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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Zweytes Buch. Zweytes Hauptstück.
ter erkennen, die Sicherheit, Freyheit und Unabhängigkeit
der Völker auch nicht bestehn kann, wenn ein Volk nicht
im zweifelhaften Fall die Gewalt welche eine andere an-
wendet als nicht erwiesen ungerecht ansieht b), so leidet
das eigene Beste derselben nicht sich von Verträgen unter
dem Vorwand, daß sie mit Gewalt erzwungen seyn, loß
zu sagen, außer höchstens in dem Fall, wo die Unrecht-
mäßigkeit der Gewalt so in die Augen fallend wäre, daß
es darüber keines Beweises bedürfte. Nimmt man den
Begriff einer natürlichen oder positiven Völkergesellschaft
hinzu (§. 5.) so würde dieses auch als ein Grundsatz des
natürlichen Gesellschaftrechts der Völker anzusehn seyn.

a) Puffendorf ins naturae et Gentium. L. III. cap. 6.
b) Die Folgen dieses Satzes, daß eine jede Nation, obwohl sie
ihrer Seits ihren Einsichten gemäß zu handeln befugt ist, doch
auch die Handlungen des Gegentheils nicht als erwiesen unge-
recht ansehn darf, äußern sich 1) in der Behandlung des Geg-
ners als rechtmäßigen Feind während des Kriegs, 2) in Beur-
theilung der Gültigkeit des mit ihm geschlossenen Vertrags.
§. 45.
4) Gegenseitig.

Die Einwilligung muß gegenseitig seyn, d. h. Ver-
sprechen und Acceptation müssen zusammen treten. Wo
dieses ist, da ist die Form des Vertrags gleichgültig, es
mag, wie gewöhnlich, ein Instrument von beiden Theilen
unterschrieben, oder auf eine einseitige Declaration eine Ge-
gendeclaration erfolget, oder sonst die Acceptation zum vor-
aus oder nachmahls erkläret seyn a).

Sie muß aber auch in demselben Gegenstande zusam-
mentreffen. Irrthum in Ansehung eines Puncts der den
Grund des geschloßenen Vertrages enthält, macht ihn un-
verbindlich, die Rede sey von einem bloßen Irrthum, oder
von einem solchen, der durch Betrug des Contrahenten (in
welchem Fall noch ein neuer Grund hinzukommt) oder
eines dritten veranlasset worden b). War indeß der Irr-

thum

Zweytes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck.
ter erkennen, die Sicherheit, Freyheit und Unabhaͤngigkeit
der Voͤlker auch nicht beſtehn kann, wenn ein Volk nicht
im zweifelhaften Fall die Gewalt welche eine andere an-
wendet als nicht erwieſen ungerecht anſieht b), ſo leidet
das eigene Beſte derſelben nicht ſich von Vertraͤgen unter
dem Vorwand, daß ſie mit Gewalt erzwungen ſeyn, loß
zu ſagen, außer hoͤchſtens in dem Fall, wo die Unrecht-
maͤßigkeit der Gewalt ſo in die Augen fallend waͤre, daß
es daruͤber keines Beweiſes beduͤrfte. Nimmt man den
Begriff einer natuͤrlichen oder poſitiven Voͤlkergeſellſchaft
hinzu (§. 5.) ſo wuͤrde dieſes auch als ein Grundſatz des
natuͤrlichen Geſellſchaftrechts der Voͤlker anzuſehn ſeyn.

a) Puffendorf ins naturae et Gentium. L. III. cap. 6.
b) Die Folgen dieſes Satzes, daß eine jede Nation, obwohl ſie
ihrer Seits ihren Einſichten gemaͤß zu handeln befugt iſt, doch
auch die Handlungen des Gegentheils nicht als erwieſen unge-
recht anſehn darf, aͤußern ſich 1) in der Behandlung des Geg-
ners als rechtmaͤßigen Feind waͤhrend des Kriegs, 2) in Beur-
theilung der Guͤltigkeit des mit ihm geſchloſſenen Vertrags.
§. 45.
4) Gegenſeitig.

Die Einwilligung muß gegenſeitig ſeyn, d. h. Ver-
ſprechen und Acceptation muͤſſen zuſammen treten. Wo
dieſes iſt, da iſt die Form des Vertrags gleichguͤltig, es
mag, wie gewoͤhnlich, ein Inſtrument von beiden Theilen
unterſchrieben, oder auf eine einſeitige Declaration eine Ge-
gendeclaration erfolget, oder ſonſt die Acceptation zum vor-
aus oder nachmahls erklaͤret ſeyn a).

Sie muß aber auch in demſelben Gegenſtande zuſam-
mentreffen. Irrthum in Anſehung eines Puncts der den
Grund des geſchloßenen Vertrages enthaͤlt, macht ihn un-
verbindlich, die Rede ſey von einem bloßen Irrthum, oder
von einem ſolchen, der durch Betrug des Contrahenten (in
welchem Fall noch ein neuer Grund hinzukommt) oder
eines dritten veranlaſſet worden b). War indeß der Irr-

thum
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[56/0084] Zweytes Buch. Zweytes Hauptſtuͤck. ter erkennen, die Sicherheit, Freyheit und Unabhaͤngigkeit der Voͤlker auch nicht beſtehn kann, wenn ein Volk nicht im zweifelhaften Fall die Gewalt welche eine andere an- wendet als nicht erwieſen ungerecht anſieht b), ſo leidet das eigene Beſte derſelben nicht ſich von Vertraͤgen unter dem Vorwand, daß ſie mit Gewalt erzwungen ſeyn, loß zu ſagen, außer hoͤchſtens in dem Fall, wo die Unrecht- maͤßigkeit der Gewalt ſo in die Augen fallend waͤre, daß es daruͤber keines Beweiſes beduͤrfte. Nimmt man den Begriff einer natuͤrlichen oder poſitiven Voͤlkergeſellſchaft hinzu (§. 5.) ſo wuͤrde dieſes auch als ein Grundſatz des natuͤrlichen Geſellſchaftrechts der Voͤlker anzuſehn ſeyn. a⁾ Puffendorf ins naturae et Gentium. L. III. cap. 6. b⁾ Die Folgen dieſes Satzes, daß eine jede Nation, obwohl ſie ihrer Seits ihren Einſichten gemaͤß zu handeln befugt iſt, doch auch die Handlungen des Gegentheils nicht als erwieſen unge- recht anſehn darf, aͤußern ſich 1) in der Behandlung des Geg- ners als rechtmaͤßigen Feind waͤhrend des Kriegs, 2) in Beur- theilung der Guͤltigkeit des mit ihm geſchloſſenen Vertrags. §. 45. 4) Gegenſeitig. Die Einwilligung muß gegenſeitig ſeyn, d. h. Ver- ſprechen und Acceptation muͤſſen zuſammen treten. Wo dieſes iſt, da iſt die Form des Vertrags gleichguͤltig, es mag, wie gewoͤhnlich, ein Inſtrument von beiden Theilen unterſchrieben, oder auf eine einſeitige Declaration eine Ge- gendeclaration erfolget, oder ſonſt die Acceptation zum vor- aus oder nachmahls erklaͤret ſeyn a). Sie muß aber auch in demſelben Gegenſtande zuſam- mentreffen. Irrthum in Anſehung eines Puncts der den Grund des geſchloßenen Vertrages enthaͤlt, macht ihn un- verbindlich, die Rede ſey von einem bloßen Irrthum, oder von einem ſolchen, der durch Betrug des Contrahenten (in welchem Fall noch ein neuer Grund hinzukommt) oder eines dritten veranlaſſet worden b). War indeß der Irr- thum

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/84>, abgerufen am 20.04.2024.