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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 14. Die Gesandten insbesondere.

Der halbsouveräne Staat wird daher im diplomatischen Ver-
kehr durch den Schutzstaat vertreten; die von oder bei ihm etwa
beglaubigten besonderen Agenten entbehren des diplomatischen
Charakters (oben § 13 II 3).

3. Über die Staatenverbindungen ist das oben § 5 II Gesagte
zu vergleichen. In der Personalunion hat jeder der verbundenen
Staaten, in der Realunion nur die Union als solche das Gesandt-
schaftsrecht. Im Staatenbund steht es grundsätzlich den einzelnen
Staaten zu; doch kann daneben der Bund ein selbständiges Ge-
sandtschaftsrecht haben (so der Deutsche Bund nach der Wiener
Schlussakte vom 15. Mai 1820). Im Bundesstaat steht es grund-
sätzlich dem Bund selbst zu; doch kann daneben durch besondere
Vereinbarung den einzelnen Staaten ein besonderes Gesandtschafts-
recht eingeräumt sein (so nicht in der Schweiz oder in den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika, wohl aber im Deutschen Reich
nach dem Schlussprotokoll des Bayrischen Bündnisvertrages vom
23. November 1870).

Die Ausübung des Gesandtschaftsrechtes kann von dem Staats-
oberhaupte andern Staatsorganen übertragen werden; so übt es der
Vizekönig von Indien wie der Generalgouverneur von Turkestan.

4. Das besondere Gesandtschaftsrecht des Papstes beruht einer-
seits auf dem italienischen Garantiegesetz vom 13. Mai 1871 (oben
§ 5 I 4), andrerseits auf Verträgen mit den einzelnen Staaten oder
auf dem Herkommen.

II.

Innerhalb der Gesandten (employes diplomatiques) unterscheidet
man seit dem Wiener Reglement vom 19. März 1815 drei, und seit dem
Aachner Protokoll vom 21. November 1818 vier Rangklassen.

1. Die Botschafter (ambassadeurs), die nicht nur als politische
Vertreter des Absendestaates, sondern, nach der älteren, heute
rechtlich veralteten Auffassung, zugleich auch als persönliche Ver-
treter ihres Staatsoberhauptes gelten (sie allein haben nach Artikel 2
des Wiener Reglements "le caractere representatif") und daher ge-
wisse Ehrenvorzüge geniessen. Ihnen werden die päpstlichen Le-
gaten und Nuntien gleichgestellt.


§ 14. Die Gesandten insbesondere.

Der halbsouveräne Staat wird daher im diplomatischen Ver-
kehr durch den Schutzstaat vertreten; die von oder bei ihm etwa
beglaubigten besonderen Agenten entbehren des diplomatischen
Charakters (oben § 13 II 3).

3. Über die Staatenverbindungen ist das oben § 5 II Gesagte
zu vergleichen. In der Personalunion hat jeder der verbundenen
Staaten, in der Realunion nur die Union als solche das Gesandt-
schaftsrecht. Im Staatenbund steht es grundsätzlich den einzelnen
Staaten zu; doch kann daneben der Bund ein selbständiges Ge-
sandtschaftsrecht haben (so der Deutsche Bund nach der Wiener
Schluſsakte vom 15. Mai 1820). Im Bundesstaat steht es grund-
sätzlich dem Bund selbst zu; doch kann daneben durch besondere
Vereinbarung den einzelnen Staaten ein besonderes Gesandtschafts-
recht eingeräumt sein (so nicht in der Schweiz oder in den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika, wohl aber im Deutschen Reich
nach dem Schluſsprotokoll des Bayrischen Bündnisvertrages vom
23. November 1870).

Die Ausübung des Gesandtschaftsrechtes kann von dem Staats-
oberhaupte andern Staatsorganen übertragen werden; so übt es der
Vizekönig von Indien wie der Generalgouverneur von Turkestan.

4. Das besondere Gesandtschaftsrecht des Papstes beruht einer-
seits auf dem italienischen Garantiegesetz vom 13. Mai 1871 (oben
§ 5 I 4), andrerseits auf Verträgen mit den einzelnen Staaten oder
auf dem Herkommen.

II.

Innerhalb der Gesandten (employés diplomatiques) unterscheidet
man seit dem Wiener Reglement vom 19. März 1815 drei, und seit dem
Aachner Protokoll vom 21. November 1818 vier Rangklassen.

1. Die Botschafter (ambassadeurs), die nicht nur als politische
Vertreter des Absendestaates, sondern, nach der älteren, heute
rechtlich veralteten Auffassung, zugleich auch als persönliche Ver-
treter ihres Staatsoberhauptes gelten (sie allein haben nach Artikel 2
des Wiener Reglements „le caractère représentatif“) und daher ge-
wisse Ehrenvorzüge genieſsen. Ihnen werden die päpstlichen Le-
gaten und Nuntien gleichgestellt.


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[73/0095] § 14. Die Gesandten insbesondere. Der halbsouveräne Staat wird daher im diplomatischen Ver- kehr durch den Schutzstaat vertreten; die von oder bei ihm etwa beglaubigten besonderen Agenten entbehren des diplomatischen Charakters (oben § 13 II 3). 3. Über die Staatenverbindungen ist das oben § 5 II Gesagte zu vergleichen. In der Personalunion hat jeder der verbundenen Staaten, in der Realunion nur die Union als solche das Gesandt- schaftsrecht. Im Staatenbund steht es grundsätzlich den einzelnen Staaten zu; doch kann daneben der Bund ein selbständiges Ge- sandtschaftsrecht haben (so der Deutsche Bund nach der Wiener Schluſsakte vom 15. Mai 1820). Im Bundesstaat steht es grund- sätzlich dem Bund selbst zu; doch kann daneben durch besondere Vereinbarung den einzelnen Staaten ein besonderes Gesandtschafts- recht eingeräumt sein (so nicht in der Schweiz oder in den Ver- einigten Staaten von Nordamerika, wohl aber im Deutschen Reich nach dem Schluſsprotokoll des Bayrischen Bündnisvertrages vom 23. November 1870). Die Ausübung des Gesandtschaftsrechtes kann von dem Staats- oberhaupte andern Staatsorganen übertragen werden; so übt es der Vizekönig von Indien wie der Generalgouverneur von Turkestan. 4. Das besondere Gesandtschaftsrecht des Papstes beruht einer- seits auf dem italienischen Garantiegesetz vom 13. Mai 1871 (oben § 5 I 4), andrerseits auf Verträgen mit den einzelnen Staaten oder auf dem Herkommen. II. Innerhalb der Gesandten (employés diplomatiques) unterscheidet man seit dem Wiener Reglement vom 19. März 1815 drei, und seit dem Aachner Protokoll vom 21. November 1818 vier Rangklassen. 1. Die Botschafter (ambassadeurs), die nicht nur als politische Vertreter des Absendestaates, sondern, nach der älteren, heute rechtlich veralteten Auffassung, zugleich auch als persönliche Ver- treter ihres Staatsoberhauptes gelten (sie allein haben nach Artikel 2 des Wiener Reglements „le caractère représentatif“) und daher ge- wisse Ehrenvorzüge genieſsen. Ihnen werden die päpstlichen Le- gaten und Nuntien gleichgestellt.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/95>, abgerufen am 29.03.2024.