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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Mittel zur Erhaltung der Normaltemperatur.

Bernard weicht allzu vorsichtig noch einer Erklärung der von ihm gefundenen
Thatsachen aus; gegen die eben mitgetheilte äussert er sich sogar ungünstig, weil
er gefunden, dass in der Ohrmuschel auf der verletzten Seite immer noch eine, wenn
auch nicht mehr sehr bedeutende, Wärmesteigerung eintrat, nachdem er mehrere
der aus ihr zurückkehrenden Venen, oder die zuführenden Arterien unterbunden,
d. h. die Geschwindigkeit und die Ausbreitung des Blutstromes in dem Ohre gemin-
dert hatte. -- Die Ueberzeugung von der Richtigkeit unserer Erklärung dürfte aber
erst dann erschüttert werden, wenn durch direkte Beobachtung erwiesen würde, dass
die Blutströmung im Ohre nach den Gefässunterbindungen und der Nervendurchschnei-
dung nicht rascher als vor diesen Operationen war. So lange dieses nicht geschehen,
muss es bei der ausserordentlichen Uebereinstimmung aller übrigen Umstände mit
unserer Annahme als erlaubt angesehen werden, den Einfluss der genannten Unter-
bindungen auf den Blutstrom in dem Ohre nicht zu hoch anzuschlagen.

Mittel zur Erhaltung des normalen Wärmegrades.

Das Verhältniss zwischen Aus- und Einfuhr von Wärme, wie es aus-
gedrückt wird durch den Temperaturgrad des thierischen Körpers, bleibt,
wie wir sahen, in verhältnissmässig engen Grenzen eingeschlossen; es
muss also auch der Gewinn der Wärme mit dem Verluste derselben
steigen und fallen. Die organischen Bedingungen, welche diese Bezie-
hungen herstellen, sind zum Theil wenigstens bekannt, der Mechanismus
dieses Zusammenhanges ist dagegen noch nicht aufgedeckt. -- Eine der
wesentlichsten Beziehungen, welche wir gesondert betrachten, ist gegeben
durch die Temperaturempfindung, welche je nach den Einwirkungen der
Kälte oder Hitze einen Wärmehunger und Wärmeekel erzeugt; in der
natürlichen Folge davon begeben wir uns, wo irgend möglich, in Ver-
hältnisse, welche die unangenehmen Empfindungen beseitigen; wir wäh-
len hierzu gewöhnlich solche, welche ohne Zuthun irgend welcher inne-
ren Veränderungen die gewünschte Körpertemperatur herbeiführen, in-
dem wir die Wärmeleitungsfähigkeit der Kleidung reguliren, warme oder
kalte Speisen geniessen u. s. f. -- Neben diesen willkührlichen Mitteln
zur Herstellung des Gleichgewichtes zwischen den Ein- und Ausgaben von
Wärme, giebt es noch eine Zahl von solchen, die durch unsere Seelen-
zustände nicht so unmittelbar bestimmt werden. Sie wirken in allen
Individuen, aber in den verschiedenen unzweifelhaft mit einer auffallend
verschiedenen Mächtigkeit; ausser besonderen, durch die Geburt gegebe-
nen Anlagen, wirkt auf diesen letzteren Umstand namentlich der Gebrauch
der willkührlichen Ausgleichungsmittel ein, ein Einfluss, der gemeinhin
als Abhärtung oder Verwöhnung bezeichnet wird.

1. Wenn die Wärme vermehrt oder vermindert wird in Folge der
gesteigerten oder verringerten chemischen Umsetzung im Thierleibe, so
muss die Thätigkeit, den wärmeausgebenden Organen entsprechend,
sich ändern. -- Vermehrt sich die Wärmeeinnahme und nähert sich
damit die Körpertemperatur ihrem Maximum, so geschieht es, dass
a) die Capillaren in der Oberfläche der Cutis sich erweitern; der ra-
schere und ausgedehntere Blutstrom, der durch sie kreist, bringt die

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Mittel zur Erhaltung der Normaltemperatur.

Bernard weicht allzu vorsichtig noch einer Erklärung der von ihm gefundenen
Thatsachen aus; gegen die eben mitgetheilte äussert er sich sogar ungünstig, weil
er gefunden, dass in der Ohrmuschel auf der verletzten Seite immer noch eine, wenn
auch nicht mehr sehr bedeutende, Wärmesteigerung eintrat, nachdem er mehrere
der aus ihr zurückkehrenden Venen, oder die zuführenden Arterien unterbunden,
d. h. die Geschwindigkeit und die Ausbreitung des Blutstromes in dem Ohre gemin-
dert hatte. — Die Ueberzeugung von der Richtigkeit unserer Erklärung dürfte aber
erst dann erschüttert werden, wenn durch direkte Beobachtung erwiesen würde, dass
die Blutströmung im Ohre nach den Gefässunterbindungen und der Nervendurchschnei-
dung nicht rascher als vor diesen Operationen war. So lange dieses nicht geschehen,
muss es bei der ausserordentlichen Uebereinstimmung aller übrigen Umstände mit
unserer Annahme als erlaubt angesehen werden, den Einfluss der genannten Unter-
bindungen auf den Blutstrom in dem Ohre nicht zu hoch anzuschlagen.

Mittel zur Erhaltung des normalen Wärmegrades.

Das Verhältniss zwischen Aus- und Einfuhr von Wärme, wie es aus-
gedrückt wird durch den Temperaturgrad des thierischen Körpers, bleibt,
wie wir sahen, in verhältnissmässig engen Grenzen eingeschlossen; es
muss also auch der Gewinn der Wärme mit dem Verluste derselben
steigen und fallen. Die organischen Bedingungen, welche diese Bezie-
hungen herstellen, sind zum Theil wenigstens bekannt, der Mechanismus
dieses Zusammenhanges ist dagegen noch nicht aufgedeckt. — Eine der
wesentlichsten Beziehungen, welche wir gesondert betrachten, ist gegeben
durch die Temperaturempfindung, welche je nach den Einwirkungen der
Kälte oder Hitze einen Wärmehunger und Wärmeekel erzeugt; in der
natürlichen Folge davon begeben wir uns, wo irgend möglich, in Ver-
hältnisse, welche die unangenehmen Empfindungen beseitigen; wir wäh-
len hierzu gewöhnlich solche, welche ohne Zuthun irgend welcher inne-
ren Veränderungen die gewünschte Körpertemperatur herbeiführen, in-
dem wir die Wärmeleitungsfähigkeit der Kleidung reguliren, warme oder
kalte Speisen geniessen u. s. f. — Neben diesen willkührlichen Mitteln
zur Herstellung des Gleichgewichtes zwischen den Ein- und Ausgaben von
Wärme, giebt es noch eine Zahl von solchen, die durch unsere Seelen-
zustände nicht so unmittelbar bestimmt werden. Sie wirken in allen
Individuen, aber in den verschiedenen unzweifelhaft mit einer auffallend
verschiedenen Mächtigkeit; ausser besonderen, durch die Geburt gegebe-
nen Anlagen, wirkt auf diesen letzteren Umstand namentlich der Gebrauch
der willkührlichen Ausgleichungsmittel ein, ein Einfluss, der gemeinhin
als Abhärtung oder Verwöhnung bezeichnet wird.

1. Wenn die Wärme vermehrt oder vermindert wird in Folge der
gesteigerten oder verringerten chemischen Umsetzung im Thierleibe, so
muss die Thätigkeit, den wärmeausgebenden Organen entsprechend,
sich ändern. — Vermehrt sich die Wärmeeinnahme und nähert sich
damit die Körpertemperatur ihrem Maximum, so geschieht es, dass
a) die Capillaren in der Oberfläche der Cutis sich erweitern; der ra-
schere und ausgedehntere Blutstrom, der durch sie kreist, bringt die

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[483/0499] Mittel zur Erhaltung der Normaltemperatur. Bernard weicht allzu vorsichtig noch einer Erklärung der von ihm gefundenen Thatsachen aus; gegen die eben mitgetheilte äussert er sich sogar ungünstig, weil er gefunden, dass in der Ohrmuschel auf der verletzten Seite immer noch eine, wenn auch nicht mehr sehr bedeutende, Wärmesteigerung eintrat, nachdem er mehrere der aus ihr zurückkehrenden Venen, oder die zuführenden Arterien unterbunden, d. h. die Geschwindigkeit und die Ausbreitung des Blutstromes in dem Ohre gemin- dert hatte. — Die Ueberzeugung von der Richtigkeit unserer Erklärung dürfte aber erst dann erschüttert werden, wenn durch direkte Beobachtung erwiesen würde, dass die Blutströmung im Ohre nach den Gefässunterbindungen und der Nervendurchschnei- dung nicht rascher als vor diesen Operationen war. So lange dieses nicht geschehen, muss es bei der ausserordentlichen Uebereinstimmung aller übrigen Umstände mit unserer Annahme als erlaubt angesehen werden, den Einfluss der genannten Unter- bindungen auf den Blutstrom in dem Ohre nicht zu hoch anzuschlagen. Mittel zur Erhaltung des normalen Wärmegrades. Das Verhältniss zwischen Aus- und Einfuhr von Wärme, wie es aus- gedrückt wird durch den Temperaturgrad des thierischen Körpers, bleibt, wie wir sahen, in verhältnissmässig engen Grenzen eingeschlossen; es muss also auch der Gewinn der Wärme mit dem Verluste derselben steigen und fallen. Die organischen Bedingungen, welche diese Bezie- hungen herstellen, sind zum Theil wenigstens bekannt, der Mechanismus dieses Zusammenhanges ist dagegen noch nicht aufgedeckt. — Eine der wesentlichsten Beziehungen, welche wir gesondert betrachten, ist gegeben durch die Temperaturempfindung, welche je nach den Einwirkungen der Kälte oder Hitze einen Wärmehunger und Wärmeekel erzeugt; in der natürlichen Folge davon begeben wir uns, wo irgend möglich, in Ver- hältnisse, welche die unangenehmen Empfindungen beseitigen; wir wäh- len hierzu gewöhnlich solche, welche ohne Zuthun irgend welcher inne- ren Veränderungen die gewünschte Körpertemperatur herbeiführen, in- dem wir die Wärmeleitungsfähigkeit der Kleidung reguliren, warme oder kalte Speisen geniessen u. s. f. — Neben diesen willkührlichen Mitteln zur Herstellung des Gleichgewichtes zwischen den Ein- und Ausgaben von Wärme, giebt es noch eine Zahl von solchen, die durch unsere Seelen- zustände nicht so unmittelbar bestimmt werden. Sie wirken in allen Individuen, aber in den verschiedenen unzweifelhaft mit einer auffallend verschiedenen Mächtigkeit; ausser besonderen, durch die Geburt gegebe- nen Anlagen, wirkt auf diesen letzteren Umstand namentlich der Gebrauch der willkührlichen Ausgleichungsmittel ein, ein Einfluss, der gemeinhin als Abhärtung oder Verwöhnung bezeichnet wird. 1. Wenn die Wärme vermehrt oder vermindert wird in Folge der gesteigerten oder verringerten chemischen Umsetzung im Thierleibe, so muss die Thätigkeit, den wärmeausgebenden Organen entsprechend, sich ändern. — Vermehrt sich die Wärmeeinnahme und nähert sich damit die Körpertemperatur ihrem Maximum, so geschieht es, dass a) die Capillaren in der Oberfläche der Cutis sich erweitern; der ra- schere und ausgedehntere Blutstrom, der durch sie kreist, bringt die 31*

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/499>, abgerufen am 28.03.2024.