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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

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Der Mond.
doch wohl manchem unserer ungeduldigen Reisenden etwas zu lange
dünken. Da aber, wo keine feste Straße ist, auch kein Wagen
gebraucht werden kann, so müßten wir uns schon bequemen, zu
Schiffen, und zwar zu Luftschiffen unsere Zuflucht zu nehmen.
Wenn uns dann das Glück so gut wollen sollte, daß wir immer
mit frischen Winden segeln, der bekanntlich in einer Secunde 15
Fuß zurücklegt, so werden wir zu unserer Reise 909 Tage oder
2 Jahre und 179 Tage brauchen; eine noch immer viel zu lange
Zeit für alle die, welche sich, der andern Unfälle, die einem auf
solchen Reisen begegnen könnten, nicht zu erwähnen, vor dem
größten aller Uebel, vor der Langweile fürchten, die dort kaum
ausbleiben wird, wo rechts und links von der Straße -- gar
nichts ist, was die Aufmerksamkeit des Reisenden auch nur einen
Augenblick auf sich ziehen könnte. Durch Stürme allerdings
könnte diese Reise nicht wenig befördert werden. Unsere Orkane
legen in einer Secunde gegen 100 Fuß zurück. Auf den Flügeln
eines solchen Sturmwindes würde man also schon in 136 Tagen
an Ort und Stelle ankommen, aber -- wie ankommen! Wer mag
es wagen, sich einem solchen Geleitsmanne anzuvertrauen! -- Zwar
gäbe es noch andere und wohl auch sehr expeditive Mittel, diese
Reise in noch viel kürzerer Zeit zu vollenden. Das Licht z. B., das
in 8 Min. 13 Sec. von der Sonne bis zu uns kömmt, würde von
uns bis zum Mond schon in 1 2/5 Secunde, also, wie wir sagen
können, in einem Augenblicke kommen. Aber dergleichen Fahr-
zeuge sind nicht für uns eingerichtet, die wir nicht bestimmt sind,
auf Sonnenstrahlen zu reiten.

Wir müssen also doch wohl wieder zu unsern Luftschiffen
zurückkehren. Aber auch hier werden sich bald noch andere Hinder-
nisse zeigen. Unsere Aeronauten haben bekanntlich noch immer
kein Mittel, ihr Schiff im contrairen Winde zu leiten und einer
sichern Direction zu unterwerfen. Wie leicht ist es dann möglich,
daß uns diese Herren, statt nach dem Mond, in das große, ufer-
lose Weltenmeer hinausführen, unde negant redire quenquam,
in jenen grenzenlosen Raum, in welchem wir nicht nur den Mond
nie erreichen, sondern am Ende selbst noch unsere Erde aus dem
Gesichte verlieren werden.


Der Mond.
doch wohl manchem unſerer ungeduldigen Reiſenden etwas zu lange
dünken. Da aber, wo keine feſte Straße iſt, auch kein Wagen
gebraucht werden kann, ſo müßten wir uns ſchon bequemen, zu
Schiffen, und zwar zu Luftſchiffen unſere Zuflucht zu nehmen.
Wenn uns dann das Glück ſo gut wollen ſollte, daß wir immer
mit friſchen Winden ſegeln, der bekanntlich in einer Secunde 15
Fuß zurücklegt, ſo werden wir zu unſerer Reiſe 909 Tage oder
2 Jahre und 179 Tage brauchen; eine noch immer viel zu lange
Zeit für alle die, welche ſich, der andern Unfälle, die einem auf
ſolchen Reiſen begegnen könnten, nicht zu erwähnen, vor dem
größten aller Uebel, vor der Langweile fürchten, die dort kaum
ausbleiben wird, wo rechts und links von der Straße — gar
nichts iſt, was die Aufmerkſamkeit des Reiſenden auch nur einen
Augenblick auf ſich ziehen könnte. Durch Stürme allerdings
könnte dieſe Reiſe nicht wenig befördert werden. Unſere Orkane
legen in einer Secunde gegen 100 Fuß zurück. Auf den Flügeln
eines ſolchen Sturmwindes würde man alſo ſchon in 136 Tagen
an Ort und Stelle ankommen, aber — wie ankommen! Wer mag
es wagen, ſich einem ſolchen Geleitsmanne anzuvertrauen! — Zwar
gäbe es noch andere und wohl auch ſehr expeditive Mittel, dieſe
Reiſe in noch viel kürzerer Zeit zu vollenden. Das Licht z. B., das
in 8 Min. 13 Sec. von der Sonne bis zu uns kömmt, würde von
uns bis zum Mond ſchon in 1 ⅖ Secunde, alſo, wie wir ſagen
können, in einem Augenblicke kommen. Aber dergleichen Fahr-
zeuge ſind nicht für uns eingerichtet, die wir nicht beſtimmt ſind,
auf Sonnenſtrahlen zu reiten.

Wir müſſen alſo doch wohl wieder zu unſern Luftſchiffen
zurückkehren. Aber auch hier werden ſich bald noch andere Hinder-
niſſe zeigen. Unſere Aeronauten haben bekanntlich noch immer
kein Mittel, ihr Schiff im contrairen Winde zu leiten und einer
ſichern Direction zu unterwerfen. Wie leicht iſt es dann möglich,
daß uns dieſe Herren, ſtatt nach dem Mond, in das große, ufer-
loſe Weltenmeer hinausführen, unde negant redire quenquam,
in jenen grenzenloſen Raum, in welchem wir nicht nur den Mond
nie erreichen, ſondern am Ende ſelbſt noch unſere Erde aus dem
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[176/0186] Der Mond. doch wohl manchem unſerer ungeduldigen Reiſenden etwas zu lange dünken. Da aber, wo keine feſte Straße iſt, auch kein Wagen gebraucht werden kann, ſo müßten wir uns ſchon bequemen, zu Schiffen, und zwar zu Luftſchiffen unſere Zuflucht zu nehmen. Wenn uns dann das Glück ſo gut wollen ſollte, daß wir immer mit friſchen Winden ſegeln, der bekanntlich in einer Secunde 15 Fuß zurücklegt, ſo werden wir zu unſerer Reiſe 909 Tage oder 2 Jahre und 179 Tage brauchen; eine noch immer viel zu lange Zeit für alle die, welche ſich, der andern Unfälle, die einem auf ſolchen Reiſen begegnen könnten, nicht zu erwähnen, vor dem größten aller Uebel, vor der Langweile fürchten, die dort kaum ausbleiben wird, wo rechts und links von der Straße — gar nichts iſt, was die Aufmerkſamkeit des Reiſenden auch nur einen Augenblick auf ſich ziehen könnte. Durch Stürme allerdings könnte dieſe Reiſe nicht wenig befördert werden. Unſere Orkane legen in einer Secunde gegen 100 Fuß zurück. Auf den Flügeln eines ſolchen Sturmwindes würde man alſo ſchon in 136 Tagen an Ort und Stelle ankommen, aber — wie ankommen! Wer mag es wagen, ſich einem ſolchen Geleitsmanne anzuvertrauen! — Zwar gäbe es noch andere und wohl auch ſehr expeditive Mittel, dieſe Reiſe in noch viel kürzerer Zeit zu vollenden. Das Licht z. B., das in 8 Min. 13 Sec. von der Sonne bis zu uns kömmt, würde von uns bis zum Mond ſchon in 1 ⅖ Secunde, alſo, wie wir ſagen können, in einem Augenblicke kommen. Aber dergleichen Fahr- zeuge ſind nicht für uns eingerichtet, die wir nicht beſtimmt ſind, auf Sonnenſtrahlen zu reiten. Wir müſſen alſo doch wohl wieder zu unſern Luftſchiffen zurückkehren. Aber auch hier werden ſich bald noch andere Hinder- niſſe zeigen. Unſere Aeronauten haben bekanntlich noch immer kein Mittel, ihr Schiff im contrairen Winde zu leiten und einer ſichern Direction zu unterwerfen. Wie leicht iſt es dann möglich, daß uns dieſe Herren, ſtatt nach dem Mond, in das große, ufer- loſe Weltenmeer hinausführen, unde negant redire quenquam, in jenen grenzenloſen Raum, in welchem wir nicht nur den Mond nie erreichen, ſondern am Ende ſelbſt noch unſere Erde aus dem Geſichte verlieren werden.

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/186>, abgerufen am 29.03.2024.