Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 1. Die erste Quelle
einen Eckel an dem eingezogenen, andächtigen, gott-
seligen Wandel anderer Kindern haben, so, daß sie
sterben zu müssen meynten, wann sie also lebten; sie-
hest du, sage ich, dergleichen unselige Kinder; so
schmähe sie nicht, und erhebe dich nicht über sie; son-
dern rühme vielmehr GOttes erstaunliche Barmher-
tzigkeit, die er gegen dir elendesten Sünden-Wurm
erwiesen, und sage mit tiefster Beugung und Ver-
wunderung: Ach! warum hat die ewige allmäch-
tige Majestät mich von so vielen, vielen andern Kin-
dern unterschieden, und mich so gnädig angesehen?
Was habe ich ihme zuvor gegeben, daß mir wieder
vergolten werde? Warum bin ich des Teuffels
Stricken entgangen, alldieweil unzehlich andere um
mich herum gefangen werden zum Verderben?
Warum doch mein GOtt?

§. 39.

Es ist ein unendlich-vortrefflicher Feigen-
Baum/ Weinstock
und Oel-Baum. (Stelle
dir, mein Kind, unter dem Bild derselben vor GOtt
den Vatter, den Sohn, und den H. Geist, in
deren Namen du getaufft, und heiliglich eingetauchet
bist.) Diese drey majestätische Bäume sind voll
unvergleichlicher Früchten, und stehen auf den Plan
einer sehr grossen Stadt, ihre Aeste in viele Gassen
weit auszubreiten: Es sind auch Herolden/ wel-
che ihre hell-klingende Trommeten schallen lassen, und
gegen alle vier Ende der grossen Stadt mit lauter
Stimme ausrufen: Kommet ihr Einwohner, brechet
ab, sammelt, esset; mit dem Anhang, daß, wer am mei-
sten sammle, hoch am Brett sitze und im Königreich
der nächste am König seyn solle; wer aber diese un-

schätzbare

Cap. 1. Die erſte Quelle
einen Eckel an dem eingezogenen, andaͤchtigen, gott-
ſeligen Wandel anderer Kindern haben, ſo, daß ſie
ſterben zu muͤſſen meynten, wann ſie alſo lebten; ſie-
heſt du, ſage ich, dergleichen unſelige Kinder; ſo
ſchmaͤhe ſie nicht, und erhebe dich nicht uͤber ſie; ſon-
dern ruͤhme vielmehr GOttes erſtaunliche Barmher-
tzigkeit, die er gegen dir elendeſten Suͤnden-Wurm
erwieſen, und ſage mit tiefſter Beugung und Ver-
wunderung: Ach! warum hat die ewige allmaͤch-
tige Majeſtaͤt mich von ſo vielen, vielen andern Kin-
dern unterſchieden, und mich ſo gnaͤdig angeſehen?
Was habe ich ihme zuvor gegeben, daß mir wieder
vergolten werde? Warum bin ich des Teuffels
Stricken entgangen, alldieweil unzehlich andere um
mich herum gefangen werden zum Verderben?
Warum doch mein GOtt?

§. 39.

Es iſt ein unendlich-vortrefflicher Feigen-
Baum/ Weinſtock
und Oel-Baum. (Stelle
dir, mein Kind, unter dem Bild derſelben vor GOtt
den Vatter, den Sohn, und den H. Geiſt, in
deren Namen du getaufft, und heiliglich eingetauchet
biſt.) Dieſe drey majeſtaͤtiſche Baͤume ſind voll
unvergleichlicher Fruͤchten, und ſtehen auf den Plan
einer ſehr groſſen Stadt, ihre Aeſte in viele Gaſſen
weit auszubreiten: Es ſind auch Herolden/ wel-
che ihre hell-klingende Trommeten ſchallen laſſen, und
gegen alle vier Ende der groſſen Stadt mit lauter
Stimme ausrufen: Kommet ihr Einwohner, brechet
ab, ſammelt, eſſet; mit dem Anhang, daß, wer am mei-
ſten ſammle, hoch am Brett ſitze und im Koͤnigreich
der naͤchſte am Koͤnig ſeyn ſolle; wer aber dieſe un-

ſchaͤtzbare
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0078" n="60"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 1. Die er&#x017F;te Quelle</hi></fw><lb/>
einen Eckel an dem eingezogenen, anda&#x0364;chtigen, gott-<lb/>
&#x017F;eligen Wandel anderer Kindern haben, &#x017F;o, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;terben zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en meynten, wann &#x017F;ie al&#x017F;o lebten; &#x017F;ie-<lb/>
he&#x017F;t du, &#x017F;age ich, dergleichen un&#x017F;elige Kinder; &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chma&#x0364;he &#x017F;ie nicht, und erhebe dich nicht u&#x0364;ber &#x017F;ie; &#x017F;on-<lb/>
dern ru&#x0364;hme vielmehr GOttes er&#x017F;taunliche Barmher-<lb/>
tzigkeit, die er gegen dir elende&#x017F;ten Su&#x0364;nden-Wurm<lb/>
erwie&#x017F;en, und &#x017F;age mit tief&#x017F;ter Beugung und Ver-<lb/>
wunderung: Ach! warum hat die ewige allma&#x0364;ch-<lb/>
tige Maje&#x017F;ta&#x0364;t mich von &#x017F;o vielen, vielen andern Kin-<lb/>
dern unter&#x017F;chieden, und mich &#x017F;o gna&#x0364;dig ange&#x017F;ehen?<lb/>
Was habe ich ihme zuvor gegeben, daß mir wieder<lb/>
vergolten werde? Warum bin ich des Teuffels<lb/>
Stricken entgangen, alldieweil unzehlich andere um<lb/>
mich herum gefangen werden zum Verderben?<lb/>
Warum doch mein GOtt?</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 39.</head><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t ein unendlich-vortrefflicher <hi rendition="#fr">Feigen-<lb/>
Baum/ Wein&#x017F;tock</hi> und <hi rendition="#fr">Oel-Baum.</hi> (Stelle<lb/>
dir, mein Kind, unter dem Bild der&#x017F;elben vor GOtt<lb/>
den Vatter, den Sohn, und den H. Gei&#x017F;t, in<lb/>
deren Namen du getaufft, und heiliglich eingetauchet<lb/>
bi&#x017F;t.) Die&#x017F;e drey maje&#x017F;ta&#x0364;ti&#x017F;che <hi rendition="#fr">Ba&#x0364;ume</hi> &#x017F;ind voll<lb/>
unvergleichlicher Fru&#x0364;chten, und &#x017F;tehen auf den Plan<lb/>
einer &#x017F;ehr gro&#x017F;&#x017F;en Stadt, ihre Ae&#x017F;te in viele Ga&#x017F;&#x017F;en<lb/>
weit auszubreiten: Es &#x017F;ind auch <hi rendition="#fr">Herolden/</hi> wel-<lb/>
che ihre hell-klingende Trommeten &#x017F;challen la&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
gegen alle vier Ende der gro&#x017F;&#x017F;en Stadt mit lauter<lb/>
Stimme ausrufen: Kommet ihr Einwohner, brechet<lb/>
ab, &#x017F;ammelt, e&#x017F;&#x017F;et; mit dem Anhang, daß, wer am mei-<lb/>
&#x017F;ten &#x017F;ammle, hoch am Brett &#x017F;itze und im Ko&#x0364;nigreich<lb/>
der na&#x0364;ch&#x017F;te am Ko&#x0364;nig &#x017F;eyn &#x017F;olle; wer aber die&#x017F;e un-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;cha&#x0364;tzbare</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0078] Cap. 1. Die erſte Quelle einen Eckel an dem eingezogenen, andaͤchtigen, gott- ſeligen Wandel anderer Kindern haben, ſo, daß ſie ſterben zu muͤſſen meynten, wann ſie alſo lebten; ſie- heſt du, ſage ich, dergleichen unſelige Kinder; ſo ſchmaͤhe ſie nicht, und erhebe dich nicht uͤber ſie; ſon- dern ruͤhme vielmehr GOttes erſtaunliche Barmher- tzigkeit, die er gegen dir elendeſten Suͤnden-Wurm erwieſen, und ſage mit tiefſter Beugung und Ver- wunderung: Ach! warum hat die ewige allmaͤch- tige Majeſtaͤt mich von ſo vielen, vielen andern Kin- dern unterſchieden, und mich ſo gnaͤdig angeſehen? Was habe ich ihme zuvor gegeben, daß mir wieder vergolten werde? Warum bin ich des Teuffels Stricken entgangen, alldieweil unzehlich andere um mich herum gefangen werden zum Verderben? Warum doch mein GOtt? §. 39. Es iſt ein unendlich-vortrefflicher Feigen- Baum/ Weinſtock und Oel-Baum. (Stelle dir, mein Kind, unter dem Bild derſelben vor GOtt den Vatter, den Sohn, und den H. Geiſt, in deren Namen du getaufft, und heiliglich eingetauchet biſt.) Dieſe drey majeſtaͤtiſche Baͤume ſind voll unvergleichlicher Fruͤchten, und ſtehen auf den Plan einer ſehr groſſen Stadt, ihre Aeſte in viele Gaſſen weit auszubreiten: Es ſind auch Herolden/ wel- che ihre hell-klingende Trommeten ſchallen laſſen, und gegen alle vier Ende der groſſen Stadt mit lauter Stimme ausrufen: Kommet ihr Einwohner, brechet ab, ſammelt, eſſet; mit dem Anhang, daß, wer am mei- ſten ſammle, hoch am Brett ſitze und im Koͤnigreich der naͤchſte am Koͤnig ſeyn ſolle; wer aber dieſe un- ſchaͤtzbare

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/78
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/78>, abgerufen am 25.04.2024.