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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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Grösse. Einer seiner Theile ist zwar bestimmt durch die zur bestän-
digen Reproduktion des Arbeiters selbst erheischte Arbeitszeit, aber seine
Gesammtgrösse wechselt mit der Länge oder Dauer der Mehrarbeit. Der
Arbeitstag ist daher bestimmbar, aber an und für sich unbestimmt35).

Obgleich nun der Arbeitstag keine feste, sondern eine fliessende Grösse
ist, kann er andrerseits nur innerhalb gewisser Schranken vari-
iren. Seine Minimalschranke ist jedoch unbestimmbar. Allerdings,
setzen wir die Verlängerungslinie b c, oder die Mehrarbeit, = O, so er-
halten wir eine Minimalschranke, den Theil des Tages nämlich, den der
Arbeiter nothwendig zu seiner Selbsterhaltung arbeiten muss. Auf Grund-
lage der kapitalistischen Produktionsweise kann die nothwendige Arbeit
aber immer nur einen Theil seines Arbeitstages bilden, der Arbeitstag
sich also nie auf diess Minimum verkürzen. Dagegen besitzt der Arbeitstag
eine Maximalschranke. Er kann über eine gewisse Grenze hinaus
nicht verlängert werden. Diese Maximalschranke ist doppelt bestimmt.
Einmal durch die physische Schranke der Arbeitskraft. Ein
Mensch kann während des natürlichen Tags von 24 Stunden nur ein be-
stimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben und das Mass dieser Kraft-
verausgabung bildet ein Mass für seine physisch mögliche Arbeitszeit. So
kann ein Pferd Tag aus, Tag ein, nur 8 Stunden arbeiten. Während
eines Theils des Tags muss die Kraft ruhen, schlafen, während eines an-
dern Theils hat der Mensch andere physische Bedürfnisse zu befriedigen,
sich zu nähren, reinigen, kleiden u. s. w. Ausser dieser rein physi-
schen Schranke
stösst die Verlängerung des Arbeitstags auf mora-
lische Schranken
. Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung gei-
stiger und sozialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allge-
meinen Kulturzustand bestimmt sind. Die Variation des Arbeitstags be-
wegt sich daher innerhalb absoluter physischer und mehr oder minder
relativer sozialer Schranken. Beide Schranken sind aber sehr elastischer
Natur und erlauben den grössten Spielraum. So finden wir Arbeitstage
von 8, 10, 12, 14, 16, 18 und mehr Stunden, also von der verschie-
densten Länge.


35) "A day's labour is vague, it may be long or short." "An Essay on
Trade and Commerce, containing Observations on Taxation
etc.
London 1770", p. 73.

Grösse. Einer seiner Theile ist zwar bestimmt durch die zur bestän-
digen Reproduktion des Arbeiters selbst erheischte Arbeitszeit, aber seine
Gesammtgrösse wechselt mit der Länge oder Dauer der Mehrarbeit. Der
Arbeitstag ist daher bestimmbar, aber an und für sich unbestimmt35).

Obgleich nun der Arbeitstag keine feste, sondern eine fliessende Grösse
ist, kann er andrerseits nur innerhalb gewisser Schranken vari-
iren. Seine Minimalschranke ist jedoch unbestimmbar. Allerdings,
setzen wir die Verlängerungslinie b c, oder die Mehrarbeit, = O, so er-
halten wir eine Minimalschranke, den Theil des Tages nämlich, den der
Arbeiter nothwendig zu seiner Selbsterhaltung arbeiten muss. Auf Grund-
lage der kapitalistischen Produktionsweise kann die nothwendige Arbeit
aber immer nur einen Theil seines Arbeitstages bilden, der Arbeitstag
sich also nie auf diess Minimum verkürzen. Dagegen besitzt der Arbeitstag
eine Maximalschranke. Er kann über eine gewisse Grenze hinaus
nicht verlängert werden. Diese Maximalschranke ist doppelt bestimmt.
Einmal durch die physische Schranke der Arbeitskraft. Ein
Mensch kann während des natürlichen Tags von 24 Stunden nur ein be-
stimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben und das Mass dieser Kraft-
verausgabung bildet ein Mass für seine physisch mögliche Arbeitszeit. So
kann ein Pferd Tag aus, Tag ein, nur 8 Stunden arbeiten. Während
eines Theils des Tags muss die Kraft ruhen, schlafen, während eines an-
dern Theils hat der Mensch andere physische Bedürfnisse zu befriedigen,
sich zu nähren, reinigen, kleiden u. s. w. Ausser dieser rein physi-
schen Schranke
stösst die Verlängerung des Arbeitstags auf mora-
lische Schranken
. Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung gei-
stiger und sozialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allge-
meinen Kulturzustand bestimmt sind. Die Variation des Arbeitstags be-
wegt sich daher innerhalb absoluter physischer und mehr oder minder
relativer sozialer Schranken. Beide Schranken sind aber sehr elastischer
Natur und erlauben den grössten Spielraum. So finden wir Arbeitstage
von 8, 10, 12, 14, 16, 18 und mehr Stunden, also von der verschie-
densten Länge.


35) „A day’s labour is vague, it may be long or short.“ „An Essay on
Trade and Commerce, containing Observations on Taxation
etc.
London 1770“, p. 73.
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[199/0218] Grösse. Einer seiner Theile ist zwar bestimmt durch die zur bestän- digen Reproduktion des Arbeiters selbst erheischte Arbeitszeit, aber seine Gesammtgrösse wechselt mit der Länge oder Dauer der Mehrarbeit. Der Arbeitstag ist daher bestimmbar, aber an und für sich unbestimmt 35). Obgleich nun der Arbeitstag keine feste, sondern eine fliessende Grösse ist, kann er andrerseits nur innerhalb gewisser Schranken vari- iren. Seine Minimalschranke ist jedoch unbestimmbar. Allerdings, setzen wir die Verlängerungslinie b c, oder die Mehrarbeit, = O, so er- halten wir eine Minimalschranke, den Theil des Tages nämlich, den der Arbeiter nothwendig zu seiner Selbsterhaltung arbeiten muss. Auf Grund- lage der kapitalistischen Produktionsweise kann die nothwendige Arbeit aber immer nur einen Theil seines Arbeitstages bilden, der Arbeitstag sich also nie auf diess Minimum verkürzen. Dagegen besitzt der Arbeitstag eine Maximalschranke. Er kann über eine gewisse Grenze hinaus nicht verlängert werden. Diese Maximalschranke ist doppelt bestimmt. Einmal durch die physische Schranke der Arbeitskraft. Ein Mensch kann während des natürlichen Tags von 24 Stunden nur ein be- stimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben und das Mass dieser Kraft- verausgabung bildet ein Mass für seine physisch mögliche Arbeitszeit. So kann ein Pferd Tag aus, Tag ein, nur 8 Stunden arbeiten. Während eines Theils des Tags muss die Kraft ruhen, schlafen, während eines an- dern Theils hat der Mensch andere physische Bedürfnisse zu befriedigen, sich zu nähren, reinigen, kleiden u. s. w. Ausser dieser rein physi- schen Schranke stösst die Verlängerung des Arbeitstags auf mora- lische Schranken. Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung gei- stiger und sozialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allge- meinen Kulturzustand bestimmt sind. Die Variation des Arbeitstags be- wegt sich daher innerhalb absoluter physischer und mehr oder minder relativer sozialer Schranken. Beide Schranken sind aber sehr elastischer Natur und erlauben den grössten Spielraum. So finden wir Arbeitstage von 8, 10, 12, 14, 16, 18 und mehr Stunden, also von der verschie- densten Länge. 35) „A day’s labour is vague, it may be long or short.“ „An Essay on Trade and Commerce, containing Observations on Taxation etc. London 1770“, p. 73.

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/218>, abgerufen am 23.04.2024.