Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 1. Der Begriff der Verwaltung.
gehend von der Centralstelle, vom Fürsten und seinen Gehülfen, be-
einflusst sie alle Arten der eigentlich wirksamen Staatsthätigkeit, ist
aber für sich selbst rein geistiger, allgemeiner Natur. Sie kann gut
oder schlecht sein; rechtliche Bedeutung hat sie nur wegen der ver-
fassungsmässigen Verantwortlichkeiten, die sich daran knüpfen können.
Uns geht sie weiter nichts an3.

II. Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung sind allesamt Staatsthätig-
keiten zur Verwirklichung des Staatszweckes. Ihr Unterschied beruht
nur auf der Art, wie sie diesen Zweck zu verwirklichen bestimmt sind.

Diesen Unterschied darf man nicht suchen in den einfachen Wort-
bedeutungen. Es ist ja leicht, damit einen Begriff des Gesetzes, einen
Begriff der Justiz, Rechtspflege oder Rechtsprechung aufzustellen, aus
dem sich dann folgern lässt. Ebenso giebt das Wort Verwaltung, dem
man etwa noch durch den Begriff der Vollziehung aushilft, Aus-
scheidungsmöglichkeiten.

Die grosse Dreiteilung, wie sie nun einmal üblich ist, ist aber
nicht entstanden aus einer schulmässigen Entwicklung der Begriffe.
Sondern diese haben sich festgesetzt als Ergebnisse geschichtlicher
Vorgänge, deren Einflüsse im einzelnen nachzuweisen sind.

Wie sie geworden sind, so haben wir sie zu nehmen4.

1. Gesetzgebung bedeutete im älteren Recht die Thätigkeit
des Trägers der obersten Gewalt zur Aufstellung von verbindlichen
allgemeinen Regeln für die Unterthanen, von Rechtssätzen5.

3 Zachariae, Vierzig Bücher v. St. I S. 124; v. Roenne, St.R. d. Pr. Mon.
III S. 1; v. Stengel, V.R. S. 2; Schulze, D.St.R. I § 184 sucht das Wort Re-
gierungsrecht zu verwenden, um im Gegensatz zum Verfassungsrecht einen zusammen-
fassenden Namen für Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung zu haben; das entspricht
der älteren Auffassung; aber jetzt klingt es uns doch etwas seltsam, dass Amts-
richter und Briefträger Regierungsthätigkeit üben sollen. Ganz selbständig be-
handelt das Wort Haenel, St.R. I § 18, wo es den Oberbegriff liefern soll für die
Begriffe Vollziehung, Ausführung u. s. w. Eine solche Neuverwendung steht natür-
lich bei einem so wenig festgelegten Ausdruck immer frei; es fragt sich nur, was
dabei Nützliches herauskommt. -- Die Franzosen begreifen unter gouvernement
auch die Thätigkeiten, die wir unten, II Note 3, von der Verw. absondern und ohne
gemeinsamen Namen lassen: Theorie d. Fr.V.R. S. 8.
4 Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne S. 183 sagt von unserer Dreiteilung,
sie widerspreche "jeder logischen Anforderung an eine wissenschaftliche Einteilung".
Das mag ja sein. Es handelt sich eben zunächst nur um eine gegebene Grup-
pierung der Staatsthätigkeiten, an welche die Rechtsordnung angeknüpft hat. Was
die Logik an die Stelle setzen will, bildet nie etwas Greifbares und stimmt nicht
mit der Wirklichkeit der gemeinen Auffassung.
5 Moser, Landeshoh. in Reg.S. Kap. IV § 2; Häberlin, St.R. II § 221;
A.L.R. II, 13 § 6.

§ 1. Der Begriff der Verwaltung.
gehend von der Centralstelle, vom Fürsten und seinen Gehülfen, be-
einfluſst sie alle Arten der eigentlich wirksamen Staatsthätigkeit, ist
aber für sich selbst rein geistiger, allgemeiner Natur. Sie kann gut
oder schlecht sein; rechtliche Bedeutung hat sie nur wegen der ver-
fassungsmäſsigen Verantwortlichkeiten, die sich daran knüpfen können.
Uns geht sie weiter nichts an3.

II. Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung sind allesamt Staatsthätig-
keiten zur Verwirklichung des Staatszweckes. Ihr Unterschied beruht
nur auf der Art, wie sie diesen Zweck zu verwirklichen bestimmt sind.

Diesen Unterschied darf man nicht suchen in den einfachen Wort-
bedeutungen. Es ist ja leicht, damit einen Begriff des Gesetzes, einen
Begriff der Justiz, Rechtspflege oder Rechtsprechung aufzustellen, aus
dem sich dann folgern läſst. Ebenso giebt das Wort Verwaltung, dem
man etwa noch durch den Begriff der Vollziehung aushilft, Aus-
scheidungsmöglichkeiten.

Die groſse Dreiteilung, wie sie nun einmal üblich ist, ist aber
nicht entstanden aus einer schulmäſsigen Entwicklung der Begriffe.
Sondern diese haben sich festgesetzt als Ergebnisse geschichtlicher
Vorgänge, deren Einflüsse im einzelnen nachzuweisen sind.

Wie sie geworden sind, so haben wir sie zu nehmen4.

1. Gesetzgebung bedeutete im älteren Recht die Thätigkeit
des Trägers der obersten Gewalt zur Aufstellung von verbindlichen
allgemeinen Regeln für die Unterthanen, von Rechtssätzen5.

3 Zachariae, Vierzig Bücher v. St. I S. 124; v. Roenne, St.R. d. Pr. Mon.
III S. 1; v. Stengel, V.R. S. 2; Schulze, D.St.R. I § 184 sucht das Wort Re-
gierungsrecht zu verwenden, um im Gegensatz zum Verfassungsrecht einen zusammen-
fassenden Namen für Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung zu haben; das entspricht
der älteren Auffassung; aber jetzt klingt es uns doch etwas seltsam, daſs Amts-
richter und Briefträger Regierungsthätigkeit üben sollen. Ganz selbständig be-
handelt das Wort Haenel, St.R. I § 18, wo es den Oberbegriff liefern soll für die
Begriffe Vollziehung, Ausführung u. s. w. Eine solche Neuverwendung steht natür-
lich bei einem so wenig festgelegten Ausdruck immer frei; es fragt sich nur, was
dabei Nützliches herauskommt. — Die Franzosen begreifen unter gouvernement
auch die Thätigkeiten, die wir unten, II Note 3, von der Verw. absondern und ohne
gemeinsamen Namen lassen: Theorie d. Fr.V.R. S. 8.
4 Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne S. 183 sagt von unserer Dreiteilung,
sie widerspreche „jeder logischen Anforderung an eine wissenschaftliche Einteilung“.
Das mag ja sein. Es handelt sich eben zunächst nur um eine gegebene Grup-
pierung der Staatsthätigkeiten, an welche die Rechtsordnung angeknüpft hat. Was
die Logik an die Stelle setzen will, bildet nie etwas Greifbares und stimmt nicht
mit der Wirklichkeit der gemeinen Auffassung.
5 Moser, Landeshoh. in Reg.S. Kap. IV § 2; Häberlin, St.R. II § 221;
A.L.R. II, 13 § 6.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0025" n="5"/><fw place="top" type="header">§ 1. Der Begriff der Verwaltung.</fw><lb/>
gehend von der Centralstelle, vom Fürsten und seinen Gehülfen, be-<lb/>
einflu&#x017F;st sie alle Arten der eigentlich wirksamen Staatsthätigkeit, ist<lb/>
aber für sich selbst rein geistiger, allgemeiner Natur. Sie kann gut<lb/>
oder schlecht sein; rechtliche Bedeutung hat sie nur wegen der ver-<lb/>
fassungsmä&#x017F;sigen Verantwortlichkeiten, die sich daran knüpfen können.<lb/>
Uns geht sie weiter nichts an<note place="foot" n="3"><hi rendition="#g">Zachariae,</hi> Vierzig Bücher v. St. I S. 124; v. <hi rendition="#g">Roenne,</hi> St.R. d. Pr. Mon.<lb/>
III S. 1; v. <hi rendition="#g">Stengel,</hi> V.R. S. 2; <hi rendition="#g">Schulze,</hi> D.St.R. I § 184 sucht das Wort Re-<lb/>
gierungsrecht zu verwenden, um im Gegensatz zum Verfassungsrecht einen zusammen-<lb/>
fassenden Namen für Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung zu haben; das entspricht<lb/>
der älteren Auffassung; aber jetzt klingt es uns doch etwas seltsam, da&#x017F;s Amts-<lb/>
richter und Briefträger Regierungsthätigkeit üben sollen. Ganz selbständig be-<lb/>
handelt das Wort <hi rendition="#g">Haenel,</hi> St.R. I § 18, wo es den Oberbegriff liefern soll für die<lb/>
Begriffe Vollziehung, Ausführung u. s. w. Eine solche Neuverwendung steht natür-<lb/>
lich bei einem so wenig festgelegten Ausdruck immer frei; es fragt sich nur, was<lb/>
dabei Nützliches herauskommt. &#x2014; Die Franzosen begreifen unter gouvernement<lb/>
auch die Thätigkeiten, die wir unten, II Note 3, von der Verw. absondern und ohne<lb/>
gemeinsamen Namen lassen: Theorie d. Fr.V.R. S. 8.</note>.</p><lb/>
          <p>II. Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung sind allesamt Staatsthätig-<lb/>
keiten zur Verwirklichung des Staatszweckes. Ihr Unterschied beruht<lb/>
nur auf der Art, wie sie diesen Zweck zu verwirklichen bestimmt sind.</p><lb/>
          <p>Diesen Unterschied darf man nicht suchen in den einfachen Wort-<lb/>
bedeutungen. Es ist ja leicht, damit einen Begriff des Gesetzes, einen<lb/>
Begriff der Justiz, Rechtspflege oder Rechtsprechung aufzustellen, aus<lb/>
dem sich dann folgern lä&#x017F;st. Ebenso giebt das Wort Verwaltung, dem<lb/>
man etwa noch durch den Begriff der Vollziehung aushilft, Aus-<lb/>
scheidungsmöglichkeiten.</p><lb/>
          <p>Die gro&#x017F;se Dreiteilung, wie sie nun einmal üblich ist, ist aber<lb/>
nicht entstanden aus einer schulmä&#x017F;sigen Entwicklung der Begriffe.<lb/>
Sondern diese haben sich festgesetzt als Ergebnisse geschichtlicher<lb/>
Vorgänge, deren Einflüsse im einzelnen nachzuweisen sind.</p><lb/>
          <p>Wie sie geworden sind, so haben wir sie zu nehmen<note place="foot" n="4"><hi rendition="#g">Haenel,</hi> Ges. im form. und mat. Sinne S. 183 sagt von unserer Dreiteilung,<lb/>
sie widerspreche &#x201E;jeder logischen Anforderung an eine wissenschaftliche Einteilung&#x201C;.<lb/>
Das mag ja sein. Es handelt sich eben zunächst nur um eine gegebene Grup-<lb/>
pierung der Staatsthätigkeiten, an welche die Rechtsordnung angeknüpft hat. Was<lb/>
die Logik an die Stelle setzen will, bildet nie etwas Greifbares und stimmt nicht<lb/>
mit der Wirklichkeit der gemeinen Auffassung.</note>.</p><lb/>
          <p>1. <hi rendition="#g">Gesetzgebung</hi> bedeutete im älteren Recht die Thätigkeit<lb/>
des Trägers der obersten Gewalt zur Aufstellung von verbindlichen<lb/>
allgemeinen Regeln für die Unterthanen, von Rechtssätzen<note place="foot" n="5"><hi rendition="#g">Moser,</hi> Landeshoh. in Reg.S. Kap. IV § 2; <hi rendition="#g">Häberlin,</hi> St.R. II § 221;<lb/>
A.L.R. II, 13 § 6.</note>.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0025] § 1. Der Begriff der Verwaltung. gehend von der Centralstelle, vom Fürsten und seinen Gehülfen, be- einfluſst sie alle Arten der eigentlich wirksamen Staatsthätigkeit, ist aber für sich selbst rein geistiger, allgemeiner Natur. Sie kann gut oder schlecht sein; rechtliche Bedeutung hat sie nur wegen der ver- fassungsmäſsigen Verantwortlichkeiten, die sich daran knüpfen können. Uns geht sie weiter nichts an 3. II. Gesetzgebung, Justiz, Verwaltung sind allesamt Staatsthätig- keiten zur Verwirklichung des Staatszweckes. Ihr Unterschied beruht nur auf der Art, wie sie diesen Zweck zu verwirklichen bestimmt sind. Diesen Unterschied darf man nicht suchen in den einfachen Wort- bedeutungen. Es ist ja leicht, damit einen Begriff des Gesetzes, einen Begriff der Justiz, Rechtspflege oder Rechtsprechung aufzustellen, aus dem sich dann folgern läſst. Ebenso giebt das Wort Verwaltung, dem man etwa noch durch den Begriff der Vollziehung aushilft, Aus- scheidungsmöglichkeiten. Die groſse Dreiteilung, wie sie nun einmal üblich ist, ist aber nicht entstanden aus einer schulmäſsigen Entwicklung der Begriffe. Sondern diese haben sich festgesetzt als Ergebnisse geschichtlicher Vorgänge, deren Einflüsse im einzelnen nachzuweisen sind. Wie sie geworden sind, so haben wir sie zu nehmen 4. 1. Gesetzgebung bedeutete im älteren Recht die Thätigkeit des Trägers der obersten Gewalt zur Aufstellung von verbindlichen allgemeinen Regeln für die Unterthanen, von Rechtssätzen 5. 3 Zachariae, Vierzig Bücher v. St. I S. 124; v. Roenne, St.R. d. Pr. Mon. III S. 1; v. Stengel, V.R. S. 2; Schulze, D.St.R. I § 184 sucht das Wort Re- gierungsrecht zu verwenden, um im Gegensatz zum Verfassungsrecht einen zusammen- fassenden Namen für Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung zu haben; das entspricht der älteren Auffassung; aber jetzt klingt es uns doch etwas seltsam, daſs Amts- richter und Briefträger Regierungsthätigkeit üben sollen. Ganz selbständig be- handelt das Wort Haenel, St.R. I § 18, wo es den Oberbegriff liefern soll für die Begriffe Vollziehung, Ausführung u. s. w. Eine solche Neuverwendung steht natür- lich bei einem so wenig festgelegten Ausdruck immer frei; es fragt sich nur, was dabei Nützliches herauskommt. — Die Franzosen begreifen unter gouvernement auch die Thätigkeiten, die wir unten, II Note 3, von der Verw. absondern und ohne gemeinsamen Namen lassen: Theorie d. Fr.V.R. S. 8. 4 Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne S. 183 sagt von unserer Dreiteilung, sie widerspreche „jeder logischen Anforderung an eine wissenschaftliche Einteilung“. Das mag ja sein. Es handelt sich eben zunächst nur um eine gegebene Grup- pierung der Staatsthätigkeiten, an welche die Rechtsordnung angeknüpft hat. Was die Logik an die Stelle setzen will, bildet nie etwas Greifbares und stimmt nicht mit der Wirklichkeit der gemeinen Auffassung. 5 Moser, Landeshoh. in Reg.S. Kap. IV § 2; Häberlin, St.R. II § 221; A.L.R. II, 13 § 6.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/25
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/25>, abgerufen am 24.04.2024.