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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Philosophie.

Wir leben in der Zeit der Wissenschaft. Der
Verstand ist Regent der drei letzten Jahrhunderte.
In der Reformation hat er sich befreit, und in der
Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts seinen Thron
aufgeschlagen. Ist einmal ein Volk dahin gekommen
zu denken, so sucht es auch die Gesetze des Denkens;
sammelt seine Wißbegier die mannigfaltigsten That¬
sachen, so sucht es deren Motive; bildet es eine
Wissenschaft nach der andern aus, so sucht es end¬
lich den innern Zusammenhang in allen. Die Re¬
flexion führt, welchen Gegenstand sie auch zuerst er¬
greifen mag, immer zuletzt zur Philosophie hin. Was
in die Sphäre des Wissens fällt, sieht sich an einen
Radius geknüpft und führt zum Centrum. Dieß ist
der Gang, den der Verstand in seinem Fortschritt
immer nehmen muß. So unabänderlich aber dem
Denker die vollendete Philosophie als perspectivisches
Ziel vorgesteckt ist, so nothwendig er nichts andres
erstreben kann, als eine vollkommne Wissenschaft von

Philoſophie.

Wir leben in der Zeit der Wiſſenſchaft. Der
Verſtand iſt Regent der drei letzten Jahrhunderte.
In der Reformation hat er ſich befreit, und in der
Philoſophie des achtzehnten Jahrhunderts ſeinen Thron
aufgeſchlagen. Iſt einmal ein Volk dahin gekommen
zu denken, ſo ſucht es auch die Geſetze des Denkens;
ſammelt ſeine Wißbegier die mannigfaltigſten That¬
ſachen, ſo ſucht es deren Motive; bildet es eine
Wiſſenſchaft nach der andern aus, ſo ſucht es end¬
lich den innern Zuſammenhang in allen. Die Re¬
flexion fuͤhrt, welchen Gegenſtand ſie auch zuerſt er¬
greifen mag, immer zuletzt zur Philoſophie hin. Was
in die Sphaͤre des Wiſſens faͤllt, ſieht ſich an einen
Radius geknuͤpft und fuͤhrt zum Centrum. Dieß iſt
der Gang, den der Verſtand in ſeinem Fortſchritt
immer nehmen muß. So unabaͤnderlich aber dem
Denker die vollendete Philoſophie als perſpectiviſches
Ziel vorgeſteckt iſt, ſo nothwendig er nichts andres
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[157/0167] Philoſophie. Wir leben in der Zeit der Wiſſenſchaft. Der Verſtand iſt Regent der drei letzten Jahrhunderte. In der Reformation hat er ſich befreit, und in der Philoſophie des achtzehnten Jahrhunderts ſeinen Thron aufgeſchlagen. Iſt einmal ein Volk dahin gekommen zu denken, ſo ſucht es auch die Geſetze des Denkens; ſammelt ſeine Wißbegier die mannigfaltigſten That¬ ſachen, ſo ſucht es deren Motive; bildet es eine Wiſſenſchaft nach der andern aus, ſo ſucht es end¬ lich den innern Zuſammenhang in allen. Die Re¬ flexion fuͤhrt, welchen Gegenſtand ſie auch zuerſt er¬ greifen mag, immer zuletzt zur Philoſophie hin. Was in die Sphaͤre des Wiſſens faͤllt, ſieht ſich an einen Radius geknuͤpft und fuͤhrt zum Centrum. Dieß iſt der Gang, den der Verſtand in ſeinem Fortſchritt immer nehmen muß. So unabaͤnderlich aber dem Denker die vollendete Philoſophie als perſpectiviſches Ziel vorgeſteckt iſt, ſo nothwendig er nichts andres erſtreben kann, als eine vollkommne Wiſſenſchaft von

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/167>, abgerufen am 29.03.2024.