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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 57. Entstehung des Selbstverwaltungskörpers.
§ 57.
Entstehung des Selbstverwaltungskörpers.

Es giebt zahlreiche juristische Personen, die uns überliefert
sind aus früheren Rechtszuständen. Sie verdanken ihre Entstehung
den der entsprechenden Entwickelungsstufe eigenen Gründen, der
selbständigen Kraft der Einung, dem Gewohnheitsrecht, dem verliehenen
Privilegium. Ob diese jetzt noch wirken könnten, ist gleichgültig; sie
bestehen fort, so lange sie nicht in rechtswirksamer Weise aufgehoben
werden. Sie gehören teils dem Civilrecht, teils dem öffentlichen Rechte
an; um diese Ausscheidung zu machen, verfahren wir mit ihnen nach
dem dafür geltenden Maßstabe des heutigen Rechtes (oben § 55,
II u. III).

Was wir hier zu betrachten haben, das ist die Frage, wie es
sich verhält, wenn ein solcher Körper jetzt neu entstehen soll?
Welches sind dafür die Regeln des heute geltenden Rechtes?

Die Rechtswissenschaft befindet sich zur Zeit noch in vollem
Streit. Wo keine ausdrückliche Gesetzesbestimmung vorliegt, wollen
die einen die juristische Person nur gründen auf besondere staatliche
Verleihung, die anderen lassen sie bei sonst gegebenen Vorraussetzungen
von selbst entstehen kraft allgemeinen Rechtssatzes, den nötigenfalls
die gemeine Gewohnheit, vielleicht auch das Naturrecht liefert1. Für
uns wird die Frage vereinfacht durch die Ausscheidung, mit der wir
beginnen. Wir haben es nicht mit den juristischen Personen des Civil-
rechtes zu thun; auch nicht mit der obersten juristischen Person des
öffentlichen Rechtes, dem Staate; sondern allein mit den ihm unter-
geordneten, die wir als Selbstverwaltungskörper bezeichnen2. Für diese

1 Darüber Stobbe, D.Pr.R. I S. 462 ff.; Gierke, D.Pr.R. I S. 463 ff.;
Regelsberger, Pand. I S. 308 ff. -- Man darf natürlich nicht überall eine
juristische Person finden wollen, wo nur in der Ausdrucksweise, um der an-
schaulicheren Vorstellung willen, Einrichtungen aller Art, namentlich Ämter, be-
handelt werden wie Personen, die Rechte haben, vertreten werden, Geschäfte vor-
nehmen. Ein merkwürdiges Beispiel solcher Verwechslung bietet Bernatzik in
Arch. f. öff. R. V. Ich hatte in Theorie d. franz. V.R. S. 27 ausgeführt, in der
Behördenordnung trete das Amt als das Bleibende "für die praktische Anschauung
in den Vordergrund; es wird behandelt wie ein Wesen für sich, fast persönlich".
Das citiert Bernatzik a. a. O. S. 174 mit Mißfallen und behauptet dann S. 213
und S. 214 frischweg, ich hätte gesagt, "daß Ämter fast Persönlichkeit besitzen".
2 Pfeifer, Jur. Pers., der das Verdienst hat, diese Unterscheidung be-
sonders sorgfältig durchzuführen, gelangt alsbald zu der Erkenntnis, daß auch bei
ihrer Entstehung "die öffentlichen Korporationen und die Privatkorporationen
anderen Regeln folgen" (S. 51).
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§ 57. Entstehung des Selbstverwaltungskörpers.
§ 57.
Entstehung des Selbstverwaltungskörpers.

Es giebt zahlreiche juristische Personen, die uns überliefert
sind aus früheren Rechtszuständen. Sie verdanken ihre Entstehung
den der entsprechenden Entwickelungsstufe eigenen Gründen, der
selbständigen Kraft der Einung, dem Gewohnheitsrecht, dem verliehenen
Privilegium. Ob diese jetzt noch wirken könnten, ist gleichgültig; sie
bestehen fort, so lange sie nicht in rechtswirksamer Weise aufgehoben
werden. Sie gehören teils dem Civilrecht, teils dem öffentlichen Rechte
an; um diese Ausscheidung zu machen, verfahren wir mit ihnen nach
dem dafür geltenden Maßstabe des heutigen Rechtes (oben § 55,
II u. III).

Was wir hier zu betrachten haben, das ist die Frage, wie es
sich verhält, wenn ein solcher Körper jetzt neu entstehen soll?
Welches sind dafür die Regeln des heute geltenden Rechtes?

Die Rechtswissenschaft befindet sich zur Zeit noch in vollem
Streit. Wo keine ausdrückliche Gesetzesbestimmung vorliegt, wollen
die einen die juristische Person nur gründen auf besondere staatliche
Verleihung, die anderen lassen sie bei sonst gegebenen Vorraussetzungen
von selbst entstehen kraft allgemeinen Rechtssatzes, den nötigenfalls
die gemeine Gewohnheit, vielleicht auch das Naturrecht liefert1. Für
uns wird die Frage vereinfacht durch die Ausscheidung, mit der wir
beginnen. Wir haben es nicht mit den juristischen Personen des Civil-
rechtes zu thun; auch nicht mit der obersten juristischen Person des
öffentlichen Rechtes, dem Staate; sondern allein mit den ihm unter-
geordneten, die wir als Selbstverwaltungskörper bezeichnen2. Für diese

1 Darüber Stobbe, D.Pr.R. I S. 462 ff.; Gierke, D.Pr.R. I S. 463 ff.;
Regelsberger, Pand. I S. 308 ff. — Man darf natürlich nicht überall eine
juristische Person finden wollen, wo nur in der Ausdrucksweise, um der an-
schaulicheren Vorstellung willen, Einrichtungen aller Art, namentlich Ämter, be-
handelt werden wie Personen, die Rechte haben, vertreten werden, Geschäfte vor-
nehmen. Ein merkwürdiges Beispiel solcher Verwechslung bietet Bernatzik in
Arch. f. öff. R. V. Ich hatte in Theorie d. franz. V.R. S. 27 ausgeführt, in der
Behördenordnung trete das Amt als das Bleibende „für die praktische Anschauung
in den Vordergrund; es wird behandelt wie ein Wesen für sich, fast persönlich“.
Das citiert Bernatzik a. a. O. S. 174 mit Mißfallen und behauptet dann S. 213
und S. 214 frischweg, ich hätte gesagt, „daß Ämter fast Persönlichkeit besitzen“.
2 Pfeifer, Jur. Pers., der das Verdienst hat, diese Unterscheidung be-
sonders sorgfältig durchzuführen, gelangt alsbald zu der Erkenntnis, daß auch bei
ihrer Entstehung „die öffentlichen Korporationen und die Privatkorporationen
anderen Regeln folgen“ (S. 51).
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[387/0399] § 57. Entstehung des Selbstverwaltungskörpers. § 57. Entstehung des Selbstverwaltungskörpers. Es giebt zahlreiche juristische Personen, die uns überliefert sind aus früheren Rechtszuständen. Sie verdanken ihre Entstehung den der entsprechenden Entwickelungsstufe eigenen Gründen, der selbständigen Kraft der Einung, dem Gewohnheitsrecht, dem verliehenen Privilegium. Ob diese jetzt noch wirken könnten, ist gleichgültig; sie bestehen fort, so lange sie nicht in rechtswirksamer Weise aufgehoben werden. Sie gehören teils dem Civilrecht, teils dem öffentlichen Rechte an; um diese Ausscheidung zu machen, verfahren wir mit ihnen nach dem dafür geltenden Maßstabe des heutigen Rechtes (oben § 55, II u. III). Was wir hier zu betrachten haben, das ist die Frage, wie es sich verhält, wenn ein solcher Körper jetzt neu entstehen soll? Welches sind dafür die Regeln des heute geltenden Rechtes? Die Rechtswissenschaft befindet sich zur Zeit noch in vollem Streit. Wo keine ausdrückliche Gesetzesbestimmung vorliegt, wollen die einen die juristische Person nur gründen auf besondere staatliche Verleihung, die anderen lassen sie bei sonst gegebenen Vorraussetzungen von selbst entstehen kraft allgemeinen Rechtssatzes, den nötigenfalls die gemeine Gewohnheit, vielleicht auch das Naturrecht liefert 1. Für uns wird die Frage vereinfacht durch die Ausscheidung, mit der wir beginnen. Wir haben es nicht mit den juristischen Personen des Civil- rechtes zu thun; auch nicht mit der obersten juristischen Person des öffentlichen Rechtes, dem Staate; sondern allein mit den ihm unter- geordneten, die wir als Selbstverwaltungskörper bezeichnen 2. Für diese 1 Darüber Stobbe, D.Pr.R. I S. 462 ff.; Gierke, D.Pr.R. I S. 463 ff.; Regelsberger, Pand. I S. 308 ff. — Man darf natürlich nicht überall eine juristische Person finden wollen, wo nur in der Ausdrucksweise, um der an- schaulicheren Vorstellung willen, Einrichtungen aller Art, namentlich Ämter, be- handelt werden wie Personen, die Rechte haben, vertreten werden, Geschäfte vor- nehmen. Ein merkwürdiges Beispiel solcher Verwechslung bietet Bernatzik in Arch. f. öff. R. V. Ich hatte in Theorie d. franz. V.R. S. 27 ausgeführt, in der Behördenordnung trete das Amt als das Bleibende „für die praktische Anschauung in den Vordergrund; es wird behandelt wie ein Wesen für sich, fast persönlich“. Das citiert Bernatzik a. a. O. S. 174 mit Mißfallen und behauptet dann S. 213 und S. 214 frischweg, ich hätte gesagt, „daß Ämter fast Persönlichkeit besitzen“. 2 Pfeifer, Jur. Pers., der das Verdienst hat, diese Unterscheidung be- sonders sorgfältig durchzuführen, gelangt alsbald zu der Erkenntnis, daß auch bei ihrer Entstehung „die öffentlichen Korporationen und die Privatkorporationen anderen Regeln folgen“ (S. 51). 25*

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/399>, abgerufen am 19.04.2024.