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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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Das öffentliche Sachenrecht.

Gewisse Grenzen bestehen allerdings auch bei der allgemeinsten
Form der gesetzlichen Enteignungsermächtigung. Sie sind still-
schweigend gemeint, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich anders be-
stimmt. Denn die Grundidee der Enteignung steht dahinter, wonach
darin ein öffentliches Unternehmen das Privateigentum für seine Be-
dürfnisse in Anspruch nimmt. Wenn das Gesetz sagt: enteignen, so
meint es demgemäß nicht: wegnehmen, weil es dem Staat nützlich,
oder weil es im Sinne eines allgemeinen, kaum begrenzbaren öffent-
lichen Interesses ist; sondern es meint von selbst nur, daß das
Grundstück soll genommen werden dürfen, um dem in einem be-
stimmten Unternehmen verkörperten öffentlichen Interesse, einem
Stücke öffentlicher Verwaltung zu dienen15. Im Zweifel
sind also ausgeschlossen alle Enteignungsarten, die nicht geschehen
würden, um das Enteignete in diesem Sinne zu verwenden.

Nach verschiedenen Richtungen wird dieser Auslegungsgrundsatz
von Wichtigkeit.

Es wird danach vor allem die Enteignung versagt zur Verfolgung
fiskalischer Interessen, die ja wohl noch ein staatliches Unternehmen
vorstellen könnte. Für die eigentlichen fiskalischen Verwal-
tungen
ist das ganz selbstverständlich (Bd. I S. 141); Erweiterung
und Abrundung der Staatsdomänen z. B. kann nicht in dieser Weise

der Ausspruch der Enteignungsbehörde also die Natur einer Entscheidung haben;
"denn es handelt sich um eine Voraussetzung für das Dasein eines Rechts-
anspruches". Wir folgern umgekehrt: weil hier freies Ermessen besteht, ist der
sog. Enteignungsanspruch kein Rechtsanspruch. Daß hier doch Verwaltungsrechts-
pflege stattfinden kann, worauf es Seydel ankommt, ist dadurch ja nicht aus-
geschlossen; vgl. Bd. I S. 167 ff.
15 Neumann in Annalen 1886 S. 357 ff. hat vergeblich versucht, unmittelbar
aus dem Begriff des öffentlichen Interesses einen festen Maßstab zu gewinnen; es
läuft schließlich alles auf ein Mehr oder Weniger hinaus (S. 407): "daß man
versucht sein könnte, statt zwischen Dingen von öffentlichem Interesse und ohne
solches vielmehr zwischen Dingen von mehr oder weniger öffentlichem Interesse zu
scheiden." -- In obigem Sinne v. Rohland, Ent.R. S. 22 ff.; Schelcher,
Rechtswirkungen der Ent. S. 2. Letzterer meint "Im engeren wissenschaftlichen
Sinne des Wortes ist Enteignung nur diejenige auf Grund öffentlichen Rechtes er-
folgende Entziehung eines Gegenstandes, welche zum Zwecke der Durchführung
eines öffentlichen Unternehmens geschieht." Wenn das Gesetz Enteignung gestattet
für ein Unternehmen, welches das Grundstück nicht unmittelbar zu seiner Durch-
führung, sondern in anderer Weise verwenden will, so ist das unseres Erachtens
immer noch Enteignung, auch im wissenschaftlichen Sinn. Die wissenschaftliche
Betrachtung des Instituts erkennt nur darin eine Abweichung vom Ordentlichen,
Regelmäßigen.
Das öffentliche Sachenrecht.

Gewisse Grenzen bestehen allerdings auch bei der allgemeinsten
Form der gesetzlichen Enteignungsermächtigung. Sie sind still-
schweigend gemeint, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich anders be-
stimmt. Denn die Grundidee der Enteignung steht dahinter, wonach
darin ein öffentliches Unternehmen das Privateigentum für seine Be-
dürfnisse in Anspruch nimmt. Wenn das Gesetz sagt: enteignen, so
meint es demgemäß nicht: wegnehmen, weil es dem Staat nützlich,
oder weil es im Sinne eines allgemeinen, kaum begrenzbaren öffent-
lichen Interesses ist; sondern es meint von selbst nur, daß das
Grundstück soll genommen werden dürfen, um dem in einem be-
stimmten Unternehmen verkörperten öffentlichen Interesse, einem
Stücke öffentlicher Verwaltung zu dienen15. Im Zweifel
sind also ausgeschlossen alle Enteignungsarten, die nicht geschehen
würden, um das Enteignete in diesem Sinne zu verwenden.

Nach verschiedenen Richtungen wird dieser Auslegungsgrundsatz
von Wichtigkeit.

Es wird danach vor allem die Enteignung versagt zur Verfolgung
fiskalischer Interessen, die ja wohl noch ein staatliches Unternehmen
vorstellen könnte. Für die eigentlichen fiskalischen Verwal-
tungen
ist das ganz selbstverständlich (Bd. I S. 141); Erweiterung
und Abrundung der Staatsdomänen z. B. kann nicht in dieser Weise

der Ausspruch der Enteignungsbehörde also die Natur einer Entscheidung haben;
„denn es handelt sich um eine Voraussetzung für das Dasein eines Rechts-
anspruches“. Wir folgern umgekehrt: weil hier freies Ermessen besteht, ist der
sog. Enteignungsanspruch kein Rechtsanspruch. Daß hier doch Verwaltungsrechts-
pflege stattfinden kann, worauf es Seydel ankommt, ist dadurch ja nicht aus-
geschlossen; vgl. Bd. I S. 167 ff.
15 Neumann in Annalen 1886 S. 357 ff. hat vergeblich versucht, unmittelbar
aus dem Begriff des öffentlichen Interesses einen festen Maßstab zu gewinnen; es
läuft schließlich alles auf ein Mehr oder Weniger hinaus (S. 407): „daß man
versucht sein könnte, statt zwischen Dingen von öffentlichem Interesse und ohne
solches vielmehr zwischen Dingen von mehr oder weniger öffentlichem Interesse zu
scheiden.“ — In obigem Sinne v. Rohland, Ent.R. S. 22 ff.; Schelcher,
Rechtswirkungen der Ent. S. 2. Letzterer meint „Im engeren wissenschaftlichen
Sinne des Wortes ist Enteignung nur diejenige auf Grund öffentlichen Rechtes er-
folgende Entziehung eines Gegenstandes, welche zum Zwecke der Durchführung
eines öffentlichen Unternehmens geschieht.“ Wenn das Gesetz Enteignung gestattet
für ein Unternehmen, welches das Grundstück nicht unmittelbar zu seiner Durch-
führung, sondern in anderer Weise verwenden will, so ist das unseres Erachtens
immer noch Enteignung, auch im wissenschaftlichen Sinn. Die wissenschaftliche
Betrachtung des Instituts erkennt nur darin eine Abweichung vom Ordentlichen,
Regelmäßigen.
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[12/0024] Das öffentliche Sachenrecht. Gewisse Grenzen bestehen allerdings auch bei der allgemeinsten Form der gesetzlichen Enteignungsermächtigung. Sie sind still- schweigend gemeint, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich anders be- stimmt. Denn die Grundidee der Enteignung steht dahinter, wonach darin ein öffentliches Unternehmen das Privateigentum für seine Be- dürfnisse in Anspruch nimmt. Wenn das Gesetz sagt: enteignen, so meint es demgemäß nicht: wegnehmen, weil es dem Staat nützlich, oder weil es im Sinne eines allgemeinen, kaum begrenzbaren öffent- lichen Interesses ist; sondern es meint von selbst nur, daß das Grundstück soll genommen werden dürfen, um dem in einem be- stimmten Unternehmen verkörperten öffentlichen Interesse, einem Stücke öffentlicher Verwaltung zu dienen 15. Im Zweifel sind also ausgeschlossen alle Enteignungsarten, die nicht geschehen würden, um das Enteignete in diesem Sinne zu verwenden. Nach verschiedenen Richtungen wird dieser Auslegungsgrundsatz von Wichtigkeit. Es wird danach vor allem die Enteignung versagt zur Verfolgung fiskalischer Interessen, die ja wohl noch ein staatliches Unternehmen vorstellen könnte. Für die eigentlichen fiskalischen Verwal- tungen ist das ganz selbstverständlich (Bd. I S. 141); Erweiterung und Abrundung der Staatsdomänen z. B. kann nicht in dieser Weise 14 15 Neumann in Annalen 1886 S. 357 ff. hat vergeblich versucht, unmittelbar aus dem Begriff des öffentlichen Interesses einen festen Maßstab zu gewinnen; es läuft schließlich alles auf ein Mehr oder Weniger hinaus (S. 407): „daß man versucht sein könnte, statt zwischen Dingen von öffentlichem Interesse und ohne solches vielmehr zwischen Dingen von mehr oder weniger öffentlichem Interesse zu scheiden.“ — In obigem Sinne v. Rohland, Ent.R. S. 22 ff.; Schelcher, Rechtswirkungen der Ent. S. 2. Letzterer meint „Im engeren wissenschaftlichen Sinne des Wortes ist Enteignung nur diejenige auf Grund öffentlichen Rechtes er- folgende Entziehung eines Gegenstandes, welche zum Zwecke der Durchführung eines öffentlichen Unternehmens geschieht.“ Wenn das Gesetz Enteignung gestattet für ein Unternehmen, welches das Grundstück nicht unmittelbar zu seiner Durch- führung, sondern in anderer Weise verwenden will, so ist das unseres Erachtens immer noch Enteignung, auch im wissenschaftlichen Sinn. Die wissenschaftliche Betrachtung des Instituts erkennt nur darin eine Abweichung vom Ordentlichen, Regelmäßigen. 14 der Ausspruch der Enteignungsbehörde also die Natur einer Entscheidung haben; „denn es handelt sich um eine Voraussetzung für das Dasein eines Rechts- anspruches“. Wir folgern umgekehrt: weil hier freies Ermessen besteht, ist der sog. Enteignungsanspruch kein Rechtsanspruch. Daß hier doch Verwaltungsrechts- pflege stattfinden kann, worauf es Seydel ankommt, ist dadurch ja nicht aus- geschlossen; vgl. Bd. I S. 167 ff.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/24>, abgerufen am 20.04.2024.