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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Finanzgewalt.
§ 32.
Der Finanzzwang.

Unter Finanzzwang verstehen wir den obrigkeitlichen Eingriff in
Freiheit und Eigentum der Unterthanen zum Zweck der thatsäch-
lichen Herstellung des dem Interesse des Staatsvermögens entsprechen-
den Zustandes.

Dieser Zwang entwickelt sich hier in zweierlei Gestalt, je nach
der besonderen Richtung, die er nimmt.

Er kann gerichtet sein auf die Durchführung eines dem Interesse
des Staatsvermögens entsprechenden Verhaltens des Unterthanen
in seinem persönlichen Handeln, Dulden und Unterlassen. In dieser
Gestalt ist er verwandt mit dem Polizeizwang, dessen Formen er
auch zum Teil entlehnt. Der Ausdruck Finanzpolizei wird in
besonderem Sinn von dieser Art des Finanzzwanges gebraucht.

Er kann aber auch gerichtet sein auf Erzwingung einer dem
Staate geschuldeten Geldzahlung. Hier ist die civilprozessrecht-
liche Vollstreckung wegen einer Geldschuld das massgebende Vorbild.
Wir bezeichnen das als administrative Zwangsbeitreibung.

I. Der Finanzzwang zu einem bestimmten äusserlichen Verhalten
ist neben seinem polizeirechtlichen Seitenstück ganz unverhältnis-
mässig weniger reich entwickelt. Ist er ja doch, wie der Finanzbefehl
und die Finanzstrafe, an die er sich zum Teil anschliesst, nur be-
stimmt, eine nebensächliche Hülfe zu geben für das, was hier die
Hauptsache ist, die Erhaltung und Mehrung des Staatsvermögens. Er
ist entbehrlich, soweit die Interessen sich unmittelbar durchsetzen
lassen, und dazu dient die Zwangsbeitreibung.

Wir unterscheiden wie bei der Polizei: Zwangsvollstreckung
für Befehle und unmittelbaren Zwang.

1. Zwangsvollstreckung setzt einen Einzelbefehl voraus, der
vollstreckt werden soll. Von den drei Zwangsvollstreckungsmitteln
des Polizeibefehls (oben § 23) sind Ersatzvornahme und Ge-
waltanwendung
innerhalb ihres natürlichen Masses d. h. soweit
sie geeignet sind, wirkliche Zwangsvollstreckungsmittel zu sein, von
selbst mit jedem Befehle, also auch mit dem Finanzbefehle verbunden
(oben S. 337, S. 351). Die Ungehorsamsstrafe dagegen
bedarf stets einer gesetzlichen Grundlage (oben S. 329). Thatsäch-
lich geben die Gesetze zum Teil ganz umfassende Ermächtigungen
zur Androhung und Verhängung von Ungehorsamsstrafen für alle von
der Behörde ausgehenden Befehle (oben § 23 Note 7). Allein diese

Die Finanzgewalt.
§ 32.
Der Finanzzwang.

Unter Finanzzwang verstehen wir den obrigkeitlichen Eingriff in
Freiheit und Eigentum der Unterthanen zum Zweck der thatsäch-
lichen Herstellung des dem Interesse des Staatsvermögens entsprechen-
den Zustandes.

Dieser Zwang entwickelt sich hier in zweierlei Gestalt, je nach
der besonderen Richtung, die er nimmt.

Er kann gerichtet sein auf die Durchführung eines dem Interesse
des Staatsvermögens entsprechenden Verhaltens des Unterthanen
in seinem persönlichen Handeln, Dulden und Unterlassen. In dieser
Gestalt ist er verwandt mit dem Polizeizwang, dessen Formen er
auch zum Teil entlehnt. Der Ausdruck Finanzpolizei wird in
besonderem Sinn von dieser Art des Finanzzwanges gebraucht.

Er kann aber auch gerichtet sein auf Erzwingung einer dem
Staate geschuldeten Geldzahlung. Hier ist die civilprozeſsrecht-
liche Vollstreckung wegen einer Geldschuld das maſsgebende Vorbild.
Wir bezeichnen das als administrative Zwangsbeitreibung.

I. Der Finanzzwang zu einem bestimmten äuſserlichen Verhalten
ist neben seinem polizeirechtlichen Seitenstück ganz unverhältnis-
mäſsig weniger reich entwickelt. Ist er ja doch, wie der Finanzbefehl
und die Finanzstrafe, an die er sich zum Teil anschlieſst, nur be-
stimmt, eine nebensächliche Hülfe zu geben für das, was hier die
Hauptsache ist, die Erhaltung und Mehrung des Staatsvermögens. Er
ist entbehrlich, soweit die Interessen sich unmittelbar durchsetzen
lassen, und dazu dient die Zwangsbeitreibung.

Wir unterscheiden wie bei der Polizei: Zwangsvollstreckung
für Befehle und unmittelbaren Zwang.

1. Zwangsvollstreckung setzt einen Einzelbefehl voraus, der
vollstreckt werden soll. Von den drei Zwangsvollstreckungsmitteln
des Polizeibefehls (oben § 23) sind Ersatzvornahme und Ge-
waltanwendung
innerhalb ihres natürlichen Maſses d. h. soweit
sie geeignet sind, wirkliche Zwangsvollstreckungsmittel zu sein, von
selbst mit jedem Befehle, also auch mit dem Finanzbefehle verbunden
(oben S. 337, S. 351). Die Ungehorsamsstrafe dagegen
bedarf stets einer gesetzlichen Grundlage (oben S. 329). Thatsäch-
lich geben die Gesetze zum Teil ganz umfassende Ermächtigungen
zur Androhung und Verhängung von Ungehorsamsstrafen für alle von
der Behörde ausgehenden Befehle (oben § 23 Note 7). Allein diese

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[470/0490] Die Finanzgewalt. § 32. Der Finanzzwang. Unter Finanzzwang verstehen wir den obrigkeitlichen Eingriff in Freiheit und Eigentum der Unterthanen zum Zweck der thatsäch- lichen Herstellung des dem Interesse des Staatsvermögens entsprechen- den Zustandes. Dieser Zwang entwickelt sich hier in zweierlei Gestalt, je nach der besonderen Richtung, die er nimmt. Er kann gerichtet sein auf die Durchführung eines dem Interesse des Staatsvermögens entsprechenden Verhaltens des Unterthanen in seinem persönlichen Handeln, Dulden und Unterlassen. In dieser Gestalt ist er verwandt mit dem Polizeizwang, dessen Formen er auch zum Teil entlehnt. Der Ausdruck Finanzpolizei wird in besonderem Sinn von dieser Art des Finanzzwanges gebraucht. Er kann aber auch gerichtet sein auf Erzwingung einer dem Staate geschuldeten Geldzahlung. Hier ist die civilprozeſsrecht- liche Vollstreckung wegen einer Geldschuld das maſsgebende Vorbild. Wir bezeichnen das als administrative Zwangsbeitreibung. I. Der Finanzzwang zu einem bestimmten äuſserlichen Verhalten ist neben seinem polizeirechtlichen Seitenstück ganz unverhältnis- mäſsig weniger reich entwickelt. Ist er ja doch, wie der Finanzbefehl und die Finanzstrafe, an die er sich zum Teil anschlieſst, nur be- stimmt, eine nebensächliche Hülfe zu geben für das, was hier die Hauptsache ist, die Erhaltung und Mehrung des Staatsvermögens. Er ist entbehrlich, soweit die Interessen sich unmittelbar durchsetzen lassen, und dazu dient die Zwangsbeitreibung. Wir unterscheiden wie bei der Polizei: Zwangsvollstreckung für Befehle und unmittelbaren Zwang. 1. Zwangsvollstreckung setzt einen Einzelbefehl voraus, der vollstreckt werden soll. Von den drei Zwangsvollstreckungsmitteln des Polizeibefehls (oben § 23) sind Ersatzvornahme und Ge- waltanwendung innerhalb ihres natürlichen Maſses d. h. soweit sie geeignet sind, wirkliche Zwangsvollstreckungsmittel zu sein, von selbst mit jedem Befehle, also auch mit dem Finanzbefehle verbunden (oben S. 337, S. 351). Die Ungehorsamsstrafe dagegen bedarf stets einer gesetzlichen Grundlage (oben S. 329). Thatsäch- lich geben die Gesetze zum Teil ganz umfassende Ermächtigungen zur Androhung und Verhängung von Ungehorsamsstrafen für alle von der Behörde ausgehenden Befehle (oben § 23 Note 7). Allein diese

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/490>, abgerufen am 24.04.2024.