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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Zweytes Buch. Erstes Hauptstück.
Lehrbuch der practischen Philosophie Naturrecht II. Haupt-
stück I. Aschn. §. 13.
§. 30.
Die Occupation muß möglich seyn.

Soll durch Occupation Eigenthum erworben werden,
so muß 1) physisch möglich seyn die zu erwerbende Sache
in die Umstände zu bringen, daß man ausschließlich darüber
disponiren kann. Dies ist zwar Völkern in ausgedehnte-
rem Maaße als Individuen möglich, doch entstehn auch in
Ansehung ihrer hieraus Beschränkungen z. B. in Ansehung
des weiten Weltmeers; es muß 2) moralisch möglich seyn
andere von dem ursprünglich gemeinschaftlichen Gebrauch
auszuschließen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn
unser Nutze oder unsre Sicherheit den ausschließlichen Besitz
erfordert, daher kann nach natürlichem Recht eine Nation
ihre Occupation nicht ins unendliche ausdehnen a), daher
können die Sachen die, wie das weite Weltmeer, zu Be-
friedigung der Bedürfnisse des Menschengeschlechts auch dann
hinreichen, wenn sie gemeinschaftlich bleiben, und deren Com-
munion niemandem Gefahr drohet, nicht mit Recht von
einer Nation occupirt werden, 3) die zu erwerbende Sache
muß noch herrenlos geblieben, oder wieder geworden seyn.
Da das Recht Eigenthum zu erwerben allen Menschen, un-
abhängig von ihrer Religion und Aufklärung, auf gleiche
Weise zusteht, so können christliche Völker Lande welche
die Wilden schon wirklich occupirt haben nicht mit Recht
in Besitz nehmen b).

a) Barreyrac not. ad Puffendorff L. IV. c. 4. §. 4.
b) Günther E. V. R. a. a. O. S. 10. und die daselbst ange-
führten Schriften. Daß das Land occupirt werden könne, welches
nomadische Völker inne haben behauptet Pfeffel principes du
droit naturel
L. III. cap. IV.
§. 21.
§. 31.
Die Occupation muß wirklich erfolget seyn.

Es muß auch 3) die Occupation wirklich erfolget seyn;
diese erfordert Besitznahme, und hinreichend erklärten Willen

Eigen-
Zweytes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck.
Lehrbuch der practiſchen Philoſophie Naturrecht II. Haupt-
ſtuͤck I. Aſchn. §. 13.
§. 30.
Die Occupation muß moͤglich ſeyn.

Soll durch Occupation Eigenthum erworben werden,
ſo muß 1) phyſiſch moͤglich ſeyn die zu erwerbende Sache
in die Umſtaͤnde zu bringen, daß man ausſchließlich daruͤber
diſponiren kann. Dies iſt zwar Voͤlkern in ausgedehnte-
rem Maaße als Individuen moͤglich, doch entſtehn auch in
Anſehung ihrer hieraus Beſchraͤnkungen z. B. in Anſehung
des weiten Weltmeers; es muß 2) moraliſch moͤglich ſeyn
andere von dem urſpruͤnglich gemeinſchaftlichen Gebrauch
auszuſchließen. Dies iſt aber nur dann der Fall, wenn
unſer Nutze oder unſre Sicherheit den ausſchließlichen Beſitz
erfordert, daher kann nach natuͤrlichem Recht eine Nation
ihre Occupation nicht ins unendliche ausdehnen a), daher
koͤnnen die Sachen die, wie das weite Weltmeer, zu Be-
friedigung der Beduͤrfniſſe des Menſchengeſchlechts auch dann
hinreichen, wenn ſie gemeinſchaftlich bleiben, und deren Com-
munion niemandem Gefahr drohet, nicht mit Recht von
einer Nation occupirt werden, 3) die zu erwerbende Sache
muß noch herrenlos geblieben, oder wieder geworden ſeyn.
Da das Recht Eigenthum zu erwerben allen Menſchen, un-
abhaͤngig von ihrer Religion und Aufklaͤrung, auf gleiche
Weiſe zuſteht, ſo koͤnnen chriſtliche Voͤlker Lande welche
die Wilden ſchon wirklich occupirt haben nicht mit Recht
in Beſitz nehmen b).

a) Barreyrac not. ad Puffendorff L. IV. c. 4. §. 4.
b) Guͤnther E. V. R. a. a. O. S. 10. und die daſelbſt ange-
fuͤhrten Schriften. Daß das Land occupirt werden koͤnne, welches
nomadiſche Voͤlker inne haben behauptet Pfeffel principes du
droit naturel
L. III. cap. IV.
§. 21.
§. 31.
Die Occupation muß wirklich erfolget ſeyn.

Es muß auch 3) die Occupation wirklich erfolget ſeyn;
dieſe erfordert Beſitznahme, und hinreichend erklaͤrten Willen

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[42/0070] Zweytes Buch. Erſtes Hauptſtuͤck. b⁾ Lehrbuch der practiſchen Philoſophie Naturrecht II. Haupt- ſtuͤck I. Aſchn. §. 13. §. 30. Die Occupation muß moͤglich ſeyn. Soll durch Occupation Eigenthum erworben werden, ſo muß 1) phyſiſch moͤglich ſeyn die zu erwerbende Sache in die Umſtaͤnde zu bringen, daß man ausſchließlich daruͤber diſponiren kann. Dies iſt zwar Voͤlkern in ausgedehnte- rem Maaße als Individuen moͤglich, doch entſtehn auch in Anſehung ihrer hieraus Beſchraͤnkungen z. B. in Anſehung des weiten Weltmeers; es muß 2) moraliſch moͤglich ſeyn andere von dem urſpruͤnglich gemeinſchaftlichen Gebrauch auszuſchließen. Dies iſt aber nur dann der Fall, wenn unſer Nutze oder unſre Sicherheit den ausſchließlichen Beſitz erfordert, daher kann nach natuͤrlichem Recht eine Nation ihre Occupation nicht ins unendliche ausdehnen a), daher koͤnnen die Sachen die, wie das weite Weltmeer, zu Be- friedigung der Beduͤrfniſſe des Menſchengeſchlechts auch dann hinreichen, wenn ſie gemeinſchaftlich bleiben, und deren Com- munion niemandem Gefahr drohet, nicht mit Recht von einer Nation occupirt werden, 3) die zu erwerbende Sache muß noch herrenlos geblieben, oder wieder geworden ſeyn. Da das Recht Eigenthum zu erwerben allen Menſchen, un- abhaͤngig von ihrer Religion und Aufklaͤrung, auf gleiche Weiſe zuſteht, ſo koͤnnen chriſtliche Voͤlker Lande welche die Wilden ſchon wirklich occupirt haben nicht mit Recht in Beſitz nehmen b). a⁾ Barreyrac not. ad Puffendorff L. IV. c. 4. §. 4. b⁾ Guͤnther E. V. R. a. a. O. S. 10. und die daſelbſt ange- fuͤhrten Schriften. Daß das Land occupirt werden koͤnne, welches nomadiſche Voͤlker inne haben behauptet Pfeffel principes du droit naturel L. III. cap. IV. §. 21. §. 31. Die Occupation muß wirklich erfolget ſeyn. Es muß auch 3) die Occupation wirklich erfolget ſeyn; dieſe erfordert Beſitznahme, und hinreichend erklaͤrten Willen Eigen-

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/70>, abgerufen am 29.03.2024.