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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 3. Geschichte des Völkerrechts.

3. In der Wissenschaft des Völkerrechts gewinnt die positive
Methode und mit ihr die praktische Richtung, insbesondere durch
Bynkershoek (+ 1743), den Sieg über die naturrechtliche Schule.
Ihre späteren Hauptvertreter sind J. J. Moser (+ 1785) und
G. F. v. Martens (+ 1821).

III. Periode: von 1814/15 bis 1856.

1. Die Kriegszüge der französischen Republik und die durch
Napoleons Eroberungspolitik geschaffenen Wirren bedeuteten für das
Völkerrecht eine streng rückläufige Periode, die in der Kontinental-
sperre ihren schärssten Ausdruck erhielt. Sie fand ihren politischen
Abschluss durch die Bestimmungen des Pariser Friedens vom 30. Mai
1814 und durch den Wiener Kongress vom 13. November 1814
bis zum 25. Mai 1815 (Schlussakte vom 9. Juni 1815).

Aus den politischen Bestimmungen sind hervorzuheben die
Schaffung des Königreichs der Niederlande, die Anerkennung der
dauernden Neutralität der Schweiz und die Vereinbarung der deut-
schen Bundesakte vom 8. Juni 1815 (ergänzt durch die Wiener
Schlussakte vom 15. Mai 1820). Das Völkerrecht wurde weiter-
gebildet:

a) durch die Regelung der Rangordnung der Gesandten (unten
§ 14 II);
b) durch die grundsätzliche Verdammung des Negerhandels zur
See (unten § 36);
c) durch die grundsätzliche Anerkennung der freien Schiffahrt
auf allen internationalen Strömen (unten § 27).

2. Die folgenden Jahrzehnte stehen unter dem Zeichen der
"heiligen Allianz", die zunächst (26. September 1815) zwischen den
Herrschern von Österreich, Russland und Preussen geschlossen, durch
den Beitritt von Frankreich und England zur Pentarchie der Gross-
mächte sich erweiterte und im Namen des Legitimitätsprinzips die
Aufrechterhaltung des neugeschaffenen Besitzstandes der Mächte wie
die innere Ordnung der Staaten zu sichern suchte (Kongresse zu
Aachen 1818, Troppau 1820, Laibach 1821, Verona 1822). Die

§ 3. Geschichte des Völkerrechts.

3. In der Wissenschaft des Völkerrechts gewinnt die positive
Methode und mit ihr die praktische Richtung, insbesondere durch
Bynkershoek († 1743), den Sieg über die naturrechtliche Schule.
Ihre späteren Hauptvertreter sind J. J. Moser († 1785) und
G. F. v. Martens († 1821).

III. Periode: von 1814/15 bis 1856.

1. Die Kriegszüge der französischen Republik und die durch
Napoleons Eroberungspolitik geschaffenen Wirren bedeuteten für das
Völkerrecht eine streng rückläufige Periode, die in der Kontinental-
sperre ihren schärſsten Ausdruck erhielt. Sie fand ihren politischen
Abschluſs durch die Bestimmungen des Pariser Friedens vom 30. Mai
1814 und durch den Wiener Kongreſs vom 13. November 1814
bis zum 25. Mai 1815 (Schluſsakte vom 9. Juni 1815).

Aus den politischen Bestimmungen sind hervorzuheben die
Schaffung des Königreichs der Niederlande, die Anerkennung der
dauernden Neutralität der Schweiz und die Vereinbarung der deut-
schen Bundesakte vom 8. Juni 1815 (ergänzt durch die Wiener
Schluſsakte vom 15. Mai 1820). Das Völkerrecht wurde weiter-
gebildet:

a) durch die Regelung der Rangordnung der Gesandten (unten
§ 14 II);
b) durch die grundsätzliche Verdammung des Negerhandels zur
See (unten § 36);
c) durch die grundsätzliche Anerkennung der freien Schiffahrt
auf allen internationalen Strömen (unten § 27).

2. Die folgenden Jahrzehnte stehen unter dem Zeichen der
„heiligen Allianz“, die zunächst (26. September 1815) zwischen den
Herrschern von Österreich, Ruſsland und Preuſsen geschlossen, durch
den Beitritt von Frankreich und England zur Pentarchie der Groſs-
mächte sich erweiterte und im Namen des Legitimitätsprinzips die
Aufrechterhaltung des neugeschaffenen Besitzstandes der Mächte wie
die innere Ordnung der Staaten zu sichern suchte (Kongresse zu
Aachen 1818, Troppau 1820, Laibach 1821, Verona 1822). Die

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[13/0035] § 3. Geschichte des Völkerrechts. 3. In der Wissenschaft des Völkerrechts gewinnt die positive Methode und mit ihr die praktische Richtung, insbesondere durch Bynkershoek († 1743), den Sieg über die naturrechtliche Schule. Ihre späteren Hauptvertreter sind J. J. Moser († 1785) und G. F. v. Martens († 1821). III. Periode: von 1814/15 bis 1856. 1. Die Kriegszüge der französischen Republik und die durch Napoleons Eroberungspolitik geschaffenen Wirren bedeuteten für das Völkerrecht eine streng rückläufige Periode, die in der Kontinental- sperre ihren schärſsten Ausdruck erhielt. Sie fand ihren politischen Abschluſs durch die Bestimmungen des Pariser Friedens vom 30. Mai 1814 und durch den Wiener Kongreſs vom 13. November 1814 bis zum 25. Mai 1815 (Schluſsakte vom 9. Juni 1815). Aus den politischen Bestimmungen sind hervorzuheben die Schaffung des Königreichs der Niederlande, die Anerkennung der dauernden Neutralität der Schweiz und die Vereinbarung der deut- schen Bundesakte vom 8. Juni 1815 (ergänzt durch die Wiener Schluſsakte vom 15. Mai 1820). Das Völkerrecht wurde weiter- gebildet: a) durch die Regelung der Rangordnung der Gesandten (unten § 14 II); b) durch die grundsätzliche Verdammung des Negerhandels zur See (unten § 36); c) durch die grundsätzliche Anerkennung der freien Schiffahrt auf allen internationalen Strömen (unten § 27). 2. Die folgenden Jahrzehnte stehen unter dem Zeichen der „heiligen Allianz“, die zunächst (26. September 1815) zwischen den Herrschern von Österreich, Ruſsland und Preuſsen geschlossen, durch den Beitritt von Frankreich und England zur Pentarchie der Groſs- mächte sich erweiterte und im Namen des Legitimitätsprinzips die Aufrechterhaltung des neugeschaffenen Besitzstandes der Mächte wie die innere Ordnung der Staaten zu sichern suchte (Kongresse zu Aachen 1818, Troppau 1820, Laibach 1821, Verona 1822). Die

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/35>, abgerufen am 19.04.2024.