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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
zur Verwirklichung dieses Sollens und Dürfens. Indem das Gericht
danach verfährt, wird in Einem jene öffentlichrechtliche Bestimmtheit
gehandhabt und das civilrechtliche Verhältnis, an welchem sie hängt1.

Das Strafrecht verfährt anders. Es bestimmt: wer das und
das thut, ist so und so zu bestrafen. Es beginnt also mit einer
Gebundenheit der richterlichen Gewalt, wonach sie unter diesen Vor-
aussetzungen diese Strafe, nicht mehr und nicht weniger, verhängen
soll; der Strafprozess giebt die Formen, in welchen diese Gebunden-
heit wirksam wird. Aber wiederum erschöpft sich der Strafrechtssatz
nicht damit, die Thätigkeit der richterlichen Gewalt in Bewegung zu
setzen und zu bestimmen. Er wirkt sofort schon mit dem Eintritt
der Strafthat auf den Thäter und giebt diesem unmittelbar eine ent-
sprechende rechtliche Bestimmung in der Strafbarkeit: er soll die
vorgesehene Strafe leiden, nicht mehr und nicht weniger. Darum wird
ihm im Strafausspruch sein Recht und eine härtere Strafe ist Unrecht
gegen ihn2. Hier ist nun alles öffentlichrechtlich, alles Verhältnis
zwischen Unterthan und öffentlicher Gewalt.

Die rechtliche Bedeutung dieser letztern Form ist aber im
wesentlichen ganz die gleiche wie die des Civilrechtssatzes, soweit er
öffentlichrechtlich in Betracht kommt: der Rechtssatz wirkt in beiden
Fällen zweiseitig; er giebt dem Unterthanen die rechtliche Bestimmung
eines Sollens oder Dürfens gegenüber der öffentlichen Gewalt und be-
gründet zugleich eine rechtliche Gebundenheit der Behörde ihm gegen-
über, dass sie danach verfährt. Wir nennen ersteres die äussere,
letzteres die innere Wirkung; der Rechtssatz in der Justiz hat
immer beide Wirkungen zugleich.

Das Verwaltungsgesetz bedeutet nun nichts anderes als die
Übertragung dieser Form, rechtlich zu wirken, auf die Verwaltung.

Das ist nichts Selbstverständliches und nichts, was immer be-
standen hat. In der Lehre vom Polizeistaat (oben § 4, II) haben wir
gesehen, wie damals schon die Staatsgewalt bedacht war, Ordnung
und Regel in die Verwaltung zu bringen. Die massgebende Form ist
die Dienstvorschrift, die Instruktion. Die Dienstvorschrift wirkt recht-
lich nur nach innen, der Beamte ist gebunden, darnach zu ver-

1 In diesem Sinne Thon, Rechtsnorm S. 8 ff.: auch der Privatrechtsanspruch
besteht "vor allem in dem Erwachen neuer Imperative an die mit der Civilrechtspflege
betrauten staatlichen Organe" (S. 10). Diese zweite Reihe von Imperativen be-
bedeutet, wie Bülow, Prozesseinreden S. 1--3, ausführt: "ein öffentlichrecht-
liches Verhältnis zwischen Gericht und Partei".
2 Binding, Stf.R. I S. 191: "Das Strafgesetz ist .. Festsetzung eines Rechts-
verhältnisses zwischen dem Strafberechtigten und dem Verbrecher".

Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
zur Verwirklichung dieses Sollens und Dürfens. Indem das Gericht
danach verfährt, wird in Einem jene öffentlichrechtliche Bestimmtheit
gehandhabt und das civilrechtliche Verhältnis, an welchem sie hängt1.

Das Strafrecht verfährt anders. Es bestimmt: wer das und
das thut, ist so und so zu bestrafen. Es beginnt also mit einer
Gebundenheit der richterlichen Gewalt, wonach sie unter diesen Vor-
aussetzungen diese Strafe, nicht mehr und nicht weniger, verhängen
soll; der Strafprozeſs giebt die Formen, in welchen diese Gebunden-
heit wirksam wird. Aber wiederum erschöpft sich der Strafrechtssatz
nicht damit, die Thätigkeit der richterlichen Gewalt in Bewegung zu
setzen und zu bestimmen. Er wirkt sofort schon mit dem Eintritt
der Strafthat auf den Thäter und giebt diesem unmittelbar eine ent-
sprechende rechtliche Bestimmung in der Strafbarkeit: er soll die
vorgesehene Strafe leiden, nicht mehr und nicht weniger. Darum wird
ihm im Strafausspruch sein Recht und eine härtere Strafe ist Unrecht
gegen ihn2. Hier ist nun alles öffentlichrechtlich, alles Verhältnis
zwischen Unterthan und öffentlicher Gewalt.

Die rechtliche Bedeutung dieser letztern Form ist aber im
wesentlichen ganz die gleiche wie die des Civilrechtssatzes, soweit er
öffentlichrechtlich in Betracht kommt: der Rechtssatz wirkt in beiden
Fällen zweiseitig; er giebt dem Unterthanen die rechtliche Bestimmung
eines Sollens oder Dürfens gegenüber der öffentlichen Gewalt und be-
gründet zugleich eine rechtliche Gebundenheit der Behörde ihm gegen-
über, daſs sie danach verfährt. Wir nennen ersteres die äuſsere,
letzteres die innere Wirkung; der Rechtssatz in der Justiz hat
immer beide Wirkungen zugleich.

Das Verwaltungsgesetz bedeutet nun nichts anderes als die
Übertragung dieser Form, rechtlich zu wirken, auf die Verwaltung.

Das ist nichts Selbstverständliches und nichts, was immer be-
standen hat. In der Lehre vom Polizeistaat (oben § 4, II) haben wir
gesehen, wie damals schon die Staatsgewalt bedacht war, Ordnung
und Regel in die Verwaltung zu bringen. Die maſsgebende Form ist
die Dienstvorschrift, die Instruktion. Die Dienstvorschrift wirkt recht-
lich nur nach innen, der Beamte ist gebunden, darnach zu ver-

1 In diesem Sinne Thon, Rechtsnorm S. 8 ff.: auch der Privatrechtsanspruch
besteht „vor allem in dem Erwachen neuer Imperative an die mit der Civilrechtspflege
betrauten staatlichen Organe“ (S. 10). Diese zweite Reihe von Imperativen be-
bedeutet, wie Bülow, Prozeſseinreden S. 1—3, ausführt: „ein öffentlichrecht-
liches Verhältnis zwischen Gericht und Partei“.
2 Binding, Stf.R. I S. 191: „Das Strafgesetz ist .. Festsetzung eines Rechts-
verhältnisses zwischen dem Strafberechtigten und dem Verbrecher“.
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[82/0102] Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. zur Verwirklichung dieses Sollens und Dürfens. Indem das Gericht danach verfährt, wird in Einem jene öffentlichrechtliche Bestimmtheit gehandhabt und das civilrechtliche Verhältnis, an welchem sie hängt 1. Das Strafrecht verfährt anders. Es bestimmt: wer das und das thut, ist so und so zu bestrafen. Es beginnt also mit einer Gebundenheit der richterlichen Gewalt, wonach sie unter diesen Vor- aussetzungen diese Strafe, nicht mehr und nicht weniger, verhängen soll; der Strafprozeſs giebt die Formen, in welchen diese Gebunden- heit wirksam wird. Aber wiederum erschöpft sich der Strafrechtssatz nicht damit, die Thätigkeit der richterlichen Gewalt in Bewegung zu setzen und zu bestimmen. Er wirkt sofort schon mit dem Eintritt der Strafthat auf den Thäter und giebt diesem unmittelbar eine ent- sprechende rechtliche Bestimmung in der Strafbarkeit: er soll die vorgesehene Strafe leiden, nicht mehr und nicht weniger. Darum wird ihm im Strafausspruch sein Recht und eine härtere Strafe ist Unrecht gegen ihn 2. Hier ist nun alles öffentlichrechtlich, alles Verhältnis zwischen Unterthan und öffentlicher Gewalt. Die rechtliche Bedeutung dieser letztern Form ist aber im wesentlichen ganz die gleiche wie die des Civilrechtssatzes, soweit er öffentlichrechtlich in Betracht kommt: der Rechtssatz wirkt in beiden Fällen zweiseitig; er giebt dem Unterthanen die rechtliche Bestimmung eines Sollens oder Dürfens gegenüber der öffentlichen Gewalt und be- gründet zugleich eine rechtliche Gebundenheit der Behörde ihm gegen- über, daſs sie danach verfährt. Wir nennen ersteres die äuſsere, letzteres die innere Wirkung; der Rechtssatz in der Justiz hat immer beide Wirkungen zugleich. Das Verwaltungsgesetz bedeutet nun nichts anderes als die Übertragung dieser Form, rechtlich zu wirken, auf die Verwaltung. Das ist nichts Selbstverständliches und nichts, was immer be- standen hat. In der Lehre vom Polizeistaat (oben § 4, II) haben wir gesehen, wie damals schon die Staatsgewalt bedacht war, Ordnung und Regel in die Verwaltung zu bringen. Die maſsgebende Form ist die Dienstvorschrift, die Instruktion. Die Dienstvorschrift wirkt recht- lich nur nach innen, der Beamte ist gebunden, darnach zu ver- 1 In diesem Sinne Thon, Rechtsnorm S. 8 ff.: auch der Privatrechtsanspruch besteht „vor allem in dem Erwachen neuer Imperative an die mit der Civilrechtspflege betrauten staatlichen Organe“ (S. 10). Diese zweite Reihe von Imperativen be- bedeutet, wie Bülow, Prozeſseinreden S. 1—3, ausführt: „ein öffentlichrecht- liches Verhältnis zwischen Gericht und Partei“. 2 Binding, Stf.R. I S. 191: „Das Strafgesetz ist .. Festsetzung eines Rechts- verhältnisses zwischen dem Strafberechtigten und dem Verbrecher“.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/102>, abgerufen am 25.04.2024.