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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Vom Krieg und dessen Folgen.
auf offenem Meer übt; er ist also defensiv von der Gegen-
seite. Allein 1) giebt es Fälle wo derjenige, der um einem
Anfalle, mit dem er bedrohet wird, zuvorzukommen, oder um
sich in den Besitz der außerhalb seines Gebiets ihm zuste-
henden und gekränkten Rechte zu erhalten, zuerst die Waf-
fen ergreift, die Grenzen eines Defensiv-Krieges nicht über-
schreitet. 2) Können oft Zweifel entstehn, wiefern eine ge-
gebene oder verweigerte Erklärung einer Kriegs-Erklärung,
oder wiefern einzelne Gattungen von Thätlichkeiten einem
förmlichen Friedensbruch gleich zu achten sind; daher ist kein
Wunder, wenn fast in jedem Kriege über die Frage gestritten
wird b), an welcher Seite er für defensiv zu achten sey c).

a) D. S. Wolf diff. de ratione belli offensiui et defensiui. Halae 1677.
Abhandlung von dem Unterschiede der Offensiv- u. Defensiv-
Kriege in teutsche Kriegscanzley
B. I. S. 773. Vattel L. III.
cap.
1. §. 5. aber auch Galliani Recht der Neutralität
I. B. V. H. S. 164.
b) Nicht der Wunsch allein in den Augen des Publicums für den
angegriffenen Theil gehalten zu werden, sondern vorzüglich die
Rücksicht auf die Hülfe unserer und unseres Feindes Defensio-
Alliirten macht es jedem Staat wichtig, die Schuld des Anfalls
auf den Gegentheil zu wälzen. Beyspiele s. in Moser Bey-
träge
Th. I. S. 3 u. f. insonderheit die Streitschriften bey An-
fang des Americanischen Krieges 1756 zwischen Großbritannien
und Frankreich, imgleichen des siebenjährigen Krieges, auch des
jetzigen Krieges wider Frankreich.
c) Man könnte noch eine dritte Gattung: den Entscheidungskrieg
hinzufügen, wo beyde Theile zugleich die Waffen ergreifen und
auf das Schicksal der Waffen zu compromittiren scheinen; die
Geschichte liefert Beyspiele genug davon, aber alle Rechtsfragen
drehen sich doch um den Punct wer der angefallene sey.
§. 262.
Kriegs-Ankündigung.

Daß eine Kriegs-Ankündigung von Seiten desjeni-
gen nicht erfordert werde, der bloß innerhalb der Grenzen sei-
nes Gebiets sich vertheidiget, ist in die Augen fallend. Aber

auch

Vom Krieg und deſſen Folgen.
auf offenem Meer uͤbt; er iſt alſo defenſiv von der Gegen-
ſeite. Allein 1) giebt es Faͤlle wo derjenige, der um einem
Anfalle, mit dem er bedrohet wird, zuvorzukommen, oder um
ſich in den Beſitz der außerhalb ſeines Gebiets ihm zuſte-
henden und gekraͤnkten Rechte zu erhalten, zuerſt die Waf-
fen ergreift, die Grenzen eines Defenſiv-Krieges nicht uͤber-
ſchreitet. 2) Koͤnnen oft Zweifel entſtehn, wiefern eine ge-
gebene oder verweigerte Erklaͤrung einer Kriegs-Erklaͤrung,
oder wiefern einzelne Gattungen von Thaͤtlichkeiten einem
foͤrmlichen Friedensbruch gleich zu achten ſind; daher iſt kein
Wunder, wenn faſt in jedem Kriege uͤber die Frage geſtritten
wird b), an welcher Seite er fuͤr defenſiv zu achten ſey c).

a) D. S. Wolf diff. de ratione belli offenſiui et defenſiui. Halae 1677.
Abhandlung von dem Unterſchiede der Offenſiv- u. Defenſiv-
Kriege in teutſche Kriegscanzley
B. I. S. 773. Vattel L. III.
cap.
1. §. 5. aber auch Galliani Recht der Neutralitaͤt
I. B. V. H. S. 164.
b) Nicht der Wunſch allein in den Augen des Publicums fuͤr den
angegriffenen Theil gehalten zu werden, ſondern vorzuͤglich die
Ruͤckſicht auf die Huͤlfe unſerer und unſeres Feindes Defenſio-
Alliirten macht es jedem Staat wichtig, die Schuld des Anfalls
auf den Gegentheil zu waͤlzen. Beyſpiele ſ. in Moſer Bey-
traͤge
Th. I. S. 3 u. f. inſonderheit die Streitſchriften bey An-
fang des Americaniſchen Krieges 1756 zwiſchen Großbritannien
und Frankreich, imgleichen des ſiebenjaͤhrigen Krieges, auch des
jetzigen Krieges wider Frankreich.
c) Man koͤnnte noch eine dritte Gattung: den Entſcheidungskrieg
hinzufuͤgen, wo beyde Theile zugleich die Waffen ergreifen und
auf das Schickſal der Waffen zu compromittiren ſcheinen; die
Geſchichte liefert Beyſpiele genug davon, aber alle Rechtsfragen
drehen ſich doch um den Punct wer der angefallene ſey.
§. 262.
Kriegs-Ankuͤndigung.

Daß eine Kriegs-Ankuͤndigung von Seiten desjeni-
gen nicht erfordert werde, der bloß innerhalb der Grenzen ſei-
nes Gebiets ſich vertheidiget, iſt in die Augen fallend. Aber

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[299/0327] Vom Krieg und deſſen Folgen. auf offenem Meer uͤbt; er iſt alſo defenſiv von der Gegen- ſeite. Allein 1) giebt es Faͤlle wo derjenige, der um einem Anfalle, mit dem er bedrohet wird, zuvorzukommen, oder um ſich in den Beſitz der außerhalb ſeines Gebiets ihm zuſte- henden und gekraͤnkten Rechte zu erhalten, zuerſt die Waf- fen ergreift, die Grenzen eines Defenſiv-Krieges nicht uͤber- ſchreitet. 2) Koͤnnen oft Zweifel entſtehn, wiefern eine ge- gebene oder verweigerte Erklaͤrung einer Kriegs-Erklaͤrung, oder wiefern einzelne Gattungen von Thaͤtlichkeiten einem foͤrmlichen Friedensbruch gleich zu achten ſind; daher iſt kein Wunder, wenn faſt in jedem Kriege uͤber die Frage geſtritten wird b), an welcher Seite er fuͤr defenſiv zu achten ſey c). a⁾ D. S. Wolf diff. de ratione belli offenſiui et defenſiui. Halae 1677. Abhandlung von dem Unterſchiede der Offenſiv- u. Defenſiv- Kriege in teutſche Kriegscanzley B. I. S. 773. Vattel L. III. cap. 1. §. 5. aber auch Galliani Recht der Neutralitaͤt I. B. V. H. S. 164. b⁾ Nicht der Wunſch allein in den Augen des Publicums fuͤr den angegriffenen Theil gehalten zu werden, ſondern vorzuͤglich die Ruͤckſicht auf die Huͤlfe unſerer und unſeres Feindes Defenſio- Alliirten macht es jedem Staat wichtig, die Schuld des Anfalls auf den Gegentheil zu waͤlzen. Beyſpiele ſ. in Moſer Bey- traͤge Th. I. S. 3 u. f. inſonderheit die Streitſchriften bey An- fang des Americaniſchen Krieges 1756 zwiſchen Großbritannien und Frankreich, imgleichen des ſiebenjaͤhrigen Krieges, auch des jetzigen Krieges wider Frankreich. c⁾ Man koͤnnte noch eine dritte Gattung: den Entſcheidungskrieg hinzufuͤgen, wo beyde Theile zugleich die Waffen ergreifen und auf das Schickſal der Waffen zu compromittiren ſcheinen; die Geſchichte liefert Beyſpiele genug davon, aber alle Rechtsfragen drehen ſich doch um den Punct wer der angefallene ſey. §. 262. Kriegs-Ankuͤndigung. Daß eine Kriegs-Ankuͤndigung von Seiten desjeni- gen nicht erfordert werde, der bloß innerhalb der Grenzen ſei- nes Gebiets ſich vertheidiget, iſt in die Augen fallend. Aber auch

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/327>, abgerufen am 28.03.2024.