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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Siebentes Buch. Erstes Hauptstück.
niederlegt, kann selbiges nicht mehr ausüben. Auch der-
jenige Fürst nicht, der in oder außerhalb Landes in Gefan-
genschaft gerathen wäre, so lange diese Gefangenschaft fort-
dauert. Sonst aber kann der unwillkührliche Verlust des
Throns den rechtmäßigen Besitzer desselben, oder der ent-
behrte Besitz den rechtmäßigen Prätendenten nicht des Ge-
sandschaftsrechts berauben, so wenig ein unrechtmäßiger Be-
sitz für sich allein das Gesandschaftsrecht giebt. Eben daher
wird aber auch in Europa die Annahme oder Absendung ei-
nes öffentlichen Gesandten von Seiten eines dritten Volks,
als ein Beweis angesehn, daß es den der ihn sendet oder
empfängt als rechtmäßigen Regenten betrachte, obgleich nach
dem was schon oben §. 72. erinnert worden nach den all-
gemeinen Grundsätzen ein Volk das sich blos nach den ge-
genwärtigen Besitzstand richtet, die Rechtmäßigkeit desselben
noch nicht nothwendig anerkannt zu haben scheint.

§. 187.
Verbindlichkeit Gesandte zu schicken oder anzunehmen.

So wenig ein Staat im allgemeinen verbunden ist,
Gesandte zu schicken, wenn er dies nicht durch Verträge ver-
sprochen hat, so wenig giebt es auch außerhalb der Ver-
träge eine vollkommene Verbindlichkeit in Friedens- oder
Kriegszeiten Gesandte, zumahl für beständig anzunehmen.
Daher kann jeder Staat auch die Bedingungen unter wel-
chen er Gesandte annehmen will, und die Art ihrer Auf-
nahme bestimmen. Indeß würde 1) nach der Europäischen
Völker-Praxis in Friedenszeiten ein Staat die Annahme
eines Gesandten einer freundschaftlichen Macht überhaupt
nicht leicht verweigern; 2) wenn dessen Aufnahme einmahl
verwilliget worden, so giebt es einige Rechte deren er schon
nach dem allgemeinen Völkerrecht zu geniessen hat; 3) an-
dere beruhen auf einzelne Verträge oder auf Gesetze einzel-
ner Europäischen Mächte; 4) andere sind durch ein gleich-
förmiges Herkommen so eingeführt, daß sie für stillschwei-
gend eingeräumt anzusehn sind, sobald desfalls nichts aus-

bedungen

Siebentes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
niederlegt, kann ſelbiges nicht mehr ausuͤben. Auch der-
jenige Fuͤrſt nicht, der in oder außerhalb Landes in Gefan-
genſchaft gerathen waͤre, ſo lange dieſe Gefangenſchaft fort-
dauert. Sonſt aber kann der unwillkuͤhrliche Verluſt des
Throns den rechtmaͤßigen Beſitzer deſſelben, oder der ent-
behrte Beſitz den rechtmaͤßigen Praͤtendenten nicht des Ge-
ſandſchaftsrechts berauben, ſo wenig ein unrechtmaͤßiger Be-
ſitz fuͤr ſich allein das Geſandſchaftsrecht giebt. Eben daher
wird aber auch in Europa die Annahme oder Abſendung ei-
nes oͤffentlichen Geſandten von Seiten eines dritten Volks,
als ein Beweis angeſehn, daß es den der ihn ſendet oder
empfaͤngt als rechtmaͤßigen Regenten betrachte, obgleich nach
dem was ſchon oben §. 72. erinnert worden nach den all-
gemeinen Grundſaͤtzen ein Volk das ſich blos nach den ge-
genwaͤrtigen Beſitzſtand richtet, die Rechtmaͤßigkeit deſſelben
noch nicht nothwendig anerkannt zu haben ſcheint.

§. 187.
Verbindlichkeit Geſandte zu ſchicken oder anzunehmen.

So wenig ein Staat im allgemeinen verbunden iſt,
Geſandte zu ſchicken, wenn er dies nicht durch Vertraͤge ver-
ſprochen hat, ſo wenig giebt es auch außerhalb der Ver-
traͤge eine vollkommene Verbindlichkeit in Friedens- oder
Kriegszeiten Geſandte, zumahl fuͤr beſtaͤndig anzunehmen.
Daher kann jeder Staat auch die Bedingungen unter wel-
chen er Geſandte annehmen will, und die Art ihrer Auf-
nahme beſtimmen. Indeß wuͤrde 1) nach der Europaͤiſchen
Voͤlker-Praxis in Friedenszeiten ein Staat die Annahme
eines Geſandten einer freundſchaftlichen Macht uͤberhaupt
nicht leicht verweigern; 2) wenn deſſen Aufnahme einmahl
verwilliget worden, ſo giebt es einige Rechte deren er ſchon
nach dem allgemeinen Voͤlkerrecht zu genieſſen hat; 3) an-
dere beruhen auf einzelne Vertraͤge oder auf Geſetze einzel-
ner Europaͤiſchen Maͤchte; 4) andere ſind durch ein gleich-
foͤrmiges Herkommen ſo eingefuͤhrt, daß ſie fuͤr ſtillſchwei-
gend eingeraͤumt anzuſehn ſind, ſobald desfalls nichts aus-

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[222/0250] Siebentes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck. niederlegt, kann ſelbiges nicht mehr ausuͤben. Auch der- jenige Fuͤrſt nicht, der in oder außerhalb Landes in Gefan- genſchaft gerathen waͤre, ſo lange dieſe Gefangenſchaft fort- dauert. Sonſt aber kann der unwillkuͤhrliche Verluſt des Throns den rechtmaͤßigen Beſitzer deſſelben, oder der ent- behrte Beſitz den rechtmaͤßigen Praͤtendenten nicht des Ge- ſandſchaftsrechts berauben, ſo wenig ein unrechtmaͤßiger Be- ſitz fuͤr ſich allein das Geſandſchaftsrecht giebt. Eben daher wird aber auch in Europa die Annahme oder Abſendung ei- nes oͤffentlichen Geſandten von Seiten eines dritten Volks, als ein Beweis angeſehn, daß es den der ihn ſendet oder empfaͤngt als rechtmaͤßigen Regenten betrachte, obgleich nach dem was ſchon oben §. 72. erinnert worden nach den all- gemeinen Grundſaͤtzen ein Volk das ſich blos nach den ge- genwaͤrtigen Beſitzſtand richtet, die Rechtmaͤßigkeit deſſelben noch nicht nothwendig anerkannt zu haben ſcheint. §. 187. Verbindlichkeit Geſandte zu ſchicken oder anzunehmen. So wenig ein Staat im allgemeinen verbunden iſt, Geſandte zu ſchicken, wenn er dies nicht durch Vertraͤge ver- ſprochen hat, ſo wenig giebt es auch außerhalb der Ver- traͤge eine vollkommene Verbindlichkeit in Friedens- oder Kriegszeiten Geſandte, zumahl fuͤr beſtaͤndig anzunehmen. Daher kann jeder Staat auch die Bedingungen unter wel- chen er Geſandte annehmen will, und die Art ihrer Auf- nahme beſtimmen. Indeß wuͤrde 1) nach der Europaͤiſchen Voͤlker-Praxis in Friedenszeiten ein Staat die Annahme eines Geſandten einer freundſchaftlichen Macht uͤberhaupt nicht leicht verweigern; 2) wenn deſſen Aufnahme einmahl verwilliget worden, ſo giebt es einige Rechte deren er ſchon nach dem allgemeinen Voͤlkerrecht zu genieſſen hat; 3) an- dere beruhen auf einzelne Vertraͤge oder auf Geſetze einzel- ner Europaͤiſchen Maͤchte; 4) andere ſind durch ein gleich- foͤrmiges Herkommen ſo eingefuͤhrt, daß ſie fuͤr ſtillſchwei- gend eingeraͤumt anzuſehn ſind, ſobald desfalls nichts aus- bedungen

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/250>, abgerufen am 29.03.2024.