frei. („Le pavillon neutre 16*

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/265>, abgerufen am 19.04.2024.