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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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gebens stimmte Changarnier für den Vorschlag und huldigte Thiers der um¬
sichtigen Weisheit der ehemaligen Konstituante. Der Kriegsminister
St
. Arnaud antwortete ihm, wie dem Marrast Changarnier geantwortet
hatte, und -- unter dem Beifallsruf der Montagne!

So hatte die Partei der Ordnung selbst, als sie noch nicht
Nationalversammlung, als sie nur noch Ministerium war, das parlamen¬
tarische Regime
gebrandmarkt. Und sie schreit auf, als der 2. Dezem¬
ber 1851 es aus Frankreich verbannt!

Wir wünschen ihm glückliche Reise.


III.

Am 29. Mai 1849 trat die gesetzgebende Nationalversammlung zusammen.
Am 2. Dezember 1851 ward sie gesprengt. Diese Periode umfaßt die Lebens¬
dauer der konstitutionellen oder parlamentarischen Republik.

In der ersten französischen Revolution folgt auf die Herrschaft der
Konstitutionellen die Herrschaft der Girondins und auf die Herr¬
schaft der Girondins die Herrschaft der Jakobiner. Jede dieser Par¬
teien stützt sich auf die fortgeschrittenere. Sobald sie die Revolution weit
genug geführt hat, um ihr nicht mehr folgen, noch weniger ihr vorangehn zu
können, wird sie von dem kühnern Verbündeten, der hinter ihr steht, bei
Seite geschoben, und auf die Guillotine geschickt. Die Revolution bewegt
sich so in aufsteigender Linie.

Umgekehrt die Revolution von 1848. Die proletarische Partei erscheint
als Anhang der kleinbürgerlich-demokratischen. Sie wird von ihr verrathen
und fallen gelassen am 16. April, am 15. Mai und in den Junitagen. Die
demokratische Partei ihrerseits lehnt sich auf die Schultern der bourgeois¬
republikanischen. Die Bourgeois-Republikaner glauben kaum festzustehn, als
sie den lästigen Kameraden abschütteln und sich selbst auf die Schultern der
Ordnungspartei stützen. Die Ordnungspartei zieht ihre Schultern ein, läßt
die Bourgeois-Republikaner purzeln und wirft sich auf die Schultern der
bewaffneten Gewalt. Sie glaubt noch auf ihren Schultern zu sitzen, als sie
an einem schönen Morgen bemerkt, daß sich die Schultern in Bajonette ver¬
wandelt haben. Jede Partei schlägt von hinten aus nach der weiterdrängen¬
den, und lehnt sich von vorn über auf die zurückdrängende. Kein Wunder,
daß sie in dieser lächerlichen Positur das Gleichgewicht verliert, und, nachdem

gebens ſtimmte Changarnier für den Vorſchlag und huldigte Thiers der um¬
ſichtigen Weisheit der ehemaligen Konſtituante. Der Kriegsminiſter
St
. Arnaud antwortete ihm, wie dem Marraſt Changarnier geantwortet
hatte, und — unter dem Beifallsruf der Montagne!

So hatte die Partei der Ordnung ſelbſt, als ſie noch nicht
Nationalverſammlung, als ſie nur noch Miniſterium war, das parlamen¬
tariſche Regime
gebrandmarkt. Und ſie ſchreit auf, als der 2. Dezem¬
ber 1851 es aus Frankreich verbannt!

Wir wünſchen ihm glückliche Reiſe.


III.

Am 29. Mai 1849 trat die geſetzgebende Nationalverſammlung zuſammen.
Am 2. Dezember 1851 ward ſie geſprengt. Dieſe Periode umfaßt die Lebens¬
dauer der konſtitutionellen oder parlamentariſchen Republik.

In der erſten franzöſiſchen Revolution folgt auf die Herrſchaft der
Konſtitutionellen die Herrſchaft der Girondins und auf die Herr¬
ſchaft der Girondins die Herrſchaft der Jakobiner. Jede dieſer Par¬
teien ſtützt ſich auf die fortgeſchrittenere. Sobald ſie die Revolution weit
genug geführt hat, um ihr nicht mehr folgen, noch weniger ihr vorangehn zu
können, wird ſie von dem kühnern Verbündeten, der hinter ihr ſteht, bei
Seite geſchoben, und auf die Guillotine geſchickt. Die Revolution bewegt
ſich ſo in aufſteigender Linie.

Umgekehrt die Revolution von 1848. Die proletariſche Partei erſcheint
als Anhang der kleinbürgerlich-demokratiſchen. Sie wird von ihr verrathen
und fallen gelaſſen am 16. April, am 15. Mai und in den Junitagen. Die
demokratiſche Partei ihrerſeits lehnt ſich auf die Schultern der bourgeois¬
republikaniſchen. Die Bourgeois-Republikaner glauben kaum feſtzuſtehn, als
ſie den läſtigen Kameraden abſchütteln und ſich ſelbſt auf die Schultern der
Ordnungspartei ſtützen. Die Ordnungspartei zieht ihre Schultern ein, läßt
die Bourgeois-Republikaner purzeln und wirft ſich auf die Schultern der
bewaffneten Gewalt. Sie glaubt noch auf ihren Schultern zu ſitzen, als ſie
an einem ſchönen Morgen bemerkt, daß ſich die Schultern in Bajonette ver¬
wandelt haben. Jede Partei ſchlägt von hinten aus nach der weiterdrängen¬
den, und lehnt ſich von vorn über auf die zurückdrängende. Kein Wunder,
daß ſie in dieſer lächerlichen Poſitur das Gleichgewicht verliert, und, nachdem

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[22/0034] gebens ſtimmte Changarnier für den Vorſchlag und huldigte Thiers der um¬ ſichtigen Weisheit der ehemaligen Konſtituante. Der Kriegsminiſter St. Arnaud antwortete ihm, wie dem Marraſt Changarnier geantwortet hatte, und — unter dem Beifallsruf der Montagne! So hatte die Partei der Ordnung ſelbſt, als ſie noch nicht Nationalverſammlung, als ſie nur noch Miniſterium war, das parlamen¬ tariſche Regime gebrandmarkt. Und ſie ſchreit auf, als der 2. Dezem¬ ber 1851 es aus Frankreich verbannt! Wir wünſchen ihm glückliche Reiſe. III. Am 29. Mai 1849 trat die geſetzgebende Nationalverſammlung zuſammen. Am 2. Dezember 1851 ward ſie geſprengt. Dieſe Periode umfaßt die Lebens¬ dauer der konſtitutionellen oder parlamentariſchen Republik. In der erſten franzöſiſchen Revolution folgt auf die Herrſchaft der Konſtitutionellen die Herrſchaft der Girondins und auf die Herr¬ ſchaft der Girondins die Herrſchaft der Jakobiner. Jede dieſer Par¬ teien ſtützt ſich auf die fortgeſchrittenere. Sobald ſie die Revolution weit genug geführt hat, um ihr nicht mehr folgen, noch weniger ihr vorangehn zu können, wird ſie von dem kühnern Verbündeten, der hinter ihr ſteht, bei Seite geſchoben, und auf die Guillotine geſchickt. Die Revolution bewegt ſich ſo in aufſteigender Linie. Umgekehrt die Revolution von 1848. Die proletariſche Partei erſcheint als Anhang der kleinbürgerlich-demokratiſchen. Sie wird von ihr verrathen und fallen gelaſſen am 16. April, am 15. Mai und in den Junitagen. Die demokratiſche Partei ihrerſeits lehnt ſich auf die Schultern der bourgeois¬ republikaniſchen. Die Bourgeois-Republikaner glauben kaum feſtzuſtehn, als ſie den läſtigen Kameraden abſchütteln und ſich ſelbſt auf die Schultern der Ordnungspartei ſtützen. Die Ordnungspartei zieht ihre Schultern ein, läßt die Bourgeois-Republikaner purzeln und wirft ſich auf die Schultern der bewaffneten Gewalt. Sie glaubt noch auf ihren Schultern zu ſitzen, als ſie an einem ſchönen Morgen bemerkt, daß ſich die Schultern in Bajonette ver¬ wandelt haben. Jede Partei ſchlägt von hinten aus nach der weiterdrängen¬ den, und lehnt ſich von vorn über auf die zurückdrängende. Kein Wunder, daß ſie in dieſer lächerlichen Poſitur das Gleichgewicht verliert, und, nachdem

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/34>, abgerufen am 28.03.2024.