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Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21.

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D.
Das Studium der Christin.

Kann also das deutsche Mädchen studieren, ohne an
seinem Wert und seiner Weiblichkeit Schaden zu nehmen,
haben wir uns gar überzeugt, daß ernstes Studinm die Ent-
wickelung vieler Frauen fördern muß, so wird mancher nicht
verstehen, warum ich die Frage noch einmal vom christlichen
Standpunkt aus betrachten möchte. Denn wenn noch so
viele, einzeln und in Parteien, sich von Christus abwenden:
unsere heutige Ethik ist doch aus christlichen Elementen zu-
sammengesetzt, unsere Kultur ist auf dem Boden christlicher
Anschauungen erwachsen. Für die einzelnen Personen aber
entscheiden zu wollen, ob sie bei dieser oder jener Handlungs-
weise Christen seien, ist keines Menschen Sache, und bei
dem Versuch würden wir wohl aus Christi Mund hören
müssen: "Dieser ging hinaus gerechtfertigt vor jenem."
Der Wert des Menschen entscheidet sich erst, wenn wir,
wie das Volk so schlicht sagt, an der Wahrheit sind.
Dann heißt es, Gott sei Dank, nicht: "Was hast du für rich-
tig gehalten?" sondern: "Was ihr gethan habt meinen
geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan."

Doch aber scheidet sich heute schärfer als jemals die
Welt in zwei Gruppen: die Ewigkeitsmenschen, die ihr
Ziel im Jenseits haben und ihr Leben nicht nach irdischen
Erfolgen regeln, sondern vor allem fragen: "Was würde
Christus an meiner Stelle thun?" und die Menschen, die,
so rein, selbstlos und sittlich sie ihr Leben gestalten mögen,
doch den Schwerpunkt in die Erdenzeit legen und sich nur
für dieses Leben einrichten. Beide streben nach dem Guten,
jeder möchte sein Jdeal verwirklichen. Auch der Diesseits-
mensch steckt sich die Ziele hoch und möchte sich im Guten
auswirken. Je vergänglicher er sich weiß, um so eifriger
lebt er für die Menschheit. Er konzentriert sein Wollen
auf diese Spanne Zeit und arbeitet darum mit intensiver
Freudigkeit. "Die Kinder dieser Welt sind klüger als die
Kinder des Lichts."

Jeder muß wissen, zu welcher Gruppe er sich, nicht
die andern,
rechnen will. Jch rede hier zu solchen,

D.
Das Studium der Christin.

Kann also das deutsche Mädchen studieren, ohne an
seinem Wert und seiner Weiblichkeit Schaden zu nehmen,
haben wir uns gar überzeugt, daß ernstes Studinm die Ent-
wickelung vieler Frauen fördern muß, so wird mancher nicht
verstehen, warum ich die Frage noch einmal vom christlichen
Standpunkt aus betrachten möchte. Denn wenn noch so
viele, einzeln und in Parteien, sich von Christus abwenden:
unsere heutige Ethik ist doch aus christlichen Elementen zu-
sammengesetzt, unsere Kultur ist auf dem Boden christlicher
Anschauungen erwachsen. Für die einzelnen Personen aber
entscheiden zu wollen, ob sie bei dieser oder jener Handlungs-
weise Christen seien, ist keines Menschen Sache, und bei
dem Versuch würden wir wohl aus Christi Mund hören
müssen: „Dieser ging hinaus gerechtfertigt vor jenem.“
Der Wert des Menschen entscheidet sich erst, wenn wir,
wie das Volk so schlicht sagt, an der Wahrheit sind.
Dann heißt es, Gott sei Dank, nicht: „Was hast du für rich-
tig gehalten?“ sondern: „Was ihr gethan habt meinen
geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan.“

Doch aber scheidet sich heute schärfer als jemals die
Welt in zwei Gruppen: die Ewigkeitsmenschen, die ihr
Ziel im Jenseits haben und ihr Leben nicht nach irdischen
Erfolgen regeln, sondern vor allem fragen: „Was würde
Christus an meiner Stelle thun?“ und die Menschen, die,
so rein, selbstlos und sittlich sie ihr Leben gestalten mögen,
doch den Schwerpunkt in die Erdenzeit legen und sich nur
für dieses Leben einrichten. Beide streben nach dem Guten,
jeder möchte sein Jdeal verwirklichen. Auch der Diesseits-
mensch steckt sich die Ziele hoch und möchte sich im Guten
auswirken. Je vergänglicher er sich weiß, um so eifriger
lebt er für die Menschheit. Er konzentriert sein Wollen
auf diese Spanne Zeit und arbeitet darum mit intensiver
Freudigkeit. „Die Kinder dieser Welt sind klüger als die
Kinder des Lichts.“

Jeder muß wissen, zu welcher Gruppe er sich, nicht
die andern,
rechnen will. Jch rede hier zu solchen,

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[15/0015] D. Das Studium der Christin. Kann also das deutsche Mädchen studieren, ohne an seinem Wert und seiner Weiblichkeit Schaden zu nehmen, haben wir uns gar überzeugt, daß ernstes Studinm die Ent- wickelung vieler Frauen fördern muß, so wird mancher nicht verstehen, warum ich die Frage noch einmal vom christlichen Standpunkt aus betrachten möchte. Denn wenn noch so viele, einzeln und in Parteien, sich von Christus abwenden: unsere heutige Ethik ist doch aus christlichen Elementen zu- sammengesetzt, unsere Kultur ist auf dem Boden christlicher Anschauungen erwachsen. Für die einzelnen Personen aber entscheiden zu wollen, ob sie bei dieser oder jener Handlungs- weise Christen seien, ist keines Menschen Sache, und bei dem Versuch würden wir wohl aus Christi Mund hören müssen: „Dieser ging hinaus gerechtfertigt vor jenem.“ Der Wert des Menschen entscheidet sich erst, wenn wir, wie das Volk so schlicht sagt, an der Wahrheit sind. Dann heißt es, Gott sei Dank, nicht: „Was hast du für rich- tig gehalten?“ sondern: „Was ihr gethan habt meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan.“ Doch aber scheidet sich heute schärfer als jemals die Welt in zwei Gruppen: die Ewigkeitsmenschen, die ihr Ziel im Jenseits haben und ihr Leben nicht nach irdischen Erfolgen regeln, sondern vor allem fragen: „Was würde Christus an meiner Stelle thun?“ und die Menschen, die, so rein, selbstlos und sittlich sie ihr Leben gestalten mögen, doch den Schwerpunkt in die Erdenzeit legen und sich nur für dieses Leben einrichten. Beide streben nach dem Guten, jeder möchte sein Jdeal verwirklichen. Auch der Diesseits- mensch steckt sich die Ziele hoch und möchte sich im Guten auswirken. Je vergänglicher er sich weiß, um so eifriger lebt er für die Menschheit. Er konzentriert sein Wollen auf diese Spanne Zeit und arbeitet darum mit intensiver Freudigkeit. „Die Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder des Lichts.“ Jeder muß wissen, zu welcher Gruppe er sich, nicht die andern, rechnen will. Jch rede hier zu solchen,

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Soll die christliche Frau studieren? In: Martin, Marie et al.: Soll die christliche Frau studieren? Die Hausindustrie der Frauen in Berlin. Der neue Gewerkverein der Heimarbeiterinnen für Kleider- und Wäschekonfektion. Berlin, 1901 (= Hefte der Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz, Bd. 17). S. 3–21, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frau_1901/15>, abgerufen am 28.03.2024.