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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Vergleichung der Einnahmen und Ausgaben.
viel lösliche Stoffe enthielte, die eine mächtige Anziehung zum Wasser
zeigten. In dem normalen Verlaufe der Dinge musste darum dieser
Uebelstand vermieden werden, was in der That dadurch geschehen ist,
dass wir den Zucker nicht als solchen, sondern als Amylon, das Eiweiss
nicht flüssig, sondern geronnen geniessen, und noch mehr dadurch, dass
die erwähnten Speisen so ganz allmählig in die lösliche Modifikation über-
geführt werden, und dass eine jede gelöste Menge durch die Ver-
dauungssäfte aus dem noch ungelösten Antheile in entfernte Darmpar-
thien weggespült wird.


IV. Vergleichung des Verlustes und Gewinnes an wägbaren
Stoffen.

Ein Rückblick auf die Ernährungserscheinungen des Thierleibes legt
es uns nahe, die einzelnen Organe und also auch die Summen derselben
zu vergleichen mit einem Wassersammler, der gleichzeitig einen Zu- und
einen Abfluss erfährt. In der That dringt durch die Lunge und den
Darmkanal ein Strom von Atomen in den Organismus und durch Lunge,
Haut, Nieren und After wieder aus, so dass je nach dem Verhältnisse,
in welchem der Umfang und die Geschwindigkeit beider Strömungen zu
einander stehen, das mittlere tägliche Gewicht der Thierleibes entweder
sich annähernd unverändert erhält oder in einer Ab- oder auch in einer
Zunahme begriffen sein kann. Bei einer etwas tiefer eingehenden Be-
trachtung der Ernährungserscheinungen zeigen sich aber sogleich mannig-
fache Abweichungen von den Ergebnissen eines gewöhnlichen Stromes,
von denen eine schon dadurch zur Andeutung kam, dass der Begriff des
mittleren täglichen Körpergewichtes aufgestellt werden musste. Dieser
Ausdruck weist darauf hin, dass die Summe wägbarer Atome, welche
der Thierleib im Laufe eines Tages umschliesst, auf und abschwankt;
dieses muss aber geschehen, weil ein Theil der Einnahmen wie der Aus-
gaben nicht ununterbrochen, sondern periodisch geschieht, während ein
anderer Theil zwar ununterbrochen, aber mit auf und nieder schwan-
kender Geschwindigkeit ein- und ausgeht.

Der wichtigere Unterschied zwischen dem oben gewählten Bilde und
dem Strome von Atomen durch den thierischen Körper liegt aber darin,
dass die in den Thierleib geführten Massen nicht durch ihr Auftreten
die in ihm vorhandenen verdrängen und hinausschieben, sondern dass
sich die austretenden Atome in vielfachen Punkten unabhängig von der
Zufuhr aus ihren bisherigen Verbindungen loslösen. Dieses wird sogleich
einleuchtend, wenn man die Thatsachenreihe in das Auge fasst, welche
als Verhungern bezeichnet wird, gleichgiltig ob dieses geschieht in Folge
einer allgemeinen oder einer partiellen Entziehung von Nahrungsmitteln.

Vergleichung der Einnahmen und Ausgaben.
viel lösliche Stoffe enthielte, die eine mächtige Anziehung zum Wasser
zeigten. In dem normalen Verlaufe der Dinge musste darum dieser
Uebelstand vermieden werden, was in der That dadurch geschehen ist,
dass wir den Zucker nicht als solchen, sondern als Amylon, das Eiweiss
nicht flüssig, sondern geronnen geniessen, und noch mehr dadurch, dass
die erwähnten Speisen so ganz allmählig in die lösliche Modifikation über-
geführt werden, und dass eine jede gelöste Menge durch die Ver-
dauungssäfte aus dem noch ungelösten Antheile in entfernte Darmpar-
thien weggespült wird.


IV. Vergleichung des Verlustes und Gewinnes an wägbaren
Stoffen.

Ein Rückblick auf die Ernährungserscheinungen des Thierleibes legt
es uns nahe, die einzelnen Organe und also auch die Summen derselben
zu vergleichen mit einem Wassersammler, der gleichzeitig einen Zu- und
einen Abfluss erfährt. In der That dringt durch die Lunge und den
Darmkanal ein Strom von Atomen in den Organismus und durch Lunge,
Haut, Nieren und After wieder aus, so dass je nach dem Verhältnisse,
in welchem der Umfang und die Geschwindigkeit beider Strömungen zu
einander stehen, das mittlere tägliche Gewicht der Thierleibes entweder
sich annähernd unverändert erhält oder in einer Ab- oder auch in einer
Zunahme begriffen sein kann. Bei einer etwas tiefer eingehenden Be-
trachtung der Ernährungserscheinungen zeigen sich aber sogleich mannig-
fache Abweichungen von den Ergebnissen eines gewöhnlichen Stromes,
von denen eine schon dadurch zur Andeutung kam, dass der Begriff des
mittleren täglichen Körpergewichtes aufgestellt werden musste. Dieser
Ausdruck weist darauf hin, dass die Summe wägbarer Atome, welche
der Thierleib im Laufe eines Tages umschliesst, auf und abschwankt;
dieses muss aber geschehen, weil ein Theil der Einnahmen wie der Aus-
gaben nicht ununterbrochen, sondern periodisch geschieht, während ein
anderer Theil zwar ununterbrochen, aber mit auf und nieder schwan-
kender Geschwindigkeit ein- und ausgeht.

Der wichtigere Unterschied zwischen dem oben gewählten Bilde und
dem Strome von Atomen durch den thierischen Körper liegt aber darin,
dass die in den Thierleib geführten Massen nicht durch ihr Auftreten
die in ihm vorhandenen verdrängen und hinausschieben, sondern dass
sich die austretenden Atome in vielfachen Punkten unabhängig von der
Zufuhr aus ihren bisherigen Verbindungen loslösen. Dieses wird sogleich
einleuchtend, wenn man die Thatsachenreihe in das Auge fasst, welche
als Verhungern bezeichnet wird, gleichgiltig ob dieses geschieht in Folge
einer allgemeinen oder einer partiellen Entziehung von Nahrungsmitteln.

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[430/0446] Vergleichung der Einnahmen und Ausgaben. viel lösliche Stoffe enthielte, die eine mächtige Anziehung zum Wasser zeigten. In dem normalen Verlaufe der Dinge musste darum dieser Uebelstand vermieden werden, was in der That dadurch geschehen ist, dass wir den Zucker nicht als solchen, sondern als Amylon, das Eiweiss nicht flüssig, sondern geronnen geniessen, und noch mehr dadurch, dass die erwähnten Speisen so ganz allmählig in die lösliche Modifikation über- geführt werden, und dass eine jede gelöste Menge durch die Ver- dauungssäfte aus dem noch ungelösten Antheile in entfernte Darmpar- thien weggespült wird. IV. Vergleichung des Verlustes und Gewinnes an wägbaren Stoffen. Ein Rückblick auf die Ernährungserscheinungen des Thierleibes legt es uns nahe, die einzelnen Organe und also auch die Summen derselben zu vergleichen mit einem Wassersammler, der gleichzeitig einen Zu- und einen Abfluss erfährt. In der That dringt durch die Lunge und den Darmkanal ein Strom von Atomen in den Organismus und durch Lunge, Haut, Nieren und After wieder aus, so dass je nach dem Verhältnisse, in welchem der Umfang und die Geschwindigkeit beider Strömungen zu einander stehen, das mittlere tägliche Gewicht der Thierleibes entweder sich annähernd unverändert erhält oder in einer Ab- oder auch in einer Zunahme begriffen sein kann. Bei einer etwas tiefer eingehenden Be- trachtung der Ernährungserscheinungen zeigen sich aber sogleich mannig- fache Abweichungen von den Ergebnissen eines gewöhnlichen Stromes, von denen eine schon dadurch zur Andeutung kam, dass der Begriff des mittleren täglichen Körpergewichtes aufgestellt werden musste. Dieser Ausdruck weist darauf hin, dass die Summe wägbarer Atome, welche der Thierleib im Laufe eines Tages umschliesst, auf und abschwankt; dieses muss aber geschehen, weil ein Theil der Einnahmen wie der Aus- gaben nicht ununterbrochen, sondern periodisch geschieht, während ein anderer Theil zwar ununterbrochen, aber mit auf und nieder schwan- kender Geschwindigkeit ein- und ausgeht. Der wichtigere Unterschied zwischen dem oben gewählten Bilde und dem Strome von Atomen durch den thierischen Körper liegt aber darin, dass die in den Thierleib geführten Massen nicht durch ihr Auftreten die in ihm vorhandenen verdrängen und hinausschieben, sondern dass sich die austretenden Atome in vielfachen Punkten unabhängig von der Zufuhr aus ihren bisherigen Verbindungen loslösen. Dieses wird sogleich einleuchtend, wenn man die Thatsachenreihe in das Auge fasst, welche als Verhungern bezeichnet wird, gleichgiltig ob dieses geschieht in Folge einer allgemeinen oder einer partiellen Entziehung von Nahrungsmitteln.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/446>, abgerufen am 16.04.2024.