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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Stärke des Geschmacks. Verknüpfungen des Geschmacks.
a) von dem Erregbarkeitszustand des Nerven, wie wir mehr vermu-
then als sicher wissen. -- b) Von dem Ort der Erregung, indem nach
Guyot und Admirault gewisse Stoffe (Milch, Butter, Oel, Brod u.
s. w.) auf der Zungespitze gar nicht, dagegen im Gaumen, und der
Zungenwurzel sehr intensiv schmecken sollen. Auf welche Art von
Schätzung sich der gewöhnliche Ausspruch gründet, dass die Zungen-
spitze, oder nach andern der Gaumen, vorzugsweise fein schmecke,
ist nicht angegeben. -- b) Die Menge der gleichzeitig erregten Röh-
ren der Geschmacksnerven; wir schmecken bekanntlich einen Stoff
der unsre ganze Mundhöhle ausfüllt intensiver, als einen solchen der
nur wenige Stellen der Zunge berührt. Der Unterschied von mehr
oder weniger gleichzeitig erregten Nerven zeigt sich namentlich
darin, dass sehr verdünnte wässrige Lösungen schmeckender Stoffe
keine Empfindung mehr erregen, wenn sie in geringer Menge in den
Mund genommen werden, während sie in grössern Quantitäten deut-
lich schmecken; Valentin. -- d) Zeitdauer der Einwirkung; der
Geschmack steigt zuerst mit der Dauer der Anwesenheit des schmek-
kenden Stoffes und nimmt dann mit ihr ab, analog den Empfindungen
der übrigen Sinne. -- e) Die Empfindung wird gesteigert durch den
Contrast, d. h. wenn Stoffe, welche verschieden schmecken, in rascher
zeitlicher Folge die Geschmacksnerven treffen. -- th) Zustände der
absondernden Drüsen der Mundhöhle und ihrer Säfte, des Epithelial-
überzugs, des Wassergehaltes; der Blutgefässfüllung, der Temperatur
der Geschmacksflächen. Die Wirkungen dieser Umstände sind nur sehr
oberflächlich bekannt; Kälte und Trockenheit des Mundes, Zungenbeleg,
gelinde Entzündungen der Mundhöhle vermindern die Empfindlichkeit,
wahrscheinlich nur darum, weil sie die Wechselwirkung der Nerven
und des Erregers beeinträchtigen. -- e) Die Stärke des Geschmacks
wächst mit dem Procentgehalt einer Lösung an schmeckbaren Stof-
fen. Nach Valentin *) liegt für wässerige Lösungen von Zucker zu
1,2 pCt.; von Na Cl zu 0,2 bis 0,5 pCt.; von S O3 zu 0,001; von schwe-
felsaurem Chinin zu 0,003 pCt. die Grenze der Schmeckbarkeit, vor-
ausgesetzt dass die Stoffe unter den günstigsten Bedingungen in die
Mundhöhle gebracht wurden. -- z) Die Fähigkeit des Schmeckens
wird unterstützt durch Bewegungen, welche die schmeckenden Flä-
chen und Stoffe aneinander vornehmen, wie durch Zungen- und Gau-
menbewegung oder durch Einpinseln der Schmeckstoffe auf Gaumen
und Zunge.

3. Geschwindigkeit des Eintrittes des Geschmacks; Nachge-
schmack, Wechsel des Geschmackes sind Namen die mehr auf zukünf-
tige, als schon begonnene Untersuchungen deuten.

4. Die Verbindungen der Leistungen der Geschmack-, Geruch-
und Tastnerven zu einer einzigen Empfindung ist noch niemals einer

*) Lehrbuch der Physiologie II. Bd. b. p. 301.

Stärke des Geschmacks. Verknüpfungen des Geschmacks.
α) von dem Erregbarkeitszustand des Nerven, wie wir mehr vermu-
then als sicher wissen. — β) Von dem Ort der Erregung, indem nach
Guyot und Admirault gewisse Stoffe (Milch, Butter, Oel, Brod u.
s. w.) auf der Zungespitze gar nicht, dagegen im Gaumen, und der
Zungenwurzel sehr intensiv schmecken sollen. Auf welche Art von
Schätzung sich der gewöhnliche Ausspruch gründet, dass die Zungen-
spitze, oder nach andern der Gaumen, vorzugsweise fein schmecke,
ist nicht angegeben. — β) Die Menge der gleichzeitig erregten Röh-
ren der Geschmacksnerven; wir schmecken bekanntlich einen Stoff
der unsre ganze Mundhöhle ausfüllt intensiver, als einen solchen der
nur wenige Stellen der Zunge berührt. Der Unterschied von mehr
oder weniger gleichzeitig erregten Nerven zeigt sich namentlich
darin, dass sehr verdünnte wässrige Lösungen schmeckender Stoffe
keine Empfindung mehr erregen, wenn sie in geringer Menge in den
Mund genommen werden, während sie in grössern Quantitäten deut-
lich schmecken; Valentin. — δ) Zeitdauer der Einwirkung; der
Geschmack steigt zuerst mit der Dauer der Anwesenheit des schmek-
kenden Stoffes und nimmt dann mit ihr ab, analog den Empfindungen
der übrigen Sinne. — ε) Die Empfindung wird gesteigert durch den
Contrast, d. h. wenn Stoffe, welche verschieden schmecken, in rascher
zeitlicher Folge die Geschmacksnerven treffen. — ϑ) Zustände der
absondernden Drüsen der Mundhöhle und ihrer Säfte, des Epithelial-
überzugs, des Wassergehaltes; der Blutgefässfüllung, der Temperatur
der Geschmacksflächen. Die Wirkungen dieser Umstände sind nur sehr
oberflächlich bekannt; Kälte und Trockenheit des Mundes, Zungenbeleg,
gelinde Entzündungen der Mundhöhle vermindern die Empfindlichkeit,
wahrscheinlich nur darum, weil sie die Wechselwirkung der Nerven
und des Erregers beeinträchtigen. — η) Die Stärke des Geschmacks
wächst mit dem Procentgehalt einer Lösung an schmeckbaren Stof-
fen. Nach Valentin *) liegt für wässerige Lösungen von Zucker zu
1,2 pCt.; von Na Cl zu 0,2 bis 0,5 pCt.; von S O3 zu 0,001; von schwe-
felsaurem Chinin zu 0,003 pCt. die Grenze der Schmeckbarkeit, vor-
ausgesetzt dass die Stoffe unter den günstigsten Bedingungen in die
Mundhöhle gebracht wurden. — ζ) Die Fähigkeit des Schmeckens
wird unterstützt durch Bewegungen, welche die schmeckenden Flä-
chen und Stoffe aneinander vornehmen, wie durch Zungen- und Gau-
menbewegung oder durch Einpinseln der Schmeckstoffe auf Gaumen
und Zunge.

3. Geschwindigkeit des Eintrittes des Geschmacks; Nachge-
schmack, Wechsel des Geschmackes sind Namen die mehr auf zukünf-
tige, als schon begonnene Untersuchungen deuten.

4. Die Verbindungen der Leistungen der Geschmack-, Geruch-
und Tastnerven zu einer einzigen Empfindung ist noch niemals einer

*) Lehrbuch der Physiologie II. Bd. b. p. 301.
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[296/0310] Stärke des Geschmacks. Verknüpfungen des Geschmacks. α) von dem Erregbarkeitszustand des Nerven, wie wir mehr vermu- then als sicher wissen. — β) Von dem Ort der Erregung, indem nach Guyot und Admirault gewisse Stoffe (Milch, Butter, Oel, Brod u. s. w.) auf der Zungespitze gar nicht, dagegen im Gaumen, und der Zungenwurzel sehr intensiv schmecken sollen. Auf welche Art von Schätzung sich der gewöhnliche Ausspruch gründet, dass die Zungen- spitze, oder nach andern der Gaumen, vorzugsweise fein schmecke, ist nicht angegeben. — β) Die Menge der gleichzeitig erregten Röh- ren der Geschmacksnerven; wir schmecken bekanntlich einen Stoff der unsre ganze Mundhöhle ausfüllt intensiver, als einen solchen der nur wenige Stellen der Zunge berührt. Der Unterschied von mehr oder weniger gleichzeitig erregten Nerven zeigt sich namentlich darin, dass sehr verdünnte wässrige Lösungen schmeckender Stoffe keine Empfindung mehr erregen, wenn sie in geringer Menge in den Mund genommen werden, während sie in grössern Quantitäten deut- lich schmecken; Valentin. — δ) Zeitdauer der Einwirkung; der Geschmack steigt zuerst mit der Dauer der Anwesenheit des schmek- kenden Stoffes und nimmt dann mit ihr ab, analog den Empfindungen der übrigen Sinne. — ε) Die Empfindung wird gesteigert durch den Contrast, d. h. wenn Stoffe, welche verschieden schmecken, in rascher zeitlicher Folge die Geschmacksnerven treffen. — ϑ) Zustände der absondernden Drüsen der Mundhöhle und ihrer Säfte, des Epithelial- überzugs, des Wassergehaltes; der Blutgefässfüllung, der Temperatur der Geschmacksflächen. Die Wirkungen dieser Umstände sind nur sehr oberflächlich bekannt; Kälte und Trockenheit des Mundes, Zungenbeleg, gelinde Entzündungen der Mundhöhle vermindern die Empfindlichkeit, wahrscheinlich nur darum, weil sie die Wechselwirkung der Nerven und des Erregers beeinträchtigen. — η) Die Stärke des Geschmacks wächst mit dem Procentgehalt einer Lösung an schmeckbaren Stof- fen. Nach Valentin *) liegt für wässerige Lösungen von Zucker zu 1,2 pCt.; von Na Cl zu 0,2 bis 0,5 pCt.; von S O3 zu 0,001; von schwe- felsaurem Chinin zu 0,003 pCt. die Grenze der Schmeckbarkeit, vor- ausgesetzt dass die Stoffe unter den günstigsten Bedingungen in die Mundhöhle gebracht wurden. — ζ) Die Fähigkeit des Schmeckens wird unterstützt durch Bewegungen, welche die schmeckenden Flä- chen und Stoffe aneinander vornehmen, wie durch Zungen- und Gau- menbewegung oder durch Einpinseln der Schmeckstoffe auf Gaumen und Zunge. 3. Geschwindigkeit des Eintrittes des Geschmacks; Nachge- schmack, Wechsel des Geschmackes sind Namen die mehr auf zukünf- tige, als schon begonnene Untersuchungen deuten. 4. Die Verbindungen der Leistungen der Geschmack-, Geruch- und Tastnerven zu einer einzigen Empfindung ist noch niemals einer *) Lehrbuch der Physiologie II. Bd. b. p. 301.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/310>, abgerufen am 29.03.2024.