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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 55. Die juristische Persönlichkeit des öffentlichen Rechtes.

Diese natürliche Person trägt zugleich etwas in sich, an dessen
Erscheinungen die Rechtsordnung ihr ganzes System gehängt hat, in-
dem sie ihm Wirkungen bestimmt und Richtung zu geben sucht; das
ist der Wille. Damit die Person ihre Stellung in der Rechtsordnung,
wie diese nun einmal gestaltet ist, behaupte, muß sie rechtsordnungs-
mäßig wollen können; nötigenfalls wird ihr für eine Vertretung im
Wollen gesorgt. Es handelt sich dabei um eine schwer entbehrliche
Ausstattung, aber nicht um die Grundlagen der Persönlichkeit: nicht
weil er willensfähig ist, ist der Mensch Person, sondern weil er lebt.
Die Philosophie freilich spricht vom Willen in einem anderen als in
unserem bestimmten juristischen Sinn; für sie kann Wollen und
Leben zusammenfallen: Leben ist dann sein Dasein wollen und alles
was daran hängt und hängen soll, seine Interessen wahrnehmen, seine
Zwecke verfolgen, gleichviel, ob das mit rechtlich bedeutsamem Willen
geschieht oder im Unbewußten. In diesem Sinne ist der mensch-
liche Wille nicht gleichgültig für die Persönlichkeit, sondern dafür
ist sie da.

2. Der Mensch hat aber auch Interessen und Zwecke, deren
Verwirklichung nicht in dem Einzeldasein beschlossen ist, welche
darüber hinausreichen und gemeinsam sind mit Nebenmenschen
oder auch mit solchen, die leben werden, wenn dieses Einzeldasein
erloschen ist. Die Rechtsordnung gewährt ihm mancherlei Formen,
um von der natürlichen Person aus für solche gemeinsame Interessen
zu wirken (Gesellschaft, Erbrecht). Daneben steht als eine besondere
Form dafür die juristische Person. Sie vermag gemeinsame
Interessen vor der Rechtsordnung zu vertreten, auch da, wo die natür-
liche Person dazu nicht ausreicht, sei es wegen ihrer Kurzlebigkeit,
sei es, weil die Beteiligten zu zahlreich und unbestimmt sind, sei es
auch bloß deshalb, weil sich niemand findet, der für diese Interessen
"mit seiner Person eintreten will".

Die juristische Person ist der natürlichen Person vollkommen
wesensgleich. Sie ist wie diese ein Erzeugnis der Rechtsordnung und
nicht juristischer oder moralischer als sie, noch fiktiver oder erdichteter.
Der Unterschied liegt nur in dem, was dahinter steht: dort ein be-
stimmtes Einzelwesen, dem die Person für den unbestimmten Umfang
seiner Interessen dient, hier eine unbestimmte Mehrheit von Einzel-
wesen, denen sie für einen bestimmten Ausschnitt von Interessen dient,
der ihnen gemeinsam ist.

3. Während demnach die natürliche Person sich einfach ver-
wirklicht an dem lebendigen Einzelwesen, das hinter ihr steht, kann
die juristische Person die bestimmte Gestalt, in der sie erscheinen

§ 55. Die juristische Persönlichkeit des öffentlichen Rechtes.

Diese natürliche Person trägt zugleich etwas in sich, an dessen
Erscheinungen die Rechtsordnung ihr ganzes System gehängt hat, in-
dem sie ihm Wirkungen bestimmt und Richtung zu geben sucht; das
ist der Wille. Damit die Person ihre Stellung in der Rechtsordnung,
wie diese nun einmal gestaltet ist, behaupte, muß sie rechtsordnungs-
mäßig wollen können; nötigenfalls wird ihr für eine Vertretung im
Wollen gesorgt. Es handelt sich dabei um eine schwer entbehrliche
Ausstattung, aber nicht um die Grundlagen der Persönlichkeit: nicht
weil er willensfähig ist, ist der Mensch Person, sondern weil er lebt.
Die Philosophie freilich spricht vom Willen in einem anderen als in
unserem bestimmten juristischen Sinn; für sie kann Wollen und
Leben zusammenfallen: Leben ist dann sein Dasein wollen und alles
was daran hängt und hängen soll, seine Interessen wahrnehmen, seine
Zwecke verfolgen, gleichviel, ob das mit rechtlich bedeutsamem Willen
geschieht oder im Unbewußten. In diesem Sinne ist der mensch-
liche Wille nicht gleichgültig für die Persönlichkeit, sondern dafür
ist sie da.

2. Der Mensch hat aber auch Interessen und Zwecke, deren
Verwirklichung nicht in dem Einzeldasein beschlossen ist, welche
darüber hinausreichen und gemeinsam sind mit Nebenmenschen
oder auch mit solchen, die leben werden, wenn dieses Einzeldasein
erloschen ist. Die Rechtsordnung gewährt ihm mancherlei Formen,
um von der natürlichen Person aus für solche gemeinsame Interessen
zu wirken (Gesellschaft, Erbrecht). Daneben steht als eine besondere
Form dafür die juristische Person. Sie vermag gemeinsame
Interessen vor der Rechtsordnung zu vertreten, auch da, wo die natür-
liche Person dazu nicht ausreicht, sei es wegen ihrer Kurzlebigkeit,
sei es, weil die Beteiligten zu zahlreich und unbestimmt sind, sei es
auch bloß deshalb, weil sich niemand findet, der für diese Interessen
„mit seiner Person eintreten will“.

Die juristische Person ist der natürlichen Person vollkommen
wesensgleich. Sie ist wie diese ein Erzeugnis der Rechtsordnung und
nicht juristischer oder moralischer als sie, noch fiktiver oder erdichteter.
Der Unterschied liegt nur in dem, was dahinter steht: dort ein be-
stimmtes Einzelwesen, dem die Person für den unbestimmten Umfang
seiner Interessen dient, hier eine unbestimmte Mehrheit von Einzel-
wesen, denen sie für einen bestimmten Ausschnitt von Interessen dient,
der ihnen gemeinsam ist.

3. Während demnach die natürliche Person sich einfach ver-
wirklicht an dem lebendigen Einzelwesen, das hinter ihr steht, kann
die juristische Person die bestimmte Gestalt, in der sie erscheinen

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[367/0379] § 55. Die juristische Persönlichkeit des öffentlichen Rechtes. Diese natürliche Person trägt zugleich etwas in sich, an dessen Erscheinungen die Rechtsordnung ihr ganzes System gehängt hat, in- dem sie ihm Wirkungen bestimmt und Richtung zu geben sucht; das ist der Wille. Damit die Person ihre Stellung in der Rechtsordnung, wie diese nun einmal gestaltet ist, behaupte, muß sie rechtsordnungs- mäßig wollen können; nötigenfalls wird ihr für eine Vertretung im Wollen gesorgt. Es handelt sich dabei um eine schwer entbehrliche Ausstattung, aber nicht um die Grundlagen der Persönlichkeit: nicht weil er willensfähig ist, ist der Mensch Person, sondern weil er lebt. Die Philosophie freilich spricht vom Willen in einem anderen als in unserem bestimmten juristischen Sinn; für sie kann Wollen und Leben zusammenfallen: Leben ist dann sein Dasein wollen und alles was daran hängt und hängen soll, seine Interessen wahrnehmen, seine Zwecke verfolgen, gleichviel, ob das mit rechtlich bedeutsamem Willen geschieht oder im Unbewußten. In diesem Sinne ist der mensch- liche Wille nicht gleichgültig für die Persönlichkeit, sondern dafür ist sie da. 2. Der Mensch hat aber auch Interessen und Zwecke, deren Verwirklichung nicht in dem Einzeldasein beschlossen ist, welche darüber hinausreichen und gemeinsam sind mit Nebenmenschen oder auch mit solchen, die leben werden, wenn dieses Einzeldasein erloschen ist. Die Rechtsordnung gewährt ihm mancherlei Formen, um von der natürlichen Person aus für solche gemeinsame Interessen zu wirken (Gesellschaft, Erbrecht). Daneben steht als eine besondere Form dafür die juristische Person. Sie vermag gemeinsame Interessen vor der Rechtsordnung zu vertreten, auch da, wo die natür- liche Person dazu nicht ausreicht, sei es wegen ihrer Kurzlebigkeit, sei es, weil die Beteiligten zu zahlreich und unbestimmt sind, sei es auch bloß deshalb, weil sich niemand findet, der für diese Interessen „mit seiner Person eintreten will“. Die juristische Person ist der natürlichen Person vollkommen wesensgleich. Sie ist wie diese ein Erzeugnis der Rechtsordnung und nicht juristischer oder moralischer als sie, noch fiktiver oder erdichteter. Der Unterschied liegt nur in dem, was dahinter steht: dort ein be- stimmtes Einzelwesen, dem die Person für den unbestimmten Umfang seiner Interessen dient, hier eine unbestimmte Mehrheit von Einzel- wesen, denen sie für einen bestimmten Ausschnitt von Interessen dient, der ihnen gemeinsam ist. 3. Während demnach die natürliche Person sich einfach ver- wirklicht an dem lebendigen Einzelwesen, das hinter ihr steht, kann die juristische Person die bestimmte Gestalt, in der sie erscheinen

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/379>, abgerufen am 19.04.2024.