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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 45. Die Dienstgewalt.
stimmung des Verhaltens des Untergebenen; sie hat die Natur des
Befehls (Bd. I S. 271); Dienstbefehl heißt sie nach der Art
des Gewaltverhältnisses, auf das sie sich gründet. Sie kann als
Einzelbefehl gegeben werden für den bestimmten Fall, aber auch als
allgemeine Regel: Dienstvorschrift, Instruktion, Armeebefehl. Letzteren-
falls ist sie kein Rechtssatz. Die für solche bestehenden formellen
Veröffentlichungsregeln gelten nicht für sie; sie wird dienstlich
bekannt gemacht,
d. h. in einer Weise, die genügt, damit der
Dienstpflichtige, wenn er seine Schuldigkeit thut, sich Kenntnis davon
verschaffen kann2. Sie hat auch nicht den Vorrang des Rechtssatzes
gegenüber dem Einzelakte: der Einzeldienstbefehl, der den Fall un-
mittelbarer und bestimmter erfaßt, geht der allgemeinen Dienstvor-
schrift vor3.

Die Wirkung des Dienstbefehls ist die Pflicht zum dienstlichen
Gehorsam
. Die Nichtbefolgung des Befehls ist Verletzung der
Dienstpflicht, kraft deren er erlassen ist, und hat die darauf gesetzten
Nachteile zur Folge4.

2 Vgl. Bd. I S. 104. 437. Ein anschauliches Beispiel bietet die "Publikation"
der Heerordnung im Armeeverordnungsblatt 1888 S. 226.
3 Wie bei den finanzrechtlichen Gewaltverhältnissen: Bd. I S. 446. Damit
hängt zusammen, daß man unter dienstlichem Ungehorsam i. e. S. nur die Nicht-
befolgung eines Einzelbefehls versteht, die auch mit besonderer Strafbarkeit ver-
bunden ist; Hecker in Gerichtssaal XXI S. 506. -- Die dienstlichen Einzel-
befehle können auch von Vorgesetzten ausgehen, welchen der Sprachgebrauch be-
hördliche Stellung nicht zuerkennt; es widerstrebt diesem, einen Bureauvorsteher
oder Unteroffizier als Behörde zu bezeichnen. Wenn man von der "vorgesetzten
Dienstbehörde" spricht, so hat man immer eine höhere Stelle im Auge von dem
äußeren Rang und Ansehen der allgemeinen Verwaltungsbehörden. Gleichwohl
haben auch diese Dienstbefehle die Kraft und rechtliche Natur von Verwaltungs-
akten. Nach dem Bd. I S. 96 angenommenen Zusammenhang zwischen den beiden
Begriffen, müssen wir also feststellen, daß im Gewaltverhältnisse auch eine gering-
wertige Stelle als Behörde wirkt. Das ist wieder eine Besonderheit desselben,
die uns in der Lehre von der Anstaltsgewalt (unten § 52, II) in noch größerem
Umfange entgegentritt.
4 Ohne solche Folgen wäre es kein Befehl; vgl. Bd. I S. 283. -- Ganz un-
richtig ist es, wenn man Gehorsam und Dienstpflicht einfach für gleichbedeutend
erklären will. So Schulze, Preuß. St.R. I S. 315. Das gäbe eine schlechte
Pflichterfüllung, wo nichts geschähe, als was befohlen ist! Der Begriff des dienst-
lichen Gehorsams umfaßt übrigens nicht einmal alle Amtspflichten, welche durch
ausdrückliche Vorschriften und Befehle bestimmt sind; Befehle können dem Be-
amten gegeben werden, wie jedem Unterthanen durch Rechtssatz des Gesetzes oder
der Verordnung. Von dienstlichem Gehorsam spricht man aber nur gegenüber
solchen Befehlen, welche auf dem besonderen Grunde der Dienstpflicht und der
Dienstgewalt beruhen; Seydel, Bayr. St.R. III S. 390.

§ 45. Die Dienstgewalt.
stimmung des Verhaltens des Untergebenen; sie hat die Natur des
Befehls (Bd. I S. 271); Dienstbefehl heißt sie nach der Art
des Gewaltverhältnisses, auf das sie sich gründet. Sie kann als
Einzelbefehl gegeben werden für den bestimmten Fall, aber auch als
allgemeine Regel: Dienstvorschrift, Instruktion, Armeebefehl. Letzteren-
falls ist sie kein Rechtssatz. Die für solche bestehenden formellen
Veröffentlichungsregeln gelten nicht für sie; sie wird dienstlich
bekannt gemacht,
d. h. in einer Weise, die genügt, damit der
Dienstpflichtige, wenn er seine Schuldigkeit thut, sich Kenntnis davon
verschaffen kann2. Sie hat auch nicht den Vorrang des Rechtssatzes
gegenüber dem Einzelakte: der Einzeldienstbefehl, der den Fall un-
mittelbarer und bestimmter erfaßt, geht der allgemeinen Dienstvor-
schrift vor3.

Die Wirkung des Dienstbefehls ist die Pflicht zum dienstlichen
Gehorsam
. Die Nichtbefolgung des Befehls ist Verletzung der
Dienstpflicht, kraft deren er erlassen ist, und hat die darauf gesetzten
Nachteile zur Folge4.

2 Vgl. Bd. I S. 104. 437. Ein anschauliches Beispiel bietet die „Publikation“
der Heerordnung im Armeeverordnungsblatt 1888 S. 226.
3 Wie bei den finanzrechtlichen Gewaltverhältnissen: Bd. I S. 446. Damit
hängt zusammen, daß man unter dienstlichem Ungehorsam i. e. S. nur die Nicht-
befolgung eines Einzelbefehls versteht, die auch mit besonderer Strafbarkeit ver-
bunden ist; Hecker in Gerichtssaal XXI S. 506. — Die dienstlichen Einzel-
befehle können auch von Vorgesetzten ausgehen, welchen der Sprachgebrauch be-
hördliche Stellung nicht zuerkennt; es widerstrebt diesem, einen Bureauvorsteher
oder Unteroffizier als Behörde zu bezeichnen. Wenn man von der „vorgesetzten
Dienstbehörde“ spricht, so hat man immer eine höhere Stelle im Auge von dem
äußeren Rang und Ansehen der allgemeinen Verwaltungsbehörden. Gleichwohl
haben auch diese Dienstbefehle die Kraft und rechtliche Natur von Verwaltungs-
akten. Nach dem Bd. I S. 96 angenommenen Zusammenhang zwischen den beiden
Begriffen, müssen wir also feststellen, daß im Gewaltverhältnisse auch eine gering-
wertige Stelle als Behörde wirkt. Das ist wieder eine Besonderheit desselben,
die uns in der Lehre von der Anstaltsgewalt (unten § 52, II) in noch größerem
Umfange entgegentritt.
4 Ohne solche Folgen wäre es kein Befehl; vgl. Bd. I S. 283. — Ganz un-
richtig ist es, wenn man Gehorsam und Dienstpflicht einfach für gleichbedeutend
erklären will. So Schulze, Preuß. St.R. I S. 315. Das gäbe eine schlechte
Pflichterfüllung, wo nichts geschähe, als was befohlen ist! Der Begriff des dienst-
lichen Gehorsams umfaßt übrigens nicht einmal alle Amtspflichten, welche durch
ausdrückliche Vorschriften und Befehle bestimmt sind; Befehle können dem Be-
amten gegeben werden, wie jedem Unterthanen durch Rechtssatz des Gesetzes oder
der Verordnung. Von dienstlichem Gehorsam spricht man aber nur gegenüber
solchen Befehlen, welche auf dem besonderen Grunde der Dienstpflicht und der
Dienstgewalt beruhen; Seydel, Bayr. St.R. III S. 390.
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[235/0247] § 45. Die Dienstgewalt. stimmung des Verhaltens des Untergebenen; sie hat die Natur des Befehls (Bd. I S. 271); Dienstbefehl heißt sie nach der Art des Gewaltverhältnisses, auf das sie sich gründet. Sie kann als Einzelbefehl gegeben werden für den bestimmten Fall, aber auch als allgemeine Regel: Dienstvorschrift, Instruktion, Armeebefehl. Letzteren- falls ist sie kein Rechtssatz. Die für solche bestehenden formellen Veröffentlichungsregeln gelten nicht für sie; sie wird dienstlich bekannt gemacht, d. h. in einer Weise, die genügt, damit der Dienstpflichtige, wenn er seine Schuldigkeit thut, sich Kenntnis davon verschaffen kann 2. Sie hat auch nicht den Vorrang des Rechtssatzes gegenüber dem Einzelakte: der Einzeldienstbefehl, der den Fall un- mittelbarer und bestimmter erfaßt, geht der allgemeinen Dienstvor- schrift vor 3. Die Wirkung des Dienstbefehls ist die Pflicht zum dienstlichen Gehorsam. Die Nichtbefolgung des Befehls ist Verletzung der Dienstpflicht, kraft deren er erlassen ist, und hat die darauf gesetzten Nachteile zur Folge 4. 2 Vgl. Bd. I S. 104. 437. Ein anschauliches Beispiel bietet die „Publikation“ der Heerordnung im Armeeverordnungsblatt 1888 S. 226. 3 Wie bei den finanzrechtlichen Gewaltverhältnissen: Bd. I S. 446. Damit hängt zusammen, daß man unter dienstlichem Ungehorsam i. e. S. nur die Nicht- befolgung eines Einzelbefehls versteht, die auch mit besonderer Strafbarkeit ver- bunden ist; Hecker in Gerichtssaal XXI S. 506. — Die dienstlichen Einzel- befehle können auch von Vorgesetzten ausgehen, welchen der Sprachgebrauch be- hördliche Stellung nicht zuerkennt; es widerstrebt diesem, einen Bureauvorsteher oder Unteroffizier als Behörde zu bezeichnen. Wenn man von der „vorgesetzten Dienstbehörde“ spricht, so hat man immer eine höhere Stelle im Auge von dem äußeren Rang und Ansehen der allgemeinen Verwaltungsbehörden. Gleichwohl haben auch diese Dienstbefehle die Kraft und rechtliche Natur von Verwaltungs- akten. Nach dem Bd. I S. 96 angenommenen Zusammenhang zwischen den beiden Begriffen, müssen wir also feststellen, daß im Gewaltverhältnisse auch eine gering- wertige Stelle als Behörde wirkt. Das ist wieder eine Besonderheit desselben, die uns in der Lehre von der Anstaltsgewalt (unten § 52, II) in noch größerem Umfange entgegentritt. 4 Ohne solche Folgen wäre es kein Befehl; vgl. Bd. I S. 283. — Ganz un- richtig ist es, wenn man Gehorsam und Dienstpflicht einfach für gleichbedeutend erklären will. So Schulze, Preuß. St.R. I S. 315. Das gäbe eine schlechte Pflichterfüllung, wo nichts geschähe, als was befohlen ist! Der Begriff des dienst- lichen Gehorsams umfaßt übrigens nicht einmal alle Amtspflichten, welche durch ausdrückliche Vorschriften und Befehle bestimmt sind; Befehle können dem Be- amten gegeben werden, wie jedem Unterthanen durch Rechtssatz des Gesetzes oder der Verordnung. Von dienstlichem Gehorsam spricht man aber nur gegenüber solchen Befehlen, welche auf dem besonderen Grunde der Dienstpflicht und der Dienstgewalt beruhen; Seydel, Bayr. St.R. III S. 390.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/247>, abgerufen am 25.04.2024.