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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Flüssigkeitsströme durch die Gefässwand.
erweisen, sehr lange stabil, so dass eine dauernde Veränderung des Lu-
mens besteht. Endlich aber, und dieses ist besonders zu betonen, hem-
men die verengerten Stellen den von dem Herzen ausgehenden Strom,
so dass die Zusammenziehungen eher als Beschränkungs-, denn als För-
derungsmittel des Blutstroms anzusehen sind. Damit ist aber nicht ge-
sagt, dass die physiologischen Folgen der muskulösen Gefässverengung
nicht von beträchtlicher Wichtigkeit seien.

6. Ein- und Austritt von Flüssigkeiten in den Gefässlumina.
Während des Lebens treten ununterbrochen in die Gefässröhren Flüssigkei-
ten; am hervorragendsten geschieht dieses durch einen bald stärkern, bald
schwächern Einfluss in die venae jugulares aus den Lymphgängen, und durch
Diffusion in die Darmvenen während der Verdauung. Nicht minder entlässt
auch, insbesondere durch Verdunstung auf Lungen und Haut und durch
flüssige Entleerung in den Nieren-, Speichel-, Schweissdrüsen u. s. f.,
das Gefässlumen einen merklichen Theil seines Inhalts. Durch den Ein-
tritt wird unzweifelhaft an dem einen Orte die Spannung erhöht und
durch den Austritt an dem andern erniedrigt, und somit müsste auch
ohne Zuthun anderer Hilfsmittel ein Strom von den ersteren zu den letz-
teren Stellen gehen. Diese Strömungen können aber neben den andern
intensiven Störungen des Gleichgewichts nur von untergeordneter Be-
deutung werden, um so mehr, als der Zu- und Abfluss, den sie veran-
lassen, nur sehr allmählig geschieht. Sie sind dagegen, wie schon oben
bemerkt wurde, von hervorragender Bedeutung für die Erhaltung der
Gesammtspannung der Stromröhren, resp. für die Anfüllung derselben
mit Flüssigkeit überhaupt.

Ausser diesen Hilfsmitteln, welche mit messbaren Kräften zur Erhaltung des
Kreislaufs beitragen, glauben viele Schriftsteller älterer und neuerer Zeit noch zu
der Annahme anderer gezwungen zu sein. Sie begründen diese Forderung entwe-
der mit einem physikalischen Missverständniss, oder durch meist sehr verwickelte,
zum Theil pathologische Vorgänge. Dem physikalische Missverständniss, auf welches
hier angespielt wird, liegt der Behauptung zu Grunde: dass die Kräfte des Herzens
und des Brustkastens nicht hinreichen, um die Reibungs- und sonstigen Widerstände
zu überwinden, welche sich dem Blutstrom in den kleinsten Gefässen entgegensetzen.
Indem man dieses aussprach, bedachte man nicht, dass alle Widerstände, welche
sich in einem beliebigen Röhrenlumen einem Strom entgegenstemmen, mit den le-
bendigen Kräfte dieses letztern steigen und fallen, so dass ein langsam und mit ge-
ringer Spannung fliessender Strom auch geringe Widerstände zu überwinden hat.
Darum kann behauptet werden, dass die Bewegungen der Herz- und Brustmuskeln,
auch wenn sie tausendmal weniger Kraft entwickelten, als sie in der That ausüben,
doch einen Strom vom Herzen bis zurück zu ihm erzeugen würden, vorausgesetzt nur,
dass diese Bewegungen hinreichten, um einen Spannungsunterschied der Flüssigkeit
im arteriellen und venösen System hervorzurufen. Der Strom würde dann freilich
mit einer viel geringeren Geschwindigkeit und Spannung dahin gehen. -- Eine andere
Reihe von Autoren giebt jenen Grund preis, beruft sich aber auf den reichlicheren
Zufluss von Blut, welcher zu den Körpertheilen zu Stande kommt, in denen eine ver-
mehrte Absonderung von Flüssigkeit, eine gesteigerte Neubildung von Gewebsbe-

Flüssigkeitsströme durch die Gefässwand.
erweisen, sehr lange stabil, so dass eine dauernde Veränderung des Lu-
mens besteht. Endlich aber, und dieses ist besonders zu betonen, hem-
men die verengerten Stellen den von dem Herzen ausgehenden Strom,
so dass die Zusammenziehungen eher als Beschränkungs-, denn als För-
derungsmittel des Blutstroms anzusehen sind. Damit ist aber nicht ge-
sagt, dass die physiologischen Folgen der muskulösen Gefässverengung
nicht von beträchtlicher Wichtigkeit seien.

6. Ein- und Austritt von Flüssigkeiten in den Gefässlumina.
Während des Lebens treten ununterbrochen in die Gefässröhren Flüssigkei-
ten; am hervorragendsten geschieht dieses durch einen bald stärkern, bald
schwächern Einfluss in die venae jugulares aus den Lymphgängen, und durch
Diffusion in die Darmvenen während der Verdauung. Nicht minder entlässt
auch, insbesondere durch Verdunstung auf Lungen und Haut und durch
flüssige Entleerung in den Nieren-, Speichel-, Schweissdrüsen u. s. f.,
das Gefässlumen einen merklichen Theil seines Inhalts. Durch den Ein-
tritt wird unzweifelhaft an dem einen Orte die Spannung erhöht und
durch den Austritt an dem andern erniedrigt, und somit müsste auch
ohne Zuthun anderer Hilfsmittel ein Strom von den ersteren zu den letz-
teren Stellen gehen. Diese Strömungen können aber neben den andern
intensiven Störungen des Gleichgewichts nur von untergeordneter Be-
deutung werden, um so mehr, als der Zu- und Abfluss, den sie veran-
lassen, nur sehr allmählig geschieht. Sie sind dagegen, wie schon oben
bemerkt wurde, von hervorragender Bedeutung für die Erhaltung der
Gesammtspannung der Stromröhren, resp. für die Anfüllung derselben
mit Flüssigkeit überhaupt.

Ausser diesen Hilfsmitteln, welche mit messbaren Kräften zur Erhaltung des
Kreislaufs beitragen, glauben viele Schriftsteller älterer und neuerer Zeit noch zu
der Annahme anderer gezwungen zu sein. Sie begründen diese Forderung entwe-
der mit einem physikalischen Missverständniss, oder durch meist sehr verwickelte,
zum Theil pathologische Vorgänge. Dem physikalische Missverständniss, auf welches
hier angespielt wird, liegt der Behauptung zu Grunde: dass die Kräfte des Herzens
und des Brustkastens nicht hinreichen, um die Reibungs- und sonstigen Widerstände
zu überwinden, welche sich dem Blutstrom in den kleinsten Gefässen entgegensetzen.
Indem man dieses aussprach, bedachte man nicht, dass alle Widerstände, welche
sich in einem beliebigen Röhrenlumen einem Strom entgegenstemmen, mit den le-
bendigen Kräfte dieses letztern steigen und fallen, so dass ein langsam und mit ge-
ringer Spannung fliessender Strom auch geringe Widerstände zu überwinden hat.
Darum kann behauptet werden, dass die Bewegungen der Herz- und Brustmuskeln,
auch wenn sie tausendmal weniger Kraft entwickelten, als sie in der That ausüben,
doch einen Strom vom Herzen bis zurück zu ihm erzeugen würden, vorausgesetzt nur,
dass diese Bewegungen hinreichten, um einen Spannungsunterschied der Flüssigkeit
im arteriellen und venösen System hervorzurufen. Der Strom würde dann freilich
mit einer viel geringeren Geschwindigkeit und Spannung dahin gehen. — Eine andere
Reihe von Autoren giebt jenen Grund preis, beruft sich aber auf den reichlicheren
Zufluss von Blut, welcher zu den Körpertheilen zu Stande kommt, in denen eine ver-
mehrte Absonderung von Flüssigkeit, eine gesteigerte Neubildung von Gewebsbe-

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[105/0121] Flüssigkeitsströme durch die Gefässwand. erweisen, sehr lange stabil, so dass eine dauernde Veränderung des Lu- mens besteht. Endlich aber, und dieses ist besonders zu betonen, hem- men die verengerten Stellen den von dem Herzen ausgehenden Strom, so dass die Zusammenziehungen eher als Beschränkungs-, denn als För- derungsmittel des Blutstroms anzusehen sind. Damit ist aber nicht ge- sagt, dass die physiologischen Folgen der muskulösen Gefässverengung nicht von beträchtlicher Wichtigkeit seien. 6. Ein- und Austritt von Flüssigkeiten in den Gefässlumina. Während des Lebens treten ununterbrochen in die Gefässröhren Flüssigkei- ten; am hervorragendsten geschieht dieses durch einen bald stärkern, bald schwächern Einfluss in die venae jugulares aus den Lymphgängen, und durch Diffusion in die Darmvenen während der Verdauung. Nicht minder entlässt auch, insbesondere durch Verdunstung auf Lungen und Haut und durch flüssige Entleerung in den Nieren-, Speichel-, Schweissdrüsen u. s. f., das Gefässlumen einen merklichen Theil seines Inhalts. Durch den Ein- tritt wird unzweifelhaft an dem einen Orte die Spannung erhöht und durch den Austritt an dem andern erniedrigt, und somit müsste auch ohne Zuthun anderer Hilfsmittel ein Strom von den ersteren zu den letz- teren Stellen gehen. Diese Strömungen können aber neben den andern intensiven Störungen des Gleichgewichts nur von untergeordneter Be- deutung werden, um so mehr, als der Zu- und Abfluss, den sie veran- lassen, nur sehr allmählig geschieht. Sie sind dagegen, wie schon oben bemerkt wurde, von hervorragender Bedeutung für die Erhaltung der Gesammtspannung der Stromröhren, resp. für die Anfüllung derselben mit Flüssigkeit überhaupt. Ausser diesen Hilfsmitteln, welche mit messbaren Kräften zur Erhaltung des Kreislaufs beitragen, glauben viele Schriftsteller älterer und neuerer Zeit noch zu der Annahme anderer gezwungen zu sein. Sie begründen diese Forderung entwe- der mit einem physikalischen Missverständniss, oder durch meist sehr verwickelte, zum Theil pathologische Vorgänge. Dem physikalische Missverständniss, auf welches hier angespielt wird, liegt der Behauptung zu Grunde: dass die Kräfte des Herzens und des Brustkastens nicht hinreichen, um die Reibungs- und sonstigen Widerstände zu überwinden, welche sich dem Blutstrom in den kleinsten Gefässen entgegensetzen. Indem man dieses aussprach, bedachte man nicht, dass alle Widerstände, welche sich in einem beliebigen Röhrenlumen einem Strom entgegenstemmen, mit den le- bendigen Kräfte dieses letztern steigen und fallen, so dass ein langsam und mit ge- ringer Spannung fliessender Strom auch geringe Widerstände zu überwinden hat. Darum kann behauptet werden, dass die Bewegungen der Herz- und Brustmuskeln, auch wenn sie tausendmal weniger Kraft entwickelten, als sie in der That ausüben, doch einen Strom vom Herzen bis zurück zu ihm erzeugen würden, vorausgesetzt nur, dass diese Bewegungen hinreichten, um einen Spannungsunterschied der Flüssigkeit im arteriellen und venösen System hervorzurufen. Der Strom würde dann freilich mit einer viel geringeren Geschwindigkeit und Spannung dahin gehen. — Eine andere Reihe von Autoren giebt jenen Grund preis, beruft sich aber auf den reichlicheren Zufluss von Blut, welcher zu den Körpertheilen zu Stande kommt, in denen eine ver- mehrte Absonderung von Flüssigkeit, eine gesteigerte Neubildung von Gewebsbe-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/121>, abgerufen am 29.03.2024.