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Mendel, Gregor: Versuche über Pflanzen-Hybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn 4 (1866), S. 3-47.

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würde der ganze Umwandlungsprocess eine ziemlich einfache Erklärung
finden. Die Hybride bildet so vielerlei Keimzellen, als die in ihr ver-
einigten Merkmale constante Combinationen zulassen, und eine davon
ist immer gleichartig mit den befruchtenden Pollenzellen. Demnach ist
für alle derartigen Versuche die Möglichkeit vorhanden, dass schon aus
der zweiten Befruchtung eine constante Form gewonnen wird, welche
der Pollenpflanze gleichkommt. Ob dieselbe aber wirklich erhalten wird,
hängt in jedem einzelnen Falle von der Zahl der Versuchspflanzen ab,
sowie von der Anzahl der differirenden Merkmale, welche durch die Be-
fruchtung vereinigt wurden. Nehmen wir z. B. an, die für den Versuch
bestimmten Pflanzen wären in 3 Merkmalen verschieden und es sollte
die Art ABC in die andere abc durch wiederholte Befruchtung mit dem
Pollen derselben umgewandelt werden. Die aus der ersten Befruchtung
hervorgehende Hybride bildet 8 verschiedene Arten von Keimzellen
nämlich:
ABC, ABc, AbC, aBC, Abc, aBc, abC, abc.

Diese werden im zweiten Versuchsjahre abermals mit den Pollen-
zellen abc verbunden und man erhält die Reihe:
AaBbCc + AaBbc + AabCc + aBbCc + Aabc + aBbc + abCc + abc.

Da die Form abc in der 8gliedrigen Reihe einmal vorkommt, so
ist es wenig wahrscheinlich, dass sie unter den Versuchspflanzen fehlen
könnte, wenn diese auch nur in einer geringeren Anzahl gezogen wür-
den, und die Umwandlung wäre schon nach zweimaliger Befruchtung
vollendet. Sollte sie zufällig nicht erhalten werden, so müsste die Be-
fruchtung an einer der nächst verwandten Verbindungen Aabc, aBbc,
abCc
wiederholt werden. Es wird ersichtlich, dass sich ein derartiges
Experiment desto länger hinausziehen müsse, je kleiner die Anzahl
der Versuchspflanzen und je grösser die Zahl der differi-
renden Merkmale
an den beiden Stammarten ist, dass ferner bei
den nämlichen Arten leicht eine Verschiebung um eine, selbst um zwei
Generationen vorkommen könne, wie es Gärtner beobachtet hat. Die
Umwandlung weit abstehender Arten kann immerhin erst im 5. oder 6.
Versuchsjahre beendet sein, indem die Anzahl der verschiedenen Keim-
zellen, welche an der Hybride gebildet werden, mit den differirenden
Merkmalen nach den Potenzen von 2 zunimmt.


würde der ganze Umwandlungsprocess eine ziemlich einfache Erklärung
finden. Die Hybride bildet so vielerlei Keimzellen, als die in ihr ver-
einigten Merkmale constante Combinationen zulassen, und eine davon
ist immer gleichartig mit den befruchtenden Pollenzellen. Demnach ist
für alle derartigen Versuche die Möglichkeit vorhanden, dass schon aus
der zweiten Befruchtung eine constante Form gewonnen wird, welche
der Pollenpflanze gleichkommt. Ob dieselbe aber wirklich erhalten wird,
hängt in jedem einzelnen Falle von der Zahl der Versuchspflanzen ab,
sowie von der Anzahl der differirenden Merkmale, welche durch die Be-
fruchtung vereinigt wurden. Nehmen wir z. B. an, die für den Versuch
bestimmten Pflanzen wären in 3 Merkmalen verschieden und es sollte
die Art ABC in die andere abc durch wiederholte Befruchtung mit dem
Pollen derselben umgewandelt werden. Die aus der ersten Befruchtung
hervorgehende Hybride bildet 8 verschiedene Arten von Keimzellen
nämlich:
ABC, ABc, AbC, aBC, Abc, aBc, abC, abc.

Diese werden im zweiten Versuchsjahre abermals mit den Pollen-
zellen abc verbunden und man erhält die Reihe:
AaBbCc + AaBbc + AabCc + aBbCc + Aabc + aBbc + abCc + abc.

Da die Form abc in der 8gliedrigen Reihe einmal vorkommt, so
ist es wenig wahrscheinlich, dass sie unter den Versuchspflanzen fehlen
könnte, wenn diese auch nur in einer geringeren Anzahl gezogen wür-
den, und die Umwandlung wäre schon nach zweimaliger Befruchtung
vollendet. Sollte sie zufällig nicht erhalten werden, so müsste die Be-
fruchtung an einer der nächst verwandten Verbindungen Aabc, aBbc,
abCc
wiederholt werden. Es wird ersichtlich, dass sich ein derartiges
Experiment desto länger hinausziehen müsse, je kleiner die Anzahl
der Versuchspflanzen und je grösser die Zahl der differi-
renden Merkmale
an den beiden Stammarten ist, dass ferner bei
den nämlichen Arten leicht eine Verschiebung um eine, selbst um zwei
Generationen vorkommen könne, wie es Gärtner beobachtet hat. Die
Umwandlung weit abstehender Arten kann immerhin erst im 5. oder 6.
Versuchsjahre beendet sein, indem die Anzahl der verschiedenen Keim-
zellen, welche an der Hybride gebildet werden, mit den differirenden
Merkmalen nach den Potenzen von 2 zunimmt.


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[44/0055] würde der ganze Umwandlungsprocess eine ziemlich einfache Erklärung finden. Die Hybride bildet so vielerlei Keimzellen, als die in ihr ver- einigten Merkmale constante Combinationen zulassen, und eine davon ist immer gleichartig mit den befruchtenden Pollenzellen. Demnach ist für alle derartigen Versuche die Möglichkeit vorhanden, dass schon aus der zweiten Befruchtung eine constante Form gewonnen wird, welche der Pollenpflanze gleichkommt. Ob dieselbe aber wirklich erhalten wird, hängt in jedem einzelnen Falle von der Zahl der Versuchspflanzen ab, sowie von der Anzahl der differirenden Merkmale, welche durch die Be- fruchtung vereinigt wurden. Nehmen wir z. B. an, die für den Versuch bestimmten Pflanzen wären in 3 Merkmalen verschieden und es sollte die Art ABC in die andere abc durch wiederholte Befruchtung mit dem Pollen derselben umgewandelt werden. Die aus der ersten Befruchtung hervorgehende Hybride bildet 8 verschiedene Arten von Keimzellen nämlich: ABC, ABc, AbC, aBC, Abc, aBc, abC, abc. Diese werden im zweiten Versuchsjahre abermals mit den Pollen- zellen abc verbunden und man erhält die Reihe: AaBbCc + AaBbc + AabCc + aBbCc + Aabc + aBbc + abCc + abc. Da die Form abc in der 8gliedrigen Reihe einmal vorkommt, so ist es wenig wahrscheinlich, dass sie unter den Versuchspflanzen fehlen könnte, wenn diese auch nur in einer geringeren Anzahl gezogen wür- den, und die Umwandlung wäre schon nach zweimaliger Befruchtung vollendet. Sollte sie zufällig nicht erhalten werden, so müsste die Be- fruchtung an einer der nächst verwandten Verbindungen Aabc, aBbc, abCc wiederholt werden. Es wird ersichtlich, dass sich ein derartiges Experiment desto länger hinausziehen müsse, je kleiner die Anzahl der Versuchspflanzen und je grösser die Zahl der differi- renden Merkmale an den beiden Stammarten ist, dass ferner bei den nämlichen Arten leicht eine Verschiebung um eine, selbst um zwei Generationen vorkommen könne, wie es Gärtner beobachtet hat. Die Umwandlung weit abstehender Arten kann immerhin erst im 5. oder 6. Versuchsjahre beendet sein, indem die Anzahl der verschiedenen Keim- zellen, welche an der Hybride gebildet werden, mit den differirenden Merkmalen nach den Potenzen von 2 zunimmt.

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Zitationshilfe: Mendel, Gregor: Versuche über Pflanzen-Hybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn 4 (1866), S. 3-47, hier S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendel_pflanzenhybriden_1866/55>, abgerufen am 19.04.2024.