Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mendel, Gregor: Versuche über Pflanzen-Hybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn 4 (1866), S. 3-47.

Bild:
<< vorherige Seite

Auforderungen hinreichend entspreche. Einige ganz selbstständige For-
men aus diesem Geschlechte besitzen constante, leicht und sicher zu
unterscheidende Merkmale, und geben bei gegenseitiger Kreuzung in
ihren Hybriden vollkommen fruchtbare Nachkommen. Auch kann eine
Störung durch fremde Pollen nicht leicht eintreten, da die Befruchtungs-
Organe vom Schiffchen enge umschlossen sind und die Antheren schon
in der Knospe platzen, wodurch die Narbe noch vor dem Aufblühen
mit Pollen überdeckt wird. Dieser Umstand ist von besonderer Wich-
tigkeit. Als weitere Vorzüge verdienen noch Erwähnung die leichte
Cultur dieser Pflanze im freien Lande und in Töpfen, sowie die ver-
hältnissmässig kurze Vegetationsdauer derselben. Die künstliche Be-
fruchtung ist allerdings etwas umständlich, gelingt jedoch fast immer.
Zu diesem Zwecke wird die noch nicht vollkommen entwickelte Knospe
geöffnet, das Schiffchen entfernt und jeder Staubfaden mittelst einer
Pincette behutsam herausgenommen, worauf dann die Narbe sogleich
mit den fremden Pollen belegt werden kann.

Aus mehreren Samenhandlungen wurden im Ganzen 34 mehr
oder weniger verschiedene Erbsensorten bezogen und einer zweijährigen
Probe unterworfen. Bei einer Sorte wurden unter einer grösseren Anzahl
gleicher Pflanzen einige bedeutend abweichende Formen bemerkt. Diese
variirten jedoch im nächsten Jahre nicht und stimmten mit einer anderen,
aus derselben Samenhandlung bezogenen Art vollständig überein; ohne
Zweifel waren die Samen blos zufällig beigemengt. Alle anderen Sorten
gaben durchaus gleiche und constante Nachkommen, in den beiden Probe-
jahren wenigstens war eine wesentliche Abänderung nicht zu bemerken.
Für die Befruchtung wurden 22 davon ausgewählt und jährlich, wäh-
rend der ganzen Versuchsdauer angebaut. Sie bewährten sich ohne alle
Ausnahme.

Die systematische Einreihung derselben ist schwierig und unsicher.
Wollte man die schärfste Bestimmung des Artbegriffes in Anwendung
bringen, nach welcher zu einer Art nur jene Individuen gehören, die
unter völlig gleichen Verhältnissen auch völlig gleiche Merkmale zeigen,
so könnten nicht zwei davon zu einer Art gezählt werden. Nach der
Meinung der Fachgelehrten indessen gehört die Mehrzahl der Species
Pisum sativum an, während die übrigen bald als Unterarten von P.
sativum, bald als selbstständige Arten angesehen und geschrieben wur-
den, wie P. quadratum, P. saccharatum, P. umbellatum. Uebrigens bleibt

Auforderungen hinreichend entspreche. Einige ganz selbstständige For-
men aus diesem Geschlechte besitzen constante, leicht und sicher zu
unterscheidende Merkmale, und geben bei gegenseitiger Kreuzung in
ihren Hybriden vollkommen fruchtbare Nachkommen. Auch kann eine
Störung durch fremde Pollen nicht leicht eintreten, da die Befruchtungs-
Organe vom Schiffchen enge umschlossen sind und die Antheren schon
in der Knospe platzen, wodurch die Narbe noch vor dem Aufblühen
mit Pollen überdeckt wird. Dieser Umstand ist von besonderer Wich-
tigkeit. Als weitere Vorzüge verdienen noch Erwähnung die leichte
Cultur dieser Pflanze im freien Lande und in Töpfen, sowie die ver-
hältnissmässig kurze Vegetationsdauer derselben. Die künstliche Be-
fruchtung ist allerdings etwas umständlich, gelingt jedoch fast immer.
Zu diesem Zwecke wird die noch nicht vollkommen entwickelte Knospe
geöffnet, das Schiffchen entfernt und jeder Staubfaden mittelst einer
Pinçette behutsam herausgenommen, worauf dann die Narbe sogleich
mit den fremden Pollen belegt werden kann.

Aus mehreren Samenhandlungen wurden im Ganzen 34 mehr
oder weniger verschiedene Erbsensorten bezogen und einer zweijährigen
Probe unterworfen. Bei einer Sorte wurden unter einer grösseren Anzahl
gleicher Pflanzen einige bedeutend abweichende Formen bemerkt. Diese
variirten jedoch im nächsten Jahre nicht und stimmten mit einer anderen,
aus derselben Samenhandlung bezogenen Art vollständig überein; ohne
Zweifel waren die Samen blos zufällig beigemengt. Alle anderen Sorten
gaben durchaus gleiche und constante Nachkommen, in den beiden Probe-
jahren wenigstens war eine wesentliche Abänderung nicht zu bemerken.
Für die Befruchtung wurden 22 davon ausgewählt und jährlich, wäh-
rend der ganzen Versuchsdauer angebaut. Sie bewährten sich ohne alle
Ausnahme.

Die systematische Einreihung derselben ist schwierig und unsicher.
Wollte man die schärfste Bestimmung des Artbegriffes in Anwendung
bringen, nach welcher zu einer Art nur jene Individuen gehören, die
unter völlig gleichen Verhältnissen auch völlig gleiche Merkmale zeigen,
so könnten nicht zwei davon zu einer Art gezählt werden. Nach der
Meinung der Fachgelehrten indessen gehört die Mehrzahl der Species
Pisum sativum an, während die übrigen bald als Unterarten von P.
sativum, bald als selbstständige Arten angesehen und geschrieben wur-
den, wie P. quadratum, P. saccharatum, P. umbellatum. Uebrigens bleibt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0017" n="6"/>
Auforderungen hinreichend entspreche. Einige ganz selbstständige For-<lb/>
men aus diesem Geschlechte besitzen constante, leicht und sicher zu<lb/>
unterscheidende Merkmale, und geben bei gegenseitiger Kreuzung in<lb/>
ihren Hybriden vollkommen fruchtbare Nachkommen. Auch kann eine<lb/>
Störung durch fremde Pollen nicht leicht eintreten, da die Befruchtungs-<lb/>
Organe vom Schiffchen enge umschlossen sind und die Antheren schon<lb/>
in der Knospe platzen, wodurch die Narbe noch vor dem Aufblühen<lb/>
mit Pollen überdeckt wird. Dieser Umstand ist von besonderer Wich-<lb/>
tigkeit. Als weitere Vorzüge verdienen noch Erwähnung die leichte<lb/>
Cultur dieser Pflanze im freien Lande und in Töpfen, sowie die ver-<lb/>
hältnissmässig kurze Vegetationsdauer derselben. Die künstliche Be-<lb/>
fruchtung ist allerdings etwas umständlich, gelingt jedoch fast immer.<lb/>
Zu diesem Zwecke wird die noch nicht vollkommen entwickelte Knospe<lb/>
geöffnet, das Schiffchen entfernt und jeder Staubfaden mittelst einer<lb/>
Pinçette behutsam herausgenommen, worauf dann die Narbe sogleich<lb/>
mit den fremden Pollen belegt werden kann.</p><lb/>
            <p>Aus mehreren Samenhandlungen wurden im Ganzen 34 mehr<lb/>
oder weniger verschiedene Erbsensorten bezogen und einer zweijährigen<lb/>
Probe unterworfen. Bei einer Sorte wurden unter einer grösseren Anzahl<lb/>
gleicher Pflanzen einige bedeutend abweichende Formen bemerkt. Diese<lb/>
variirten jedoch im nächsten Jahre nicht und stimmten mit einer anderen,<lb/>
aus derselben Samenhandlung bezogenen Art vollständig überein; ohne<lb/>
Zweifel waren die Samen blos zufällig beigemengt. Alle anderen Sorten<lb/>
gaben durchaus gleiche und constante Nachkommen, in den beiden Probe-<lb/>
jahren wenigstens war eine wesentliche Abänderung nicht zu bemerken.<lb/>
Für die Befruchtung wurden 22 davon ausgewählt und jährlich, wäh-<lb/>
rend der ganzen Versuchsdauer angebaut. Sie bewährten sich ohne alle<lb/>
Ausnahme.</p><lb/>
            <p>Die systematische Einreihung derselben ist schwierig und unsicher.<lb/>
Wollte man die schärfste Bestimmung des Artbegriffes in Anwendung<lb/>
bringen, nach welcher zu einer Art nur jene Individuen gehören, die<lb/>
unter völlig gleichen Verhältnissen auch völlig gleiche Merkmale zeigen,<lb/>
so könnten nicht zwei davon zu einer Art gezählt werden. Nach der<lb/>
Meinung der Fachgelehrten indessen gehört die Mehrzahl der Species<lb/>
Pisum sativum an, während die übrigen bald als Unterarten von P.<lb/>
sativum, bald als selbstständige Arten angesehen und geschrieben wur-<lb/>
den, wie P. quadratum, P. saccharatum, P. umbellatum. Uebrigens bleibt<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0017] Auforderungen hinreichend entspreche. Einige ganz selbstständige For- men aus diesem Geschlechte besitzen constante, leicht und sicher zu unterscheidende Merkmale, und geben bei gegenseitiger Kreuzung in ihren Hybriden vollkommen fruchtbare Nachkommen. Auch kann eine Störung durch fremde Pollen nicht leicht eintreten, da die Befruchtungs- Organe vom Schiffchen enge umschlossen sind und die Antheren schon in der Knospe platzen, wodurch die Narbe noch vor dem Aufblühen mit Pollen überdeckt wird. Dieser Umstand ist von besonderer Wich- tigkeit. Als weitere Vorzüge verdienen noch Erwähnung die leichte Cultur dieser Pflanze im freien Lande und in Töpfen, sowie die ver- hältnissmässig kurze Vegetationsdauer derselben. Die künstliche Be- fruchtung ist allerdings etwas umständlich, gelingt jedoch fast immer. Zu diesem Zwecke wird die noch nicht vollkommen entwickelte Knospe geöffnet, das Schiffchen entfernt und jeder Staubfaden mittelst einer Pinçette behutsam herausgenommen, worauf dann die Narbe sogleich mit den fremden Pollen belegt werden kann. Aus mehreren Samenhandlungen wurden im Ganzen 34 mehr oder weniger verschiedene Erbsensorten bezogen und einer zweijährigen Probe unterworfen. Bei einer Sorte wurden unter einer grösseren Anzahl gleicher Pflanzen einige bedeutend abweichende Formen bemerkt. Diese variirten jedoch im nächsten Jahre nicht und stimmten mit einer anderen, aus derselben Samenhandlung bezogenen Art vollständig überein; ohne Zweifel waren die Samen blos zufällig beigemengt. Alle anderen Sorten gaben durchaus gleiche und constante Nachkommen, in den beiden Probe- jahren wenigstens war eine wesentliche Abänderung nicht zu bemerken. Für die Befruchtung wurden 22 davon ausgewählt und jährlich, wäh- rend der ganzen Versuchsdauer angebaut. Sie bewährten sich ohne alle Ausnahme. Die systematische Einreihung derselben ist schwierig und unsicher. Wollte man die schärfste Bestimmung des Artbegriffes in Anwendung bringen, nach welcher zu einer Art nur jene Individuen gehören, die unter völlig gleichen Verhältnissen auch völlig gleiche Merkmale zeigen, so könnten nicht zwei davon zu einer Art gezählt werden. Nach der Meinung der Fachgelehrten indessen gehört die Mehrzahl der Species Pisum sativum an, während die übrigen bald als Unterarten von P. sativum, bald als selbstständige Arten angesehen und geschrieben wur- den, wie P. quadratum, P. saccharatum, P. umbellatum. Uebrigens bleibt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mendel_pflanzenhybriden_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mendel_pflanzenhybriden_1866/17
Zitationshilfe: Mendel, Gregor: Versuche über Pflanzen-Hybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn 4 (1866), S. 3-47, hier S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendel_pflanzenhybriden_1866/17>, abgerufen am 28.03.2024.