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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Dünndarm.
die lokale Contraktur erzielt werden kann. Dazu ist es nun auch noch
zweifelhaft, ob der Darm innerhalb des unverletzten, in den gewöhn-
lichen Lebensbedingungen stehenden Thieres die gleichen Vorkomm-
nisse darbietet, da die Mittel zur Beobachtung in diesem Falle sehr
beschränkt sind. Das Wenige, was wir wissen, ist entweder gefunden
bei Menschen, die so dünnwandige Bauchdecken besassen (Betz)*),
dass das Spiel der Darmbewegung durch sie hindurch sichtbar war, oder
sie sind gewonnen an Thieren, denen man Darmfisteln anlegte, durch
die in die Darmhöhle ein Bleidraht eingeführt wurde, an dem eine
Wachskugel aufgesteckt war (Schwarzenberg)**). Aus der Fortbe-
wegung dieser letzteren konnte man mit Sicherheit schliessen, dass pe-
ristaltische Bewegung auch dem lebenden Thiere eigenthümlich sei.
Diese sind aber keineswegs zu allen Zeiten des Tages, wie etwa die
Herzbewegungen, sondern nur zu gewissen Epochen vorhanden. Ist
aber einmal eine solche Periode eingetreten, so folgen sich kurz hinter-
einander eine grosse Zahl von solchen peristaltischen Gängen. Zu die-
ser Zeit lassen sich auch durch Einsprützungen von Wasser in den
Darm, oder durch mechanisches Bestreichen der inneren Darmfläche die
Pausen, welche zwischen zwei peristaltischen Bewegungen liegen, be-
trächtlich verkürzen und die Intensität der einzelnen Bewegungen stei-
gern. Die Bedingungen für den Eintritt einer solchen Bewegungsreihe
sind uns ebenfalls unbekannt. Mehrere Stunden nach eingenommener
Mahlzeit fehlen sie selten, doch sind sie auch nach längerer Nahrungs-
entziehung beobachtet, ja es scheint sogar, als ob sie bei einem hun-
gernden Thiere öfter als bei wohlgenährten wiederkehrten. -- Bemer-
kenswerther Weise gewahrte man niemals den antiperistaltischen Modus;
daraus darf man aber nicht schliessen, dass er dem unverletzten Thiere
fehlte; im Gegentheil, es deutet die Erfahrung, dass zuweilen Koth, wie
er sich nur im Dickdarme gebildet haben kann, im Magen angetroffen
und auch wohl erbrochen wird, darauf hin, dass auch rücklaufende Wel-
len zu Stande kommen. -- Ueber die Stellung dieser Muskeln und ihre
combinirten Bewegungen zum Nervensysteme lässt sich nichts Befriedi-
gendes sagen; zuweilen gelingt es durch Erregung des Grenzstranges in
der Brusthöhle, oder des ggl. coeliacum, oder der von ihm ausgehenden
Nervenfäden, den Dünndarm zu bewegen, ein andermal nicht. -- Die
einfache oder combinirte Bewegung kann von den Nervenstücken, die
jenseits der Grenzen des Darmes liegen, unabhängig eintreten; gerade
wie das ausgeschnittene Herz, so bewegt sich auch oft ein ausgeschnit-
tenes Darmstück von beliebiger Länge. -- Der nerv. splanchnicus scheint
sich zum Darme nicht zu verhalten wie der n. vagus zum Herzen, denn
wenn man ihn am lebenden Thiere durchschneidet, so steigert sich die

*) Henle's u. Pfeufer's Zeitschrift. N. F. I. Bd. 329.
**) Ibid. VII. Bd. 311.

Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Dünndarm.
die lokale Contraktur erzielt werden kann. Dazu ist es nun auch noch
zweifelhaft, ob der Darm innerhalb des unverletzten, in den gewöhn-
lichen Lebensbedingungen stehenden Thieres die gleichen Vorkomm-
nisse darbietet, da die Mittel zur Beobachtung in diesem Falle sehr
beschränkt sind. Das Wenige, was wir wissen, ist entweder gefunden
bei Menschen, die so dünnwandige Bauchdecken besassen (Betz)*),
dass das Spiel der Darmbewegung durch sie hindurch sichtbar war, oder
sie sind gewonnen an Thieren, denen man Darmfisteln anlegte, durch
die in die Darmhöhle ein Bleidraht eingeführt wurde, an dem eine
Wachskugel aufgesteckt war (Schwarzenberg)**). Aus der Fortbe-
wegung dieser letzteren konnte man mit Sicherheit schliessen, dass pe-
ristaltische Bewegung auch dem lebenden Thiere eigenthümlich sei.
Diese sind aber keineswegs zu allen Zeiten des Tages, wie etwa die
Herzbewegungen, sondern nur zu gewissen Epochen vorhanden. Ist
aber einmal eine solche Periode eingetreten, so folgen sich kurz hinter-
einander eine grosse Zahl von solchen peristaltischen Gängen. Zu die-
ser Zeit lassen sich auch durch Einsprützungen von Wasser in den
Darm, oder durch mechanisches Bestreichen der inneren Darmfläche die
Pausen, welche zwischen zwei peristaltischen Bewegungen liegen, be-
trächtlich verkürzen und die Intensität der einzelnen Bewegungen stei-
gern. Die Bedingungen für den Eintritt einer solchen Bewegungsreihe
sind uns ebenfalls unbekannt. Mehrere Stunden nach eingenommener
Mahlzeit fehlen sie selten, doch sind sie auch nach längerer Nahrungs-
entziehung beobachtet, ja es scheint sogar, als ob sie bei einem hun-
gernden Thiere öfter als bei wohlgenährten wiederkehrten. — Bemer-
kenswerther Weise gewahrte man niemals den antiperistaltischen Modus;
daraus darf man aber nicht schliessen, dass er dem unverletzten Thiere
fehlte; im Gegentheil, es deutet die Erfahrung, dass zuweilen Koth, wie
er sich nur im Dickdarme gebildet haben kann, im Magen angetroffen
und auch wohl erbrochen wird, darauf hin, dass auch rücklaufende Wel-
len zu Stande kommen. — Ueber die Stellung dieser Muskeln und ihre
combinirten Bewegungen zum Nervensysteme lässt sich nichts Befriedi-
gendes sagen; zuweilen gelingt es durch Erregung des Grenzstranges in
der Brusthöhle, oder des ggl. coeliacum, oder der von ihm ausgehenden
Nervenfäden, den Dünndarm zu bewegen, ein andermal nicht. — Die
einfache oder combinirte Bewegung kann von den Nervenstücken, die
jenseits der Grenzen des Darmes liegen, unabhängig eintreten; gerade
wie das ausgeschnittene Herz, so bewegt sich auch oft ein ausgeschnit-
tenes Darmstück von beliebiger Länge. — Der nerv. splanchnicus scheint
sich zum Darme nicht zu verhalten wie der n. vagus zum Herzen, denn
wenn man ihn am lebenden Thiere durchschneidet, so steigert sich die

*) Henle’s u. Pfeufer’s Zeitschrift. N. F. I. Bd. 329.
**) Ibid. VII. Bd. 311.
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[398/0414] Mechanische Arbeit der Verdauungswerkzeuge; Dünndarm. die lokale Contraktur erzielt werden kann. Dazu ist es nun auch noch zweifelhaft, ob der Darm innerhalb des unverletzten, in den gewöhn- lichen Lebensbedingungen stehenden Thieres die gleichen Vorkomm- nisse darbietet, da die Mittel zur Beobachtung in diesem Falle sehr beschränkt sind. Das Wenige, was wir wissen, ist entweder gefunden bei Menschen, die so dünnwandige Bauchdecken besassen (Betz) *), dass das Spiel der Darmbewegung durch sie hindurch sichtbar war, oder sie sind gewonnen an Thieren, denen man Darmfisteln anlegte, durch die in die Darmhöhle ein Bleidraht eingeführt wurde, an dem eine Wachskugel aufgesteckt war (Schwarzenberg) **). Aus der Fortbe- wegung dieser letzteren konnte man mit Sicherheit schliessen, dass pe- ristaltische Bewegung auch dem lebenden Thiere eigenthümlich sei. Diese sind aber keineswegs zu allen Zeiten des Tages, wie etwa die Herzbewegungen, sondern nur zu gewissen Epochen vorhanden. Ist aber einmal eine solche Periode eingetreten, so folgen sich kurz hinter- einander eine grosse Zahl von solchen peristaltischen Gängen. Zu die- ser Zeit lassen sich auch durch Einsprützungen von Wasser in den Darm, oder durch mechanisches Bestreichen der inneren Darmfläche die Pausen, welche zwischen zwei peristaltischen Bewegungen liegen, be- trächtlich verkürzen und die Intensität der einzelnen Bewegungen stei- gern. Die Bedingungen für den Eintritt einer solchen Bewegungsreihe sind uns ebenfalls unbekannt. Mehrere Stunden nach eingenommener Mahlzeit fehlen sie selten, doch sind sie auch nach längerer Nahrungs- entziehung beobachtet, ja es scheint sogar, als ob sie bei einem hun- gernden Thiere öfter als bei wohlgenährten wiederkehrten. — Bemer- kenswerther Weise gewahrte man niemals den antiperistaltischen Modus; daraus darf man aber nicht schliessen, dass er dem unverletzten Thiere fehlte; im Gegentheil, es deutet die Erfahrung, dass zuweilen Koth, wie er sich nur im Dickdarme gebildet haben kann, im Magen angetroffen und auch wohl erbrochen wird, darauf hin, dass auch rücklaufende Wel- len zu Stande kommen. — Ueber die Stellung dieser Muskeln und ihre combinirten Bewegungen zum Nervensysteme lässt sich nichts Befriedi- gendes sagen; zuweilen gelingt es durch Erregung des Grenzstranges in der Brusthöhle, oder des ggl. coeliacum, oder der von ihm ausgehenden Nervenfäden, den Dünndarm zu bewegen, ein andermal nicht. — Die einfache oder combinirte Bewegung kann von den Nervenstücken, die jenseits der Grenzen des Darmes liegen, unabhängig eintreten; gerade wie das ausgeschnittene Herz, so bewegt sich auch oft ein ausgeschnit- tenes Darmstück von beliebiger Länge. — Der nerv. splanchnicus scheint sich zum Darme nicht zu verhalten wie der n. vagus zum Herzen, denn wenn man ihn am lebenden Thiere durchschneidet, so steigert sich die *) Henle’s u. Pfeufer’s Zeitschrift. N. F. I. Bd. 329. **) Ibid. VII. Bd. 311.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/414>, abgerufen am 28.03.2024.