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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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lung ihrer lehendigen Arbeitsorgane anpasst und daher zu produktiver
Ausbeutung von Weibern und Kindern drängt, scheitert diese Tendenz im
Grossen und Ganzen an den Gewohnheiten und dem Widerstand der männ-
lichen Arbeiter. Obgleich die Zersetzung der handwerksmässigen Thätig-
keit die Bildungskosten und daher den Werth der Arbeiter senkt, bleibt
für schwierigere Detailarbeit eine längere Erlernungszeit nöthig und wird
auch da, wo sie vom Ueberfluss, eifersüchtig von den Arbeitern aufrecht
erhalten. Wir finden z. B. in England die laws of apprenticeship mit
ihrer siebenjährigen Lernzeit bis zum Ende der Manufakturperiode in Voll-
kraft und erst von der grossen Industrie über Haufen geworfen. Da das
Handwerksgeschick die Grundlage der Manufaktur bleibt, und der in ihr
funktionirende Gesammtmechanismus kein von den Arbeitern selbst unab-
hängiges objektives Skelett besitzt, ringt das Kapital beständig mit
der Insubordination der Arbeiter. "Die Schwäche der menschlichen Na-
tur," ruft Freund Ure aus, "ist so gross, dass der Arbeiter; je geschickter,
desto eigenwilliger und schwieriger zu behandeln wird, und folglich dem
Gesammtmechanismus durch seine rappelköpfigen Capricen schweren
Schaden zufügt"84). Durch die ganze Manufakturperiode läuft daher die
Klage über den Disciplinmangel der Arbeiter85). Und hätten wir nicht
die Zeugnisse gleichzeitiger Schriftsteller, die einfachen Thatsachen, dass
es vom 16. Jahrhundert bis zur Epoche der grossen Industrie dem Kapital
misslingt, sich der ganzen disponiblen Arbeitszeit der Manufakturarbeiter
zu bemächtigen, dass die Manufakturen kurzlebig sind und mit der Ein-
oder Auswanderung der Arbeiter ihren Sitz in dem einen Land verlassen
und in dem andern aufschlagen, würden Bibliotheken sprechen. "Ord-
nung
muss auf die eine oder die andre Weise gestiftet werden", ruft 1770
der wiederholt citirte Verfasser des "Essay on Trade and Commerce".
Ordnung, hallt es 66 Jahre später zurück aus dem Mund des Dr. Andrew
Ure, "Ordnung" fehlte in der auf "dem scholastischen Dogma der Theilung
der Arbeit" beruhenden Manufaktur, und "Arkwright schuf die
Ordnung
."

Zugleich konnte die Manufaktur die gesellschaftliche Produktion weder
in ihrem ganzen Umfang ergreifen, noch in ihrer Tiefe umwälzen. Sie

84) Ure l. c. t. I, p. 31.
85) Das im Text Gesagte gilt viel mehr für England als für Frankreich und
mehr für Frankreich als Holland.

lung ihrer lehendigen Arbeitsorgane anpasst und daher zu produktiver
Ausbeutung von Weibern und Kindern drängt, scheitert diese Tendenz im
Grossen und Ganzen an den Gewohnheiten und dem Widerstand der männ-
lichen Arbeiter. Obgleich die Zersetzung der handwerksmässigen Thätig-
keit die Bildungskosten und daher den Werth der Arbeiter senkt, bleibt
für schwierigere Detailarbeit eine längere Erlernungszeit nöthig und wird
auch da, wo sie vom Ueberfluss, eifersüchtig von den Arbeitern aufrecht
erhalten. Wir finden z. B. in England die laws of apprenticeship mit
ihrer siebenjährigen Lernzeit bis zum Ende der Manufakturperiode in Voll-
kraft und erst von der grossen Industrie über Haufen geworfen. Da das
Handwerksgeschick die Grundlage der Manufaktur bleibt, und der in ihr
funktionirende Gesammtmechanismus kein von den Arbeitern selbst unab-
hängiges objektives Skelett besitzt, ringt das Kapital beständig mit
der Insubordination der Arbeiter. „Die Schwäche der menschlichen Na-
tur,“ ruft Freund Ure aus, „ist so gross, dass der Arbeiter; je geschickter,
desto eigenwilliger und schwieriger zu behandeln wird, und folglich dem
Gesammtmechanismus durch seine rappelköpfigen Capricen schweren
Schaden zufügt“84). Durch die ganze Manufakturperiode läuft daher die
Klage über den Disciplinmangel der Arbeiter85). Und hätten wir nicht
die Zeugnisse gleichzeitiger Schriftsteller, die einfachen Thatsachen, dass
es vom 16. Jahrhundert bis zur Epoche der grossen Industrie dem Kapital
misslingt, sich der ganzen disponiblen Arbeitszeit der Manufakturarbeiter
zu bemächtigen, dass die Manufakturen kurzlebig sind und mit der Ein-
oder Auswanderung der Arbeiter ihren Sitz in dem einen Land verlassen
und in dem andern aufschlagen, würden Bibliotheken sprechen. „Ord-
nung
muss auf die eine oder die andre Weise gestiftet werden“, ruft 1770
der wiederholt citirte Verfasser des „Essay on Trade and Commerce“.
Ordnung, hallt es 66 Jahre später zurück aus dem Mund des Dr. Andrew
Ure, „Ordnung“ fehlte in der auf „dem scholastischen Dogma der Theilung
der Arbeit“ beruhenden Manufaktur, und „Arkwright schuf die
Ordnung
.“

Zugleich konnte die Manufaktur die gesellschaftliche Produktion weder
in ihrem ganzen Umfang ergreifen, noch in ihrer Tiefe umwälzen. Sie

84) Ure l. c. t. I, p. 31.
85) Das im Text Gesagte gilt viel mehr für England als für Frankreich und
mehr für Frankreich als Holland.
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[354/0373] lung ihrer lehendigen Arbeitsorgane anpasst und daher zu produktiver Ausbeutung von Weibern und Kindern drängt, scheitert diese Tendenz im Grossen und Ganzen an den Gewohnheiten und dem Widerstand der männ- lichen Arbeiter. Obgleich die Zersetzung der handwerksmässigen Thätig- keit die Bildungskosten und daher den Werth der Arbeiter senkt, bleibt für schwierigere Detailarbeit eine längere Erlernungszeit nöthig und wird auch da, wo sie vom Ueberfluss, eifersüchtig von den Arbeitern aufrecht erhalten. Wir finden z. B. in England die laws of apprenticeship mit ihrer siebenjährigen Lernzeit bis zum Ende der Manufakturperiode in Voll- kraft und erst von der grossen Industrie über Haufen geworfen. Da das Handwerksgeschick die Grundlage der Manufaktur bleibt, und der in ihr funktionirende Gesammtmechanismus kein von den Arbeitern selbst unab- hängiges objektives Skelett besitzt, ringt das Kapital beständig mit der Insubordination der Arbeiter. „Die Schwäche der menschlichen Na- tur,“ ruft Freund Ure aus, „ist so gross, dass der Arbeiter; je geschickter, desto eigenwilliger und schwieriger zu behandeln wird, und folglich dem Gesammtmechanismus durch seine rappelköpfigen Capricen schweren Schaden zufügt“ 84). Durch die ganze Manufakturperiode läuft daher die Klage über den Disciplinmangel der Arbeiter 85). Und hätten wir nicht die Zeugnisse gleichzeitiger Schriftsteller, die einfachen Thatsachen, dass es vom 16. Jahrhundert bis zur Epoche der grossen Industrie dem Kapital misslingt, sich der ganzen disponiblen Arbeitszeit der Manufakturarbeiter zu bemächtigen, dass die Manufakturen kurzlebig sind und mit der Ein- oder Auswanderung der Arbeiter ihren Sitz in dem einen Land verlassen und in dem andern aufschlagen, würden Bibliotheken sprechen. „Ord- nung muss auf die eine oder die andre Weise gestiftet werden“, ruft 1770 der wiederholt citirte Verfasser des „Essay on Trade and Commerce“. Ordnung, hallt es 66 Jahre später zurück aus dem Mund des Dr. Andrew Ure, „Ordnung“ fehlte in der auf „dem scholastischen Dogma der Theilung der Arbeit“ beruhenden Manufaktur, und „Arkwright schuf die Ordnung.“ Zugleich konnte die Manufaktur die gesellschaftliche Produktion weder in ihrem ganzen Umfang ergreifen, noch in ihrer Tiefe umwälzen. Sie 84) Ure l. c. t. I, p. 31. 85) Das im Text Gesagte gilt viel mehr für England als für Frankreich und mehr für Frankreich als Holland.

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/373>, abgerufen am 16.04.2024.