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Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Vater, lieber Vater! sagte Mariane, es ist das Glück meiner Jugend, die Hoffnung meines ganzen Lebens, was ich verlieren soll. Hören Sie meine Bitten! Verschließen Sie mir Ihr Herz nicht! Um meiner Mutter willen flehe ich Sie an; wenn Sie noch bei uns wäre, würde sie für mich sprechen. Es ist nicht möglich, daß Sie Leo's Verdienste verkennen; er ist der beste Mann, den je ein Mädchen wählte, ich liebe ihn, seit ich mich selbst begreifen lernte, und werde ihn immer lieben. Vater, ich möchte viel sagen, und bin so arm an Worten, aber Angst und Thränen sprechen doch auch!

Mariane! erwiderte Ellinger mit verdüstertem Gesicht, Worte und Thränen können mir wohl schmerzlich weh thun, aber hier nichts ändern. Daß ich im fünfzigsten Jahre anders über die Liebe denke, als du, begreift sich leicht, weniger wirst du mir glauben, daß meine Ansicht die rechte ist. Leidenschaft ist vergänglich, ob sie sich gleich Unsterblichkeit zutraut; ein langer Lebensweg mit offenen Augen zeigt uns tausend Beispiele davon. Hast du dich jahrelang mit Hoffnungen genährt, so hätte ein offenes Geständniß gegen deinen Vater dich vor der gefährlichen Täuschung bewahren können. Dem Mädchen vergebe ich die Heimlichkeit, dem Manne nicht, der das Mädchen zu gewinnen sucht, ehe er weiß, ob sie ihm angehören darf. Diesen einzigen Fehler gegen mich ausgenommen, achte ich Pistor hoch; es ist nicht seine Persönlichkeit, sondern sein Stand, seine Verhältnisse, was eure Verbindung trennt. Ein Adeliger, ein

Vater, lieber Vater! sagte Mariane, es ist das Glück meiner Jugend, die Hoffnung meines ganzen Lebens, was ich verlieren soll. Hören Sie meine Bitten! Verschließen Sie mir Ihr Herz nicht! Um meiner Mutter willen flehe ich Sie an; wenn Sie noch bei uns wäre, würde sie für mich sprechen. Es ist nicht möglich, daß Sie Leo's Verdienste verkennen; er ist der beste Mann, den je ein Mädchen wählte, ich liebe ihn, seit ich mich selbst begreifen lernte, und werde ihn immer lieben. Vater, ich möchte viel sagen, und bin so arm an Worten, aber Angst und Thränen sprechen doch auch!

Mariane! erwiderte Ellinger mit verdüstertem Gesicht, Worte und Thränen können mir wohl schmerzlich weh thun, aber hier nichts ändern. Daß ich im fünfzigsten Jahre anders über die Liebe denke, als du, begreift sich leicht, weniger wirst du mir glauben, daß meine Ansicht die rechte ist. Leidenschaft ist vergänglich, ob sie sich gleich Unsterblichkeit zutraut; ein langer Lebensweg mit offenen Augen zeigt uns tausend Beispiele davon. Hast du dich jahrelang mit Hoffnungen genährt, so hätte ein offenes Geständniß gegen deinen Vater dich vor der gefährlichen Täuschung bewahren können. Dem Mädchen vergebe ich die Heimlichkeit, dem Manne nicht, der das Mädchen zu gewinnen sucht, ehe er weiß, ob sie ihm angehören darf. Diesen einzigen Fehler gegen mich ausgenommen, achte ich Pistor hoch; es ist nicht seine Persönlichkeit, sondern sein Stand, seine Verhältnisse, was eure Verbindung trennt. Ein Adeliger, ein

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Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/30>, abgerufen am 28.03.2024.