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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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der Irrth um aller bessern Köpfe bemächtigt, und sich sogar eine
Art von Unverletzlichkeit höherer Art zu verschaffen gewußt hatte.

§. 110. (Copernicus). Dieß war der Zustand des erhabensten
Theiles der Naturlehre von den ältesten Zeiten, die wir kennen,
bis zur Mitte des sechszehnten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung,
bis zu Copernicus, der der erste es unternahm, der so lange
und so schnöde verkannten Wahrheit wieder ihr heiliges Recht zu
verschaffen. Zwar fehlte es schon unter den älteren Griechen nicht
an Männern, die freien Blicks, und ungefesselt von den verjähr-
ten Vorurtheilen der Menge, diese Wahrheit erkannten. So er-
zählt Plutarch (De placitis philosoph. Lib. III.) daß Philolaus
von Crotona, der gegen das Jahr 450 vor Christo lebte, die Be-
wegung der Erde um die Sonne angenommen habe, und eben so
soll Nicetas, der bald nach Philolaus in Syracus lehrte, wie
Cicero sagt (Acad. Quaest. Lib. IV.), durch die tägliche Bewe-
gung der Erde um ihre Axe, die bloß scheinbare tägliche Bewe-
gung aller übrigen Gestirne von Ost gegen West erklärt haben.
Aber diese Philosophen sagten dieß nur, wie sie so vieles Andere
sagten, ohne es zu beweisen, und ohne die glückliche Idee weiter
zu verfolgen, daher sie auch keinen Eingang, aber dafür
wohl Mißachtung, und später sogar Verfolgung erfuhr. Coper-
nicus aber pflegte sie in seinem Geiste mit unermüdlicher Sorg-
falt durch sein ganzes, langes, siebenzigjähriges Leben, und nicht
zufrieden, sie in seinem Werke (De revolutionibus orbium coe-
lestium, Norimb.
1543), das kurz vor seinem Tode erschien, mit
aller Vorliebe, die er für sie gefaßt hatte, auszubilden, suchte er
sie auch durch Vergleichungen mit dem Himmel, durch unmittel-
bare Beobachtungen zu beweisen, und sie so, nicht wie jene,
als einen philosophischen Satz, als einen Gegenstand für inhalts-
leere metaphysische Diatriben, sondern als eine mathematische,
durch Rechnung und Beobachtung erwiesene Wahrheit, als ein
Factum darzustellen, an dem zu zweifeln, fortan nur denjenigen
erlaubt seyn konnte, die von der Sache selbst nichts verstanden.
Wo jene Philosophen des Alterthums sagten, es könnte wohl so
seyn, da sagte Copernicus, es muß so seyn, und zeigte zugleich
die Gründe dieser Nothwendigkeit. Auch gehörte eine seltene
Kraft und selbst ein hoher Muth dazu, der allgemeinen, seit Jahr-

Planetenſyſteme.
der Irrth um aller beſſern Köpfe bemächtigt, und ſich ſogar eine
Art von Unverletzlichkeit höherer Art zu verſchaffen gewußt hatte.

§. 110. (Copernicus). Dieß war der Zuſtand des erhabenſten
Theiles der Naturlehre von den älteſten Zeiten, die wir kennen,
bis zur Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung,
bis zu Copernicus, der der erſte es unternahm, der ſo lange
und ſo ſchnöde verkannten Wahrheit wieder ihr heiliges Recht zu
verſchaffen. Zwar fehlte es ſchon unter den älteren Griechen nicht
an Männern, die freien Blicks, und ungefeſſelt von den verjähr-
ten Vorurtheilen der Menge, dieſe Wahrheit erkannten. So er-
zählt Plutarch (De placitis philosoph. Lib. III.) daß Philolaus
von Crotona, der gegen das Jahr 450 vor Chriſto lebte, die Be-
wegung der Erde um die Sonne angenommen habe, und eben ſo
ſoll Nicetas, der bald nach Philolaus in Syracus lehrte, wie
Cicero ſagt (Acad. Quaest. Lib. IV.), durch die tägliche Bewe-
gung der Erde um ihre Axe, die bloß ſcheinbare tägliche Bewe-
gung aller übrigen Geſtirne von Oſt gegen Weſt erklärt haben.
Aber dieſe Philoſophen ſagten dieß nur, wie ſie ſo vieles Andere
ſagten, ohne es zu beweiſen, und ohne die glückliche Idee weiter
zu verfolgen, daher ſie auch keinen Eingang, aber dafür
wohl Mißachtung, und ſpäter ſogar Verfolgung erfuhr. Coper-
nicus aber pflegte ſie in ſeinem Geiſte mit unermüdlicher Sorg-
falt durch ſein ganzes, langes, ſiebenzigjähriges Leben, und nicht
zufrieden, ſie in ſeinem Werke (De revolutionibus orbium coe-
lestium, Norimb.
1543), das kurz vor ſeinem Tode erſchien, mit
aller Vorliebe, die er für ſie gefaßt hatte, auszubilden, ſuchte er
ſie auch durch Vergleichungen mit dem Himmel, durch unmittel-
bare Beobachtungen zu beweiſen, und ſie ſo, nicht wie jene,
als einen philoſophiſchen Satz, als einen Gegenſtand für inhalts-
leere metaphyſiſche Diatriben, ſondern als eine mathematiſche,
durch Rechnung und Beobachtung erwieſene Wahrheit, als ein
Factum darzuſtellen, an dem zu zweifeln, fortan nur denjenigen
erlaubt ſeyn konnte, die von der Sache ſelbſt nichts verſtanden.
Wo jene Philoſophen des Alterthums ſagten, es könnte wohl ſo
ſeyn, da ſagte Copernicus, es muß ſo ſeyn, und zeigte zugleich
die Gründe dieſer Nothwendigkeit. Auch gehörte eine ſeltene
Kraft und ſelbſt ein hoher Muth dazu, der allgemeinen, ſeit Jahr-

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[237/0249] Planetenſyſteme. der Irrth um aller beſſern Köpfe bemächtigt, und ſich ſogar eine Art von Unverletzlichkeit höherer Art zu verſchaffen gewußt hatte. §. 110. (Copernicus). Dieß war der Zuſtand des erhabenſten Theiles der Naturlehre von den älteſten Zeiten, die wir kennen, bis zur Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts unſerer Zeitrechnung, bis zu Copernicus, der der erſte es unternahm, der ſo lange und ſo ſchnöde verkannten Wahrheit wieder ihr heiliges Recht zu verſchaffen. Zwar fehlte es ſchon unter den älteren Griechen nicht an Männern, die freien Blicks, und ungefeſſelt von den verjähr- ten Vorurtheilen der Menge, dieſe Wahrheit erkannten. So er- zählt Plutarch (De placitis philosoph. Lib. III.) daß Philolaus von Crotona, der gegen das Jahr 450 vor Chriſto lebte, die Be- wegung der Erde um die Sonne angenommen habe, und eben ſo ſoll Nicetas, der bald nach Philolaus in Syracus lehrte, wie Cicero ſagt (Acad. Quaest. Lib. IV.), durch die tägliche Bewe- gung der Erde um ihre Axe, die bloß ſcheinbare tägliche Bewe- gung aller übrigen Geſtirne von Oſt gegen Weſt erklärt haben. Aber dieſe Philoſophen ſagten dieß nur, wie ſie ſo vieles Andere ſagten, ohne es zu beweiſen, und ohne die glückliche Idee weiter zu verfolgen, daher ſie auch keinen Eingang, aber dafür wohl Mißachtung, und ſpäter ſogar Verfolgung erfuhr. Coper- nicus aber pflegte ſie in ſeinem Geiſte mit unermüdlicher Sorg- falt durch ſein ganzes, langes, ſiebenzigjähriges Leben, und nicht zufrieden, ſie in ſeinem Werke (De revolutionibus orbium coe- lestium, Norimb. 1543), das kurz vor ſeinem Tode erſchien, mit aller Vorliebe, die er für ſie gefaßt hatte, auszubilden, ſuchte er ſie auch durch Vergleichungen mit dem Himmel, durch unmittel- bare Beobachtungen zu beweiſen, und ſie ſo, nicht wie jene, als einen philoſophiſchen Satz, als einen Gegenſtand für inhalts- leere metaphyſiſche Diatriben, ſondern als eine mathematiſche, durch Rechnung und Beobachtung erwieſene Wahrheit, als ein Factum darzuſtellen, an dem zu zweifeln, fortan nur denjenigen erlaubt ſeyn konnte, die von der Sache ſelbſt nichts verſtanden. Wo jene Philoſophen des Alterthums ſagten, es könnte wohl ſo ſeyn, da ſagte Copernicus, es muß ſo ſeyn, und zeigte zugleich die Gründe dieſer Nothwendigkeit. Auch gehörte eine ſeltene Kraft und ſelbſt ein hoher Muth dazu, der allgemeinen, ſeit Jahr-

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/249>, abgerufen am 29.03.2024.