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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Nahrungsmittel.
ordnen. Diese Unbestimmtheit, welche die theoretische Feststellung der
Nahrungsmittel übrig lässt, hat die Erfahrung kurzweg beseitigt. Sie
zeigte nemlich, dass den Verdauungswerkzeugen die oben vorausgesetzte
combinatorische Befähigung abgehe, und zwar geschah dieses durch den
schlagenden Versuch, dass die Thiere unrettbar dem Hungertode entge-
gengehen, wenn ihnen die im Eiweiss und Fett enthaltenen Atome in an-
derer Verbindung als gerade in dieser gereicht werden. Demgemäss müssen
in der Nahrung mindestens enthalten sein: Eiweissartige Stoffe (Fibrin,
Casein, Albumin etc.), Fette (Olein, Stearin, Margarin, Palmitin), Natron,
Kali, Eisenoxyd, Magnesia, Kalk, Chlor, Fluor, Phosphorsäure, Wasser.
Die obigen Ableitungen lassen es aber begreiflich zu, dass in den Nah-
rungsmitteln neben den aufgezählten noch andere Verbindungen enthal-
ten sein können, da sie nicht behaupten, dass nur mit Fetten und Ei-
weiss u. s. w. die Zwecke des thierischen Körpers erreicht werden
könnten. Im Gegentheil, es ist sogleich einleuchtend, dass dieses nach
der einen oder anderen Seite hin auch mittelst der ersten Abkömm-
linge der Eiweissstoffe und Fette, oder mit Hilfe von Atomgruppen ge-
schehen könne, die jenen Abkömmlingen nach Zusammensetzung und Eigen-
schaften nahe stehen. In der That enthalten nun die wirklich aufgenom-
menen Nahrungsmittel auch noch solche Gruppen, von denen hervorzuhe-
ben sind: Kohlenhydrate (Amylon, Dextrin, Zucker); von diesen werden die
beiden ersteren mindestens bis zum Zucker umgewandelt. Obwohl Zucker
aus anderen Stoffen im Thierleibe selbst gebildet wird (Leber, Muskeln),
so führt ihn doch selbst die natürliche Nahrung des Säuglings (Milch-
zucker); der Erwachsene sucht die Kohlenhydrate so begierig, dass es
sogar fraglich wird, ob sie nicht zu den absolut nothwendigen Nahrungs-
mitteln zählen. Die Nahrung enthält ferner leimgebende Stoffe (Bindege-
webe und Knorpel); diese sind häufig aber keineswegs nothwendig. End-
lich enthält die Nahrung häufig organische Säuren (Essig-, Milch-, Aepfel-,
Citronensäure) und deren Salze.

2. Die Nahrung, welche das Leben erhalten soll, muss also ein
Gemenge mindestens von Eiweiss, Fetten und den bezeichneten Minera-
lien sein, zu denen meist noch die Kohlenhydrate kommen. Die Ge-
wichtsverhältnisse
der einzelnen Nahrungsmittel in diesem Gemenge
sind keine constanten, wie die oberflächlichste Betrachtung der mensch-
lichen Nahrung ergiebt. Diese Erscheinung ist erklärlich, wenn man
die Umsetzungen und Ausscheidungen in und aus dem thierischen Kör-
per betrachtet. Denn es stellt sich dieser letztere als eine Zusammen-
setzung sehr mannigfaltiger bis zu einem gewissen Grade von einander
unabhängiger Zersetzungsherde heraus. Je nachdem nun in dem einen
oder andern die Umsetzung sich mindert oder mehrt, muss sich also bei
gleichbleibenden Umsatz der einen Stoffgruppe derjenige einer ande-
ren veränderlich gestalten. Statt aller erinnern wir nur an die eine

Nahrungsmittel.
ordnen. Diese Unbestimmtheit, welche die theoretische Feststellung der
Nahrungsmittel übrig lässt, hat die Erfahrung kurzweg beseitigt. Sie
zeigte nemlich, dass den Verdauungswerkzeugen die oben vorausgesetzte
combinatorische Befähigung abgehe, und zwar geschah dieses durch den
schlagenden Versuch, dass die Thiere unrettbar dem Hungertode entge-
gengehen, wenn ihnen die im Eiweiss und Fett enthaltenen Atome in an-
derer Verbindung als gerade in dieser gereicht werden. Demgemäss müssen
in der Nahrung mindestens enthalten sein: Eiweissartige Stoffe (Fibrin,
Casein, Albumin etc.), Fette (Olein, Stearin, Margarin, Palmitin), Natron,
Kali, Eisenoxyd, Magnesia, Kalk, Chlor, Fluor, Phosphorsäure, Wasser.
Die obigen Ableitungen lassen es aber begreiflich zu, dass in den Nah-
rungsmitteln neben den aufgezählten noch andere Verbindungen enthal-
ten sein können, da sie nicht behaupten, dass nur mit Fetten und Ei-
weiss u. s. w. die Zwecke des thierischen Körpers erreicht werden
könnten. Im Gegentheil, es ist sogleich einleuchtend, dass dieses nach
der einen oder anderen Seite hin auch mittelst der ersten Abkömm-
linge der Eiweissstoffe und Fette, oder mit Hilfe von Atomgruppen ge-
schehen könne, die jenen Abkömmlingen nach Zusammensetzung und Eigen-
schaften nahe stehen. In der That enthalten nun die wirklich aufgenom-
menen Nahrungsmittel auch noch solche Gruppen, von denen hervorzuhe-
ben sind: Kohlenhydrate (Amylon, Dextrin, Zucker); von diesen werden die
beiden ersteren mindestens bis zum Zucker umgewandelt. Obwohl Zucker
aus anderen Stoffen im Thierleibe selbst gebildet wird (Leber, Muskeln),
so führt ihn doch selbst die natürliche Nahrung des Säuglings (Milch-
zucker); der Erwachsene sucht die Kohlenhydrate so begierig, dass es
sogar fraglich wird, ob sie nicht zu den absolut nothwendigen Nahrungs-
mitteln zählen. Die Nahrung enthält ferner leimgebende Stoffe (Bindege-
webe und Knorpel); diese sind häufig aber keineswegs nothwendig. End-
lich enthält die Nahrung häufig organische Säuren (Essig-, Milch-, Aepfel-,
Citronensäure) und deren Salze.

2. Die Nahrung, welche das Leben erhalten soll, muss also ein
Gemenge mindestens von Eiweiss, Fetten und den bezeichneten Minera-
lien sein, zu denen meist noch die Kohlenhydrate kommen. Die Ge-
wichtsverhältnisse
der einzelnen Nahrungsmittel in diesem Gemenge
sind keine constanten, wie die oberflächlichste Betrachtung der mensch-
lichen Nahrung ergiebt. Diese Erscheinung ist erklärlich, wenn man
die Umsetzungen und Ausscheidungen in und aus dem thierischen Kör-
per betrachtet. Denn es stellt sich dieser letztere als eine Zusammen-
setzung sehr mannigfaltiger bis zu einem gewissen Grade von einander
unabhängiger Zersetzungsherde heraus. Je nachdem nun in dem einen
oder andern die Umsetzung sich mindert oder mehrt, muss sich also bei
gleichbleibenden Umsatz der einen Stoffgruppe derjenige einer ande-
ren veränderlich gestalten. Statt aller erinnern wir nur an die eine

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[378/0394] Nahrungsmittel. ordnen. Diese Unbestimmtheit, welche die theoretische Feststellung der Nahrungsmittel übrig lässt, hat die Erfahrung kurzweg beseitigt. Sie zeigte nemlich, dass den Verdauungswerkzeugen die oben vorausgesetzte combinatorische Befähigung abgehe, und zwar geschah dieses durch den schlagenden Versuch, dass die Thiere unrettbar dem Hungertode entge- gengehen, wenn ihnen die im Eiweiss und Fett enthaltenen Atome in an- derer Verbindung als gerade in dieser gereicht werden. Demgemäss müssen in der Nahrung mindestens enthalten sein: Eiweissartige Stoffe (Fibrin, Casein, Albumin etc.), Fette (Olein, Stearin, Margarin, Palmitin), Natron, Kali, Eisenoxyd, Magnesia, Kalk, Chlor, Fluor, Phosphorsäure, Wasser. Die obigen Ableitungen lassen es aber begreiflich zu, dass in den Nah- rungsmitteln neben den aufgezählten noch andere Verbindungen enthal- ten sein können, da sie nicht behaupten, dass nur mit Fetten und Ei- weiss u. s. w. die Zwecke des thierischen Körpers erreicht werden könnten. Im Gegentheil, es ist sogleich einleuchtend, dass dieses nach der einen oder anderen Seite hin auch mittelst der ersten Abkömm- linge der Eiweissstoffe und Fette, oder mit Hilfe von Atomgruppen ge- schehen könne, die jenen Abkömmlingen nach Zusammensetzung und Eigen- schaften nahe stehen. In der That enthalten nun die wirklich aufgenom- menen Nahrungsmittel auch noch solche Gruppen, von denen hervorzuhe- ben sind: Kohlenhydrate (Amylon, Dextrin, Zucker); von diesen werden die beiden ersteren mindestens bis zum Zucker umgewandelt. Obwohl Zucker aus anderen Stoffen im Thierleibe selbst gebildet wird (Leber, Muskeln), so führt ihn doch selbst die natürliche Nahrung des Säuglings (Milch- zucker); der Erwachsene sucht die Kohlenhydrate so begierig, dass es sogar fraglich wird, ob sie nicht zu den absolut nothwendigen Nahrungs- mitteln zählen. Die Nahrung enthält ferner leimgebende Stoffe (Bindege- webe und Knorpel); diese sind häufig aber keineswegs nothwendig. End- lich enthält die Nahrung häufig organische Säuren (Essig-, Milch-, Aepfel-, Citronensäure) und deren Salze. 2. Die Nahrung, welche das Leben erhalten soll, muss also ein Gemenge mindestens von Eiweiss, Fetten und den bezeichneten Minera- lien sein, zu denen meist noch die Kohlenhydrate kommen. Die Ge- wichtsverhältnisse der einzelnen Nahrungsmittel in diesem Gemenge sind keine constanten, wie die oberflächlichste Betrachtung der mensch- lichen Nahrung ergiebt. Diese Erscheinung ist erklärlich, wenn man die Umsetzungen und Ausscheidungen in und aus dem thierischen Kör- per betrachtet. Denn es stellt sich dieser letztere als eine Zusammen- setzung sehr mannigfaltiger bis zu einem gewissen Grade von einander unabhängiger Zersetzungsherde heraus. Je nachdem nun in dem einen oder andern die Umsetzung sich mindert oder mehrt, muss sich also bei gleichbleibenden Umsatz der einen Stoffgruppe derjenige einer ande- ren veränderlich gestalten. Statt aller erinnern wir nur an die eine

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/394>, abgerufen am 24.04.2024.