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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 12. Das Staatsoberhaupt.

1. Die persönliche Unantastbarkeit.

Das Staatsoberhaupt ist auf fremdem Staatsgebiet in Friedens-
zeiten unverletzlich, sakrosankt; nur die äusserste Not würde die An-
wendung von Gewalt rechtfertigen. Anders im Krieg (unten § 40 II).

2. Die Exemtion von der (gesamten) Gerichtsbarkeit des fremden
Staates
(oben § 8 III und IV).

Dieser Satz gilt nicht nur dann, u. z. hier unbestritten, wenn
das Staatsoberhaupt im Auslande weilt; sondern auch das in seinem
Staat sich aufhaltende Staatsoberhaupt kann nicht vor die Gerichte
eines andern Staates gezogen werden, soweit es sich nicht um ding-
liche Klagen in Bezug auf unbewegliches Gut handelt oder das Staats-
oberhaupt sich freiwillig dieser Gerichtsbarkeit unterwirft.

Auch hier aber (oben § 7 II 3) neigt eine neuere Richtung in
der Litteratur wie in der Rechtsprechung dahin, die Befreiung
auf die Fälle zu beschränken, in welchen das Staatsoberhaupt als
solches in Frage steht, sie dagegen zu verneinen, wenn aus seinen
Handlungen als Privatmann Rechtsansprüche abgeleitet werden. So
haben die französischen Gerichte (1872) eine Klage gegen die
Königin von Spanien zugelassen, die von dem Goldarbeiter, bei dem
sie Juwelen für sich und ihre Tochter bestellt hatte, erhoben war;
aber (1872) eine Klage gegen den Kaiser von Österreich, als Erben
des Kaiser Max von Mexiko, abgewiesen, die den Kaufpreis für ge-
lieferte Ordens-Dekorationen forderte (vgl. R. J. V 245). Die Unter-
scheidung ist aber nicht durchführbar. Auch würde die Ansicht,
da das angegangene Gericht seine eigene Zuständigkeit zu prüfen
hat, die Exterritorialität des fremden Staatsoberhauptes von den
schwankenden Rechtsanschauungen der fremden Gerichte abhängig
machen.

Für die gegenteilige Ansicht neuerdings Ullmann S. 87.

3. Die Unbetretbarkeit der Wohnung, in der das Staatsoberhaupt
sich aufhält, so dass auch alle in dieser befindlichen Gegenstände dem
Zugriff des Aufenthaltstaates entzogen sind.

4. Die Befreiung von allen Steuern und Abgaben, soweit diese
nicht auf Grundeigentum in dem fremden Staatsgebiet ruhen.


§ 12. Das Staatsoberhaupt.

1. Die persönliche Unantastbarkeit.

Das Staatsoberhaupt ist auf fremdem Staatsgebiet in Friedens-
zeiten unverletzlich, sakrosankt; nur die äuſserste Not würde die An-
wendung von Gewalt rechtfertigen. Anders im Krieg (unten § 40 II).

2. Die Exemtion von der (gesamten) Gerichtsbarkeit des fremden
Staates
(oben § 8 III und IV).

Dieser Satz gilt nicht nur dann, u. z. hier unbestritten, wenn
das Staatsoberhaupt im Auslande weilt; sondern auch das in seinem
Staat sich aufhaltende Staatsoberhaupt kann nicht vor die Gerichte
eines andern Staates gezogen werden, soweit es sich nicht um ding-
liche Klagen in Bezug auf unbewegliches Gut handelt oder das Staats-
oberhaupt sich freiwillig dieser Gerichtsbarkeit unterwirft.

Auch hier aber (oben § 7 II 3) neigt eine neuere Richtung in
der Litteratur wie in der Rechtsprechung dahin, die Befreiung
auf die Fälle zu beschränken, in welchen das Staatsoberhaupt als
solches in Frage steht, sie dagegen zu verneinen, wenn aus seinen
Handlungen als Privatmann Rechtsansprüche abgeleitet werden. So
haben die französischen Gerichte (1872) eine Klage gegen die
Königin von Spanien zugelassen, die von dem Goldarbeiter, bei dem
sie Juwelen für sich und ihre Tochter bestellt hatte, erhoben war;
aber (1872) eine Klage gegen den Kaiser von Österreich, als Erben
des Kaiser Max von Mexiko, abgewiesen, die den Kaufpreis für ge-
lieferte Ordens-Dekorationen forderte (vgl. R. J. V 245). Die Unter-
scheidung ist aber nicht durchführbar. Auch würde die Ansicht,
da das angegangene Gericht seine eigene Zuständigkeit zu prüfen
hat, die Exterritorialität des fremden Staatsoberhauptes von den
schwankenden Rechtsanschauungen der fremden Gerichte abhängig
machen.

Für die gegenteilige Ansicht neuerdings Ullmann S. 87.

3. Die Unbetretbarkeit der Wohnung, in der das Staatsoberhaupt
sich aufhält, so daſs auch alle in dieser befindlichen Gegenstände dem
Zugriff des Aufenthaltstaates entzogen sind.

4. Die Befreiung von allen Steuern und Abgaben, soweit diese
nicht auf Grundeigentum in dem fremden Staatsgebiet ruhen.


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[69/0091] § 12. Das Staatsoberhaupt. 1. Die persönliche Unantastbarkeit. Das Staatsoberhaupt ist auf fremdem Staatsgebiet in Friedens- zeiten unverletzlich, sakrosankt; nur die äuſserste Not würde die An- wendung von Gewalt rechtfertigen. Anders im Krieg (unten § 40 II). 2. Die Exemtion von der (gesamten) Gerichtsbarkeit des fremden Staates (oben § 8 III und IV). Dieser Satz gilt nicht nur dann, u. z. hier unbestritten, wenn das Staatsoberhaupt im Auslande weilt; sondern auch das in seinem Staat sich aufhaltende Staatsoberhaupt kann nicht vor die Gerichte eines andern Staates gezogen werden, soweit es sich nicht um ding- liche Klagen in Bezug auf unbewegliches Gut handelt oder das Staats- oberhaupt sich freiwillig dieser Gerichtsbarkeit unterwirft. Auch hier aber (oben § 7 II 3) neigt eine neuere Richtung in der Litteratur wie in der Rechtsprechung dahin, die Befreiung auf die Fälle zu beschränken, in welchen das Staatsoberhaupt als solches in Frage steht, sie dagegen zu verneinen, wenn aus seinen Handlungen als Privatmann Rechtsansprüche abgeleitet werden. So haben die französischen Gerichte (1872) eine Klage gegen die Königin von Spanien zugelassen, die von dem Goldarbeiter, bei dem sie Juwelen für sich und ihre Tochter bestellt hatte, erhoben war; aber (1872) eine Klage gegen den Kaiser von Österreich, als Erben des Kaiser Max von Mexiko, abgewiesen, die den Kaufpreis für ge- lieferte Ordens-Dekorationen forderte (vgl. R. J. V 245). Die Unter- scheidung ist aber nicht durchführbar. Auch würde die Ansicht, da das angegangene Gericht seine eigene Zuständigkeit zu prüfen hat, die Exterritorialität des fremden Staatsoberhauptes von den schwankenden Rechtsanschauungen der fremden Gerichte abhängig machen. Für die gegenteilige Ansicht neuerdings Ullmann S. 87. 3. Die Unbetretbarkeit der Wohnung, in der das Staatsoberhaupt sich aufhält, so daſs auch alle in dieser befindlichen Gegenstände dem Zugriff des Aufenthaltstaates entzogen sind. 4. Die Befreiung von allen Steuern und Abgaben, soweit diese nicht auf Grundeigentum in dem fremden Staatsgebiet ruhen.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/91>, abgerufen am 24.04.2024.