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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Retorsion und Represalien.
kein anderer Weg als der der Selbsthülfe übrig a); die Grade
der erlaubten Selbsthülfe aber sind sehr verschieden und be-
stimmen sich nicht nur 1) nach dem Erforderniß des dadurch
zu erreichenden Zwecks, sondern auch insonderheit 2) nach
der Natur der zum Grunde liegenden Verletzung; und wie
diese entweder vollkommen oder unvollkommen seyn kann, so
können auch auf dem Wege der Selbsthülfe entweder blos
unvollkommne oder auch vollkommne Rechte des andern ge-
kränkt werden. Dies begründet den Unterschied zwischen
Retorsion und Represalien b).

a) Nur mit mancherley Einschränkungen läßt sich dieß von den teut-
schen Reichsständen unter einander behaupten; denn da diese ei-
nen höheren Richter ihrer vollkommenen Rechte anerkennen, so
sind sie der Regel nach schuldig sich an diesen zu wenden und der
Weg der Selbsthülfe hat nur statt sofern 1) von solchen Mitteln
die Rede ist, wodurch nicht vollkommne Rechte des andern gekränkt
werden (§. 250) oder 2) die Fälle eintreten in welchen die Reichs-
gesetze ihnen ausdrücklich den Weg der Selbsthülfe gestatten, wie
in Zoll-Stapel-Religions-Beschwerden u. a. Wernher obser-
vationes forenses
P. III. obs.
115. 3) Fälle gedenkbar sind in wel-
chen die Reichsgerichte überall, oder den Umständen nach, nicht
Richter seyn können. In dem Verhältnisse der teutschen Reichs-
stände gegen Auswärtige können diese sich nur mittelbar verhin-
dert sehn sich uneingeschränkt der Wege zu bedienen, die das Völ-
kerrecht unabhängigen Nationen eröffnet.
b) In wie verschiedenem Sinn jedoch diese Worte von verschiedenen
Schriftstellern genommen werden, erhellet aus den im folgenden
angeführten Schriften.
§. 250.
Retorsion.

Unvollkommene Rechte, welche blos in dem Wohlan-
stande, der Billigkeit, dem Herkommen ihren Grund ha-
ben, können auf mannigfaltige Weise verletzet werden. Vor-
züglich gehöret dahin: 1) die Verweigerung eines bloßen
Gewohnheitsrechts, 2) die Einführung eines unbilligen Un-

terschieds
T 2

Retorſion und Repreſalien.
kein anderer Weg als der der Selbſthuͤlfe uͤbrig a); die Grade
der erlaubten Selbſthuͤlfe aber ſind ſehr verſchieden und be-
ſtimmen ſich nicht nur 1) nach dem Erforderniß des dadurch
zu erreichenden Zwecks, ſondern auch inſonderheit 2) nach
der Natur der zum Grunde liegenden Verletzung; und wie
dieſe entweder vollkommen oder unvollkommen ſeyn kann, ſo
koͤnnen auch auf dem Wege der Selbſthuͤlfe entweder blos
unvollkommne oder auch vollkommne Rechte des andern ge-
kraͤnkt werden. Dies begruͤndet den Unterſchied zwiſchen
Retorſion und Repreſalien b).

a) Nur mit mancherley Einſchraͤnkungen laͤßt ſich dieß von den teut-
ſchen Reichsſtaͤnden unter einander behaupten; denn da dieſe ei-
nen hoͤheren Richter ihrer vollkommenen Rechte anerkennen, ſo
ſind ſie der Regel nach ſchuldig ſich an dieſen zu wenden und der
Weg der Selbſthuͤlfe hat nur ſtatt ſofern 1) von ſolchen Mitteln
die Rede iſt, wodurch nicht vollkommne Rechte des andern gekraͤnkt
werden (§. 250) oder 2) die Faͤlle eintreten in welchen die Reichs-
geſetze ihnen ausdruͤcklich den Weg der Selbſthuͤlfe geſtatten, wie
in Zoll-Stapel-Religions-Beſchwerden u. a. Wernher obſer-
vationes forenſes
P. III. obſ.
115. 3) Faͤlle gedenkbar ſind in wel-
chen die Reichsgerichte uͤberall, oder den Umſtaͤnden nach, nicht
Richter ſeyn koͤnnen. In dem Verhaͤltniſſe der teutſchen Reichs-
ſtaͤnde gegen Auswaͤrtige koͤnnen dieſe ſich nur mittelbar verhin-
dert ſehn ſich uneingeſchraͤnkt der Wege zu bedienen, die das Voͤl-
kerrecht unabhaͤngigen Nationen eroͤffnet.
b) In wie verſchiedenem Sinn jedoch dieſe Worte von verſchiedenen
Schriftſtellern genommen werden, erhellet aus den im folgenden
angefuͤhrten Schriften.
§. 250.
Retorſion.

Unvollkommene Rechte, welche blos in dem Wohlan-
ſtande, der Billigkeit, dem Herkommen ihren Grund ha-
ben, koͤnnen auf mannigfaltige Weiſe verletzet werden. Vor-
zuͤglich gehoͤret dahin: 1) die Verweigerung eines bloßen
Gewohnheitsrechts, 2) die Einfuͤhrung eines unbilligen Un-

terſchieds
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[291/0319] Retorſion und Repreſalien. kein anderer Weg als der der Selbſthuͤlfe uͤbrig a); die Grade der erlaubten Selbſthuͤlfe aber ſind ſehr verſchieden und be- ſtimmen ſich nicht nur 1) nach dem Erforderniß des dadurch zu erreichenden Zwecks, ſondern auch inſonderheit 2) nach der Natur der zum Grunde liegenden Verletzung; und wie dieſe entweder vollkommen oder unvollkommen ſeyn kann, ſo koͤnnen auch auf dem Wege der Selbſthuͤlfe entweder blos unvollkommne oder auch vollkommne Rechte des andern ge- kraͤnkt werden. Dies begruͤndet den Unterſchied zwiſchen Retorſion und Repreſalien b). a⁾ Nur mit mancherley Einſchraͤnkungen laͤßt ſich dieß von den teut- ſchen Reichsſtaͤnden unter einander behaupten; denn da dieſe ei- nen hoͤheren Richter ihrer vollkommenen Rechte anerkennen, ſo ſind ſie der Regel nach ſchuldig ſich an dieſen zu wenden und der Weg der Selbſthuͤlfe hat nur ſtatt ſofern 1) von ſolchen Mitteln die Rede iſt, wodurch nicht vollkommne Rechte des andern gekraͤnkt werden (§. 250) oder 2) die Faͤlle eintreten in welchen die Reichs- geſetze ihnen ausdruͤcklich den Weg der Selbſthuͤlfe geſtatten, wie in Zoll-Stapel-Religions-Beſchwerden u. a. Wernher obſer- vationes forenſes P. III. obſ. 115. 3) Faͤlle gedenkbar ſind in wel- chen die Reichsgerichte uͤberall, oder den Umſtaͤnden nach, nicht Richter ſeyn koͤnnen. In dem Verhaͤltniſſe der teutſchen Reichs- ſtaͤnde gegen Auswaͤrtige koͤnnen dieſe ſich nur mittelbar verhin- dert ſehn ſich uneingeſchraͤnkt der Wege zu bedienen, die das Voͤl- kerrecht unabhaͤngigen Nationen eroͤffnet. b⁾ In wie verſchiedenem Sinn jedoch dieſe Worte von verſchiedenen Schriftſtellern genommen werden, erhellet aus den im folgenden angefuͤhrten Schriften. §. 250. Retorſion. Unvollkommene Rechte, welche blos in dem Wohlan- ſtande, der Billigkeit, dem Herkommen ihren Grund ha- ben, koͤnnen auf mannigfaltige Weiſe verletzet werden. Vor- zuͤglich gehoͤret dahin: 1) die Verweigerung eines bloßen Gewohnheitsrechts, 2) die Einfuͤhrung eines unbilligen Un- terſchieds T 2

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/319>, abgerufen am 29.03.2024.