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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Verdauung der Speisen.

Ein jedes Gewebe bedarf, da es eine bestimmte chemische Zusammen-
setzung besitzt, auch bestimmter Stoffe zu seinem Aufbau. Die verschiedenen
zu einem Gewebe nöthigen Bestandtheile müssen also beschafft werden;
wenn demnach die Nahrung zum Ersatz zerstörter oder zur neuen Her-
stellung von Geweben benutzt werden soll, so können sich die einzelnen
Nahrungsstoffe nicht vertreten. Dieses würde nur dann möglich sein,
entweder wenn in einem Gewebe verschiedene unter sich sehr ähnliche
Stoffe zu demselben Zwecke verwendbar wären, wie z. B. in den Knochen
phosphorsaure und kohlensaure Magnesia statt derselben Verbindungen
der Kalkerde, oder wenn ein Stoff bei seinen Zersetzungen im Thierkörper
zu einem Atomcomplexe führte, welcher identisch wäre mit einem anderen
in der Nahrung geradezu aufgenommenen. Insofern könnte also Amylon,
das sich, theilweise wenigstens, in Fett verwandeln soll, bei der Ernährung
des Hirns, des Fettgewebes u. s. w., oder es könnte Leim statt des Ei-
weisses zur Ernährung des Bindegewebes und der Knochen verwendet
werden. Diese Vertretung, wenn sie überhaupt besteht, würde aber jeden-
falls eine sehr beschränkte sein. Unter allen Umständen ist es aber ver-
werflich, geradezu ein einfaches Nahrungsmittel, z. B. Eiweiss, das pla-
stische oder auch nur das vorzugsweise plastische zu nennen, da eben
so gut, wie dieses, auch andere Atomgruppen zum Entstehen und zum
Bestand der meisten Gewebe durchaus nothwendig sind.

C. Verdauung der Speisen.

Die Speisen müssen, um mit Vortheil in das Blut geführt werden
zu können, chemische und physikalische Umwandelungen erfahren. Diese
geschehen in mehreren räumlich und funktionell von einander geschie-
denen Behältern, nemlich in der Mund- und Rachenhöhle, dem Magen,
dem Dünn- und dem Dickdarme. Ein jeder derselben liefert einen Bei-
trag zur Verdauung durch hemmende oder beschleunigende Bewegungs-
werkzeuge, durch Drüsen, durch die Eigenschaft der Häute, welche
Darm- und Gefässhöhlen trennen, und endlich durch die allen gemein-
same Wärme.

Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge.
1. Mund und Schlund.

Lippen, Wangen und Kiefer sind, so weit sie nicht schon bespro-
chen, in ihren Leistungen Jedermann bekannt.

Die Zunge. Ihre Wurzel ist auf bekannte Weise durch Muskeln
und Bänder an den Stylfortsatz, den Kiefer und das Zungenbein gehef-
tet, sie folgt darum auch den Bewegungen der beiden letzteren und ins-
besondere denen des Zungenbeins. -- Das Zungenbein kann vermöge
seiner Befestigung an dem Kehlkopfe eine allgemeine Ortsveränderung
erfahren, oder es kann sich auch nach Spannung der Bänder um diese
drehen; so können sich namentlich die Hörner um den durch das lig.

Verdauung der Speisen.

Ein jedes Gewebe bedarf, da es eine bestimmte chemische Zusammen-
setzung besitzt, auch bestimmter Stoffe zu seinem Aufbau. Die verschiedenen
zu einem Gewebe nöthigen Bestandtheile müssen also beschafft werden;
wenn demnach die Nahrung zum Ersatz zerstörter oder zur neuen Her-
stellung von Geweben benutzt werden soll, so können sich die einzelnen
Nahrungsstoffe nicht vertreten. Dieses würde nur dann möglich sein,
entweder wenn in einem Gewebe verschiedene unter sich sehr ähnliche
Stoffe zu demselben Zwecke verwendbar wären, wie z. B. in den Knochen
phosphorsaure und kohlensaure Magnesia statt derselben Verbindungen
der Kalkerde, oder wenn ein Stoff bei seinen Zersetzungen im Thierkörper
zu einem Atomcomplexe führte, welcher identisch wäre mit einem anderen
in der Nahrung geradezu aufgenommenen. Insofern könnte also Amylon,
das sich, theilweise wenigstens, in Fett verwandeln soll, bei der Ernährung
des Hirns, des Fettgewebes u. s. w., oder es könnte Leim statt des Ei-
weisses zur Ernährung des Bindegewebes und der Knochen verwendet
werden. Diese Vertretung, wenn sie überhaupt besteht, würde aber jeden-
falls eine sehr beschränkte sein. Unter allen Umständen ist es aber ver-
werflich, geradezu ein einfaches Nahrungsmittel, z. B. Eiweiss, das pla-
stische oder auch nur das vorzugsweise plastische zu nennen, da eben
so gut, wie dieses, auch andere Atomgruppen zum Entstehen und zum
Bestand der meisten Gewebe durchaus nothwendig sind.

C. Verdauung der Speisen.

Die Speisen müssen, um mit Vortheil in das Blut geführt werden
zu können, chemische und physikalische Umwandelungen erfahren. Diese
geschehen in mehreren räumlich und funktionell von einander geschie-
denen Behältern, nemlich in der Mund- und Rachenhöhle, dem Magen,
dem Dünn- und dem Dickdarme. Ein jeder derselben liefert einen Bei-
trag zur Verdauung durch hemmende oder beschleunigende Bewegungs-
werkzeuge, durch Drüsen, durch die Eigenschaft der Häute, welche
Darm- und Gefässhöhlen trennen, und endlich durch die allen gemein-
same Wärme.

Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge.
1. Mund und Schlund.

Lippen, Wangen und Kiefer sind, so weit sie nicht schon bespro-
chen, in ihren Leistungen Jedermann bekannt.

Die Zunge. Ihre Wurzel ist auf bekannte Weise durch Muskeln
und Bänder an den Stylfortsatz, den Kiefer und das Zungenbein gehef-
tet, sie folgt darum auch den Bewegungen der beiden letzteren und ins-
besondere denen des Zungenbeins. — Das Zungenbein kann vermöge
seiner Befestigung an dem Kehlkopfe eine allgemeine Ortsveränderung
erfahren, oder es kann sich auch nach Spannung der Bänder um diese
drehen; so können sich namentlich die Hörner um den durch das lig.

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[389/0405] Verdauung der Speisen. Ein jedes Gewebe bedarf, da es eine bestimmte chemische Zusammen- setzung besitzt, auch bestimmter Stoffe zu seinem Aufbau. Die verschiedenen zu einem Gewebe nöthigen Bestandtheile müssen also beschafft werden; wenn demnach die Nahrung zum Ersatz zerstörter oder zur neuen Her- stellung von Geweben benutzt werden soll, so können sich die einzelnen Nahrungsstoffe nicht vertreten. Dieses würde nur dann möglich sein, entweder wenn in einem Gewebe verschiedene unter sich sehr ähnliche Stoffe zu demselben Zwecke verwendbar wären, wie z. B. in den Knochen phosphorsaure und kohlensaure Magnesia statt derselben Verbindungen der Kalkerde, oder wenn ein Stoff bei seinen Zersetzungen im Thierkörper zu einem Atomcomplexe führte, welcher identisch wäre mit einem anderen in der Nahrung geradezu aufgenommenen. Insofern könnte also Amylon, das sich, theilweise wenigstens, in Fett verwandeln soll, bei der Ernährung des Hirns, des Fettgewebes u. s. w., oder es könnte Leim statt des Ei- weisses zur Ernährung des Bindegewebes und der Knochen verwendet werden. Diese Vertretung, wenn sie überhaupt besteht, würde aber jeden- falls eine sehr beschränkte sein. Unter allen Umständen ist es aber ver- werflich, geradezu ein einfaches Nahrungsmittel, z. B. Eiweiss, das pla- stische oder auch nur das vorzugsweise plastische zu nennen, da eben so gut, wie dieses, auch andere Atomgruppen zum Entstehen und zum Bestand der meisten Gewebe durchaus nothwendig sind. C. Verdauung der Speisen. Die Speisen müssen, um mit Vortheil in das Blut geführt werden zu können, chemische und physikalische Umwandelungen erfahren. Diese geschehen in mehreren räumlich und funktionell von einander geschie- denen Behältern, nemlich in der Mund- und Rachenhöhle, dem Magen, dem Dünn- und dem Dickdarme. Ein jeder derselben liefert einen Bei- trag zur Verdauung durch hemmende oder beschleunigende Bewegungs- werkzeuge, durch Drüsen, durch die Eigenschaft der Häute, welche Darm- und Gefässhöhlen trennen, und endlich durch die allen gemein- same Wärme. Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge. 1. Mund und Schlund. Lippen, Wangen und Kiefer sind, so weit sie nicht schon bespro- chen, in ihren Leistungen Jedermann bekannt. Die Zunge. Ihre Wurzel ist auf bekannte Weise durch Muskeln und Bänder an den Stylfortsatz, den Kiefer und das Zungenbein gehef- tet, sie folgt darum auch den Bewegungen der beiden letzteren und ins- besondere denen des Zungenbeins. — Das Zungenbein kann vermöge seiner Befestigung an dem Kehlkopfe eine allgemeine Ortsveränderung erfahren, oder es kann sich auch nach Spannung der Bänder um diese drehen; so können sich namentlich die Hörner um den durch das lig.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/405>, abgerufen am 29.03.2024.