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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Vom Krieg und dessen Folgen.
§. 259.
Wer das Recht habe Krieg zu führen.

Da das Recht Krieg zu führen als eines der wesent-
lichsten Hoheitsrechte anzusehn ist, so kann es der Regel nach
nur auf Befehl der höchsten Gewalt ausgeübet werden, und
jeder Eingriff in dasselbe von Seiten der Unterthanen ist als
ein höchst strafbares Verbrechen anzusehn. Doch kann die
höchste Gewalt das Recht des Kriegs Unterthanen erthei-
len a), oder sie zu Ausübung rechtmäßiger Gewaltthätigkei-
ten bevollmächtigen b).

a) So ist zum Theil den großen Ostindischen Handelsgesellschaften,
wie überhaupt eine dem Staat untergeordnete Landeshoheit, so
auch ein, obwohl beschränktes, Recht mit Völkern außerhalb Eu-
ropa Krieg zu führen ertheilet worden. Pauli de iure belli socie-
tatum mercatoriarum maiorum
. Halae
1751. 4.
b) Dieß ist z. B. der Fall mit den Markhriefen, welche in Kriegs-
zeiten den Unterthanen auf ihr Gesuch ertheilet werden.
§. 260.
Rechtfertigungsgründe des Kriegs.

Keine Verletzung unvollkommner Pflichten kann für
sich betrachtet, je ein Rechtfertigungsgrund a) des Krieges
werden. Jede Verletzung einer vollkommnen Pflicht hin-
gegen, sie sey schon verübt, gegenwärtig, oder aus wahr-
scheinlichen Gründen zu befürchten b) kann, wenn nicht ein
anderes verabredet worden c), wenigstens stufenweise, wenn
gelindere Mittel vergebens versuchet worden, oder versuchet
werden würden, nach dem strengen äußeren Völkerrecht ein
gültiger Rechtfertigungsrund des Krieges werden d); und
da jede Nation hierinn ihren besten Einsichten zu folgen be-
rechtiget, keine aber Richterinn der andren ist, so behält
zwar jedes Volk das Recht Gewalt mit Gewalt zu vertreiben,
aber Kriege freyer Völker müssen in jedem irgend zweifelhaf-
ten Falle e) als äußerlich gerecht an beiden Seiten beurthei-
let werden, sofern von Behandlung des Feindes und von
Kriegsverträgen und Friedensschlüssen die Rede ist (§. 44).


a) Ueber
T 5
Vom Krieg und deſſen Folgen.
§. 259.
Wer das Recht habe Krieg zu fuͤhren.

Da das Recht Krieg zu fuͤhren als eines der weſent-
lichſten Hoheitsrechte anzuſehn iſt, ſo kann es der Regel nach
nur auf Befehl der hoͤchſten Gewalt ausgeuͤbet werden, und
jeder Eingriff in daſſelbe von Seiten der Unterthanen iſt als
ein hoͤchſt ſtrafbares Verbrechen anzuſehn. Doch kann die
hoͤchſte Gewalt das Recht des Kriegs Unterthanen erthei-
len a), oder ſie zu Ausuͤbung rechtmaͤßiger Gewaltthaͤtigkei-
ten bevollmaͤchtigen b).

a) So iſt zum Theil den großen Oſtindiſchen Handelsgeſellſchaften,
wie uͤberhaupt eine dem Staat untergeordnete Landeshoheit, ſo
auch ein, obwohl beſchraͤnktes, Recht mit Voͤlkern außerhalb Eu-
ropa Krieg zu fuͤhren ertheilet worden. Pauli de iure belli ſocie-
tatum mercatoriarum maiorum
. Halae
1751. 4.
b) Dieß iſt z. B. der Fall mit den Markhriefen, welche in Kriegs-
zeiten den Unterthanen auf ihr Geſuch ertheilet werden.
§. 260.
Rechtfertigungsgruͤnde des Kriegs.

Keine Verletzung unvollkommner Pflichten kann fuͤr
ſich betrachtet, je ein Rechtfertigungsgrund a) des Krieges
werden. Jede Verletzung einer vollkommnen Pflicht hin-
gegen, ſie ſey ſchon veruͤbt, gegenwaͤrtig, oder aus wahr-
ſcheinlichen Gruͤnden zu befuͤrchten b) kann, wenn nicht ein
anderes verabredet worden c), wenigſtens ſtufenweiſe, wenn
gelindere Mittel vergebens verſuchet worden, oder verſuchet
werden wuͤrden, nach dem ſtrengen aͤußeren Voͤlkerrecht ein
guͤltiger Rechtfertigungsrund des Krieges werden d); und
da jede Nation hierinn ihren beſten Einſichten zu folgen be-
rechtiget, keine aber Richterinn der andren iſt, ſo behaͤlt
zwar jedes Volk das Recht Gewalt mit Gewalt zu vertreiben,
aber Kriege freyer Voͤlker muͤſſen in jedem irgend zweifelhaf-
ten Falle e) als aͤußerlich gerecht an beiden Seiten beurthei-
let werden, ſofern von Behandlung des Feindes und von
Kriegsvertraͤgen und Friedensſchluͤſſen die Rede iſt (§. 44).


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[297/0325] Vom Krieg und deſſen Folgen. §. 259. Wer das Recht habe Krieg zu fuͤhren. Da das Recht Krieg zu fuͤhren als eines der weſent- lichſten Hoheitsrechte anzuſehn iſt, ſo kann es der Regel nach nur auf Befehl der hoͤchſten Gewalt ausgeuͤbet werden, und jeder Eingriff in daſſelbe von Seiten der Unterthanen iſt als ein hoͤchſt ſtrafbares Verbrechen anzuſehn. Doch kann die hoͤchſte Gewalt das Recht des Kriegs Unterthanen erthei- len a), oder ſie zu Ausuͤbung rechtmaͤßiger Gewaltthaͤtigkei- ten bevollmaͤchtigen b). a⁾ So iſt zum Theil den großen Oſtindiſchen Handelsgeſellſchaften, wie uͤberhaupt eine dem Staat untergeordnete Landeshoheit, ſo auch ein, obwohl beſchraͤnktes, Recht mit Voͤlkern außerhalb Eu- ropa Krieg zu fuͤhren ertheilet worden. Pauli de iure belli ſocie- tatum mercatoriarum maiorum. Halae 1751. 4. b⁾ Dieß iſt z. B. der Fall mit den Markhriefen, welche in Kriegs- zeiten den Unterthanen auf ihr Geſuch ertheilet werden. §. 260. Rechtfertigungsgruͤnde des Kriegs. Keine Verletzung unvollkommner Pflichten kann fuͤr ſich betrachtet, je ein Rechtfertigungsgrund a) des Krieges werden. Jede Verletzung einer vollkommnen Pflicht hin- gegen, ſie ſey ſchon veruͤbt, gegenwaͤrtig, oder aus wahr- ſcheinlichen Gruͤnden zu befuͤrchten b) kann, wenn nicht ein anderes verabredet worden c), wenigſtens ſtufenweiſe, wenn gelindere Mittel vergebens verſuchet worden, oder verſuchet werden wuͤrden, nach dem ſtrengen aͤußeren Voͤlkerrecht ein guͤltiger Rechtfertigungsrund des Krieges werden d); und da jede Nation hierinn ihren beſten Einſichten zu folgen be- rechtiget, keine aber Richterinn der andren iſt, ſo behaͤlt zwar jedes Volk das Recht Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, aber Kriege freyer Voͤlker muͤſſen in jedem irgend zweifelhaf- ten Falle e) als aͤußerlich gerecht an beiden Seiten beurthei- let werden, ſofern von Behandlung des Feindes und von Kriegsvertraͤgen und Friedensſchluͤſſen die Rede iſt (§. 44). a) Ueber T 5

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/325>, abgerufen am 16.04.2024.