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Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905.

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Die Not.
"Daß sie sich ganz vergißt und leben mag nur in den andern."

Es gibt ein feines kleines Buch "Frauentrost". Darin
heißt es: "Alle brachliegende Kraft ist ein Uebel für ihren
Besitzer und ein Schaden für die Menschheit. Und wieviel
weibliche Kraft liegt heute brach!" Diese Not der Frau, des
deutschen Volkes, erkennt jeder, der sich nicht aus irgend einem
gröblich egoistischen Interesse, sei es persönlicher, sei es partei-
politischer Art, die Augen zuhalten will. Die Wurzeln dieser
verderblichen, des Volksglück untergrabenden Erscheinung aber
und die Ziele und Wege der Abhilfe werden schwer gefunden.
Das Problem "Frauenbildung" steht unter so schillernder Be-
leuchtung, wie wenig Kulturfragen, auch gibt es kaum eine
Kulturfrage, deren Voraussetzungen und Grundlagen sich so
schnell geändert haben, als alle die Verhältnisse, die der
Frauenbildungsfrage zu Grunde liegen. Tatsache ist, daß die
Frauenbildung nicht in dem lebendigen Fluß der übrigen
Kulturentwickelung mit vorwärts geschwommen, daß sie also
relativ zurückgeblieben ist- und Tatsache ist, daß wir Frauen,
wie auch unsre Freunde und Feinde, unwiderleglich wissen,
daß heute viel edle Frauenkraft brach liegt. Will man in
das Verständnis dieser traurigen Erscheinung eindringen, so
nützen allerhand weisheitsvolle Theorien über Frauenart und
Frauenpflicht wenig ohne die praktische Untersuchung, wie
sich die Not historisch entwickelt hat und also auch zu be-
seitigen sei; ebenso aber nützen derartige Untersuchungen wenig,
wenn man sie loslöst von der sorgfältigen Beachtung unsrer
weiblichen Eigentümlichkeiten in Anlagen und Aufgabe.

Die Not.
„Daß sie sich ganz vergißt und leben mag nur in den andern.“

Es gibt ein feines kleines Buch „Frauentrost“. Darin
heißt es: „Alle brachliegende Kraft ist ein Uebel für ihren
Besitzer und ein Schaden für die Menschheit. Und wieviel
weibliche Kraft liegt heute brach!“ Diese Not der Frau, des
deutschen Volkes, erkennt jeder, der sich nicht aus irgend einem
gröblich egoistischen Interesse, sei es persönlicher, sei es partei-
politischer Art, die Augen zuhalten will. Die Wurzeln dieser
verderblichen, des Volksglück untergrabenden Erscheinung aber
und die Ziele und Wege der Abhilfe werden schwer gefunden.
Das Problem „Frauenbildung“ steht unter so schillernder Be-
leuchtung, wie wenig Kulturfragen, auch gibt es kaum eine
Kulturfrage, deren Voraussetzungen und Grundlagen sich so
schnell geändert haben, als alle die Verhältnisse, die der
Frauenbildungsfrage zu Grunde liegen. Tatsache ist, daß die
Frauenbildung nicht in dem lebendigen Fluß der übrigen
Kulturentwickelung mit vorwärts geschwommen, daß sie also
relativ zurückgeblieben ist- und Tatsache ist, daß wir Frauen,
wie auch unsre Freunde und Feinde, unwiderleglich wissen,
daß heute viel edle Frauenkraft brach liegt. Will man in
das Verständnis dieser traurigen Erscheinung eindringen, so
nützen allerhand weisheitsvolle Theorien über Frauenart und
Frauenpflicht wenig ohne die praktische Untersuchung, wie
sich die Not historisch entwickelt hat und also auch zu be-
seitigen sei; ebenso aber nützen derartige Untersuchungen wenig,
wenn man sie loslöst von der sorgfältigen Beachtung unsrer
weiblichen Eigentümlichkeiten in Anlagen und Aufgabe.

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[1/0004] Die Not. „Daß sie sich ganz vergißt und leben mag nur in den andern.“ Es gibt ein feines kleines Buch „Frauentrost“. Darin heißt es: „Alle brachliegende Kraft ist ein Uebel für ihren Besitzer und ein Schaden für die Menschheit. Und wieviel weibliche Kraft liegt heute brach!“ Diese Not der Frau, des deutschen Volkes, erkennt jeder, der sich nicht aus irgend einem gröblich egoistischen Interesse, sei es persönlicher, sei es partei- politischer Art, die Augen zuhalten will. Die Wurzeln dieser verderblichen, des Volksglück untergrabenden Erscheinung aber und die Ziele und Wege der Abhilfe werden schwer gefunden. Das Problem „Frauenbildung“ steht unter so schillernder Be- leuchtung, wie wenig Kulturfragen, auch gibt es kaum eine Kulturfrage, deren Voraussetzungen und Grundlagen sich so schnell geändert haben, als alle die Verhältnisse, die der Frauenbildungsfrage zu Grunde liegen. Tatsache ist, daß die Frauenbildung nicht in dem lebendigen Fluß der übrigen Kulturentwickelung mit vorwärts geschwommen, daß sie also relativ zurückgeblieben ist- und Tatsache ist, daß wir Frauen, wie auch unsre Freunde und Feinde, unwiderleglich wissen, daß heute viel edle Frauenkraft brach liegt. Will man in das Verständnis dieser traurigen Erscheinung eindringen, so nützen allerhand weisheitsvolle Theorien über Frauenart und Frauenpflicht wenig ohne die praktische Untersuchung, wie sich die Not historisch entwickelt hat und also auch zu be- seitigen sei; ebenso aber nützen derartige Untersuchungen wenig, wenn man sie loslöst von der sorgfältigen Beachtung unsrer weiblichen Eigentümlichkeiten in Anlagen und Aufgabe.

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Zitationshilfe: Martin, Marie: Wahre Frauenbildung. Tübingen 1905, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martin_frauenbildung_1905/4>, abgerufen am 29.03.2024.